Die Virtual-Reality-Brille (VR) projiziert Textnachrichten in das Klassenzimmer. "Wenn ich dein Gesicht sehe, bekomme ich Augenkrebs." Das ist nur eine von vielen Beleidigungen, Bedrohungen, Bloßstellungen und Belästigungen, mit denen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 6a der Marktheidenfelder Mittelschule konfrontiert waren.
Den Projekttag zum Thema Cybermobbing leiten Jana Krauss, Marie Fiedler und Matthias Beck. Sie sind Mitarbeitende der Professur "Psychologie intelligenter interaktive Systeme" an der Universität Würzburg, die unter der Leitung von Dr. Carolin Wienrich steht.
Wienrich und ihr Team arbeiten mit den Studiengängen Mensch-Computer-Systeme (Bachelor) und Mensch-Computer-Interaktion (Master) zusammen. Sie beschäftigen sich bei ihren Forschungen mit menschlicher Wahrnehmung, Emotionen und Verhalten in digitalen Interaktionen und Erfahrungen. Es werden verschiedene Methoden und Perspektiven kombiniert, um Synergien zwischen Psychologie und Informatik zu schaffen.
Lehrangebot mit Virtual-Reality-Brillen begeistert Schülerinnen und Schüler
Die Nachrichten, die sie für den Workshop verwenden, haben sich Jana Krauss und die Kollegen nicht selbst ausgedacht, sondern sie wurden von Kindern und Jugendlichen tatsächlich so versendet. "Als da plötzlich stand 'Kennt ihr schon dieses Video von Sophia?', hatte ich ein sehr komisches Gefühl. Das war beängstigend", erzählte Sophia, Schülerin der 6a.
Weil sie und die Klassenkameraden vor Beginn des Workshops ihre Namen und ihr Geschlecht angegeben hatten, sprach sie das Computerprogramm persönlich an. Die Technik faszinierte die Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Tatsache, dass sie direkt angesprochen wurden.
Fast jeder vierte Betroffene von Cybermobbing äußert Suizidgedanken
Der Begriff Cybermobbing beschreibt Mobbing im Internet, zum Beispiel in Chats, Foren oder per E-Mail, aber auch in sozialen Nachrichtendiensten oder auf Plattformen, etwa bei WhatsApp, Facebook, Instagram und Videoplattformen wie YouTube.
Cybermobbing ist unter den Schülerinnen und Schüler weit verbreitet. Fast jede und jeder in der Klasse habe schon mal damit zu tun gehabt, entweder als Adressat von Nachrichten oder als Mitleser, erzählten die Kinder. Im vergangenen Jahr waren rund 16 Prozent der Heranwachsenden davon betroffen. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie des Instituts Sinus im Auftrag der Krankenkasse Barmer. Mehr als jede und jeder zweite Jugendliche bekam im direkten Umfeld mit, dass jemand persönlich Ziel von Cybermobbing war.
Neben der psychischen Belastung und möglichen gravierenden gesundheitlichen Folgen äußerte fast jeder oder jede vierte Betroffene (24 Prozent) Suizid-Gedanken, fand eine 2022 veröffentlichte Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse heraus.
Ablenken, blockieren und über Cybermobbing sprechen
Sophia wusste nicht, wie es auf das vermeintlich peinliche Video reagieren soll, das jemand von ihr – ohne ihr Wissen – aufgenommen hatte und in Gruppenchats verbreitet hat. Gemeinsam mit den Klassenkameraden erarbeitete sie, was helfen kann. Besser als auf die Nachrichten zu antworten und vielleicht sogar andere selbst zu beleidigen, ist es zum Beispiel, das Smartphone oder den Computer auszuschalten und sich abzulenken.
"Wie verhält man sich, wenn man Nacktfotos geschickt bekommt?", will eine Schülerin wissen. "Man muss sich nicht schämen und sollte das auf jeden Fall einem Erwachsenen erzählen", sagt Krauss. Die Bilder sollten sich Erwachsene jedoch nicht weiterleiten lassen, denn schon der Besitz von kinderpornografischen Inhalten ist laut Gesetz verboten und kann strafrechtlich verfolgt werden.
Cybermobbing an sich ist keine Straftat
Ein Vertrauenslehrer oder die eigenen Eltern hätten dennoch mehr Lebenserfahrung und wüssten, was zu tun sei; auch, wann die Polizei eingeschaltet werden müsse. Zur Überraschung der Schülerinnen und Schüler ist Cybermobbing an sich keine Straftat, birgt jedoch Straftatbestände wie Beleidigung, Verleumdung, Nötigung, Gewaltdarstellung oder die Verletzung des Rechts am eigenen Bild in sich.
Dann durften die Kinder ein zweites Mal in die virtuelle Realität. Jetzt konnten die Schülerinnen und Schüler handeln, zum Beispiel andere Nutzer dem Plattformbetreiber melden, sie im Chat blockieren, einen Erwachsenen zur Hilfe rufen. "Das war ein gutes Gefühl", resümiert Sophia.