Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Der bekannte Spruch gilt auch beim Thema der vorschulischen Bildung, meint Monika Hartl. In ihren Rollen als Lehrerin am Förderzentrum in Aschaffenburg und Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) des Bezirksverbands Unterfranken, setzt sich die 52-jährige Kreisrätin für ein Umdenken im Bildungssystem ein.
Auch die GEW Main-Spessart, vertreten durch die Vorsitzenden Wolfgang Tröster und Verena Frey, reagierte kürzlich auf die PISA-Offensive Bayern von Kultusministerin Anna Stolz – besser bekannt als Grundschulreform. Die darin vorgesehenen Anpassungen der Stundentafel hält die Gewerkschaft für mangelhaft.
Sowohl Hartl als auch Tröster und Frey wünschen sich alternative pädagogische Ansätze, um Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern gleichermaßen zu entlasten. Fünf Punkte stechen dabei besonders hervor.
1. Vorschulische Bildung: Der Anfang ist das Allerwichtigste
"Bei den frühkindlichen Ansätzen könnte das Prinzip in Finnland ein Vorbild sein", schlägt Tröster vor, der über 35 Jahre lang Deutsch, Sozialkunde und Sport am Johann-Schöner-Gymnasium in Karlstadt unterrichtete. Dort im Norden würde schon das Personal im Kindergarten manche Kinder aus der Gruppe nehmen, um sich einzeln um sie zu kümmern.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Kinder überhaupt in den Kindergarten gehen können. Wenn es nach Monika Hartl ginge, könnte der auch komplett kostenlos sein. "Zum Teil reichen die Plätze nicht mehr aus, dann kommen Kinder, die sechs oder sieben Jahre alt sind, in die erste Klasse und bringen die Voraussetzungen, die zum täglichen Folgen und Partizipieren am Unterricht notwendig sind, nicht mehr mit", erklärt Hartl.
Für Hartl ist gerade die Übergangsphase im Kindergarten- und frühen Schulalter entscheidend. "In der Grundschule legen wir den Grundstein dafür, wie man lernt, wie man mit einer Gruppe umgeht, wo man sich selber einbringen muss und wo man eher getragen wird. Wenn wir das früh lernen, hätten wir die Hälfte unserer gesellschaftlichen Probleme nicht", sagt Hartl. Die Schulzeit sollte ihrer Meinung nach sinnbildlich besser nach vorne verlängert werden.
2. Differenzierungsstunden: Investition in die Zukunft der Lehrerausbildung
Anstatt die Anzahl der Wochenstunden in Deutsch und Mathematik zu erhöhen, hält die GEW es für sinnvoller, die bestehenden Stunden effizienter zu nutzen. "Als Lehrkraft kann man oft nicht intensiv genug auf die Kinder in der Klasse eingehen, die zusätzliche Förderung benötigen", berichtet Frey. Deshalb müsse durch Differenzierungsstunden der Einsatz sonderpädagogischer Fachkräfte an Regelschulen erhöht werden, um Kinder mit Förderbedarf individuell und in kleineren Gruppen zu unterstützen.
Dass das funktionieren kann, weiß Frey aus eigener Erfahrung. "Ich hatte an unterschiedlichen Schulen Praktikantinnen zu Gast, die nach einer kurzen Einweisung einzelne Kinder individuell unterstützen können, insbesondere im Bereich der Sprachförderung", sagt Frey, die heute an einer Grundschule im Landkreis Main-Spessart unterrichtet.
3. Gemeinsame Wertestunde statt klassischem Religionsunterricht
Auch die bleibend hohe Anzahl an Religionsstunden ist nicht im Sinne der GEW. Ihr Ansatz wäre eine Stunde der Werteerziehung, die im Klassenverband und konfessionsunabhängig erteilt wird. Frey: "Diese Wertestunde könnte sich mit zwischenmenschlichen und gesellschaftspolitischen Themen beschäftigen. Man spricht über Werte und Normen und erhält einen Einblick in verschiedene Religionen und Weltanschauungen, ähnlich dem heutigen Ethikunterricht".
Tröster ergänzt, dass es auch darum gehen könne, wie man in der Gruppe Toleranz und Verständnis füreinander aufbringt. "Auch gezielte Projekte zum Thema Mobbing, Demokratieerziehung oder Nachhaltigkeit könnten in die Wertestunde eingebunden werden", schlägt der Pensionär vor. Um die Theologie nicht nur den Kirchen zu überlassen, wäre für ihn auch ein Kompromiss denkbar, bei dem man die beiden Wochenstunden in eine klassische Religionsstunde und eine Wertestunde einteilt.
4. Attraktive Teilzeitmodelle bieten, statt Möglichkeiten einzuschränken
Die umstrittene Maßnahme gegen Personalnot, die vorsieht, Teilzeitmöglichkeiten einzuschränken, sehen auch die Vertreter der GEW kritisch. "Das ist kein Zukunftsmodell, da es durch die unfreiwillige Belastung für viele zu mehr Krankheitsausfällen oder Frühverrentung kommen wird", ist Hartl überzeugt. Attraktive Teilzeitmöglichkeiten zu schaffen, führe eher zu neuem Personal, das aufgrund anderer Verpflichtungen ausschließlich Teilzeit arbeiten kann.
Frey gibt zu bedenken, dass auch Pädagogen aus gutem Grund Teilzeit arbeiten. "Wir führen Elterngespräche, schreiben Zeugnisse und haben viel zu organisieren", sagt sie. Außerdem wünscht sich die 45-Jährige mehr Anerkennung der familiären Care-Arbeit. "Auch bei einer Erwerbsarbeit von "nur" 75 Prozent bin ich als dreifache Mutter an sieben Tagen 24 Stunden zu 300 Prozent voll beschäftigt", erklärt sie. Entlastungsstunden für Care-Arbeit wären ein Ansatz, Beschäftigte mehr wertzuschätzen.
5. Gemeinsames Lernen bis mindestens zur sechsten Klasse
Eher eine langfristige Vision ist das gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler über die vier Jahrgangsstufen der Grundschule hinaus. Frey spricht von "entmutigten und frustrierten Kindern" in der fünften Klasse der Mittelschule, denen sie im Referendariat dabei helfen musste, ihr Selbstwertgefühl wieder aufzubauen.
Sie gibt auch zu bedenken, dass sich unsere Gesellschaft in vielen Bereichen immer mehr spalte. Deshalb findet sie es wichtig, in der Schule den Zusammenhalt zu fördern und den Druck rauszunehmen. "Auch die Eltern der Kinder spüren diesen Druck oft ab dem dritten Schuljahr, weil sie nicht wissen, auf welcher Schule ihr Kind ein gutes Jahr später landen wird", sagt sie.
Monika Hartl würde die Gemeinschaftsklassen bis zur sechsten oder sogar zehnten Klasse ebenfalls begrüßen. "Das gemeinsame Lernen in heterogenen Gruppen ist immer erfolgreicher. Klassen am Gymnasium sind oft auch nicht wirklich homogen. Bisher ist nicht die Grundintelligenz richtungsweisend für die Schulart, sondern der Geldbeutel der Eltern", so Hartl.