Pädagogisches Totalversagen oder eine angemessene Reaktion auf Cybermobbing? Für kontroverse Diskussionen im Netz hat die Berichterstattung über Cybermobbing ausgelöst, dem ein Lehrer einer Mellrichstädter Schule ausgesetzt war.
Was war geschehen? Zwei Schüler hatten Bilder ihres Lehrers verunstaltet und in den Sozialen Medien veröffentlicht. Nachdem alle pädagogischen Interventionen nicht den gewünschten Erfolg gezeigt hatten, ging der Lehrer zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Beleidigung gegen die beiden noch nicht strafmündigen Jungen.
Der Schulleiter der betroffenen Schule mochte sich zu dem Cybermobbing und der Anzeige nicht äußern. Seine Begründung: Er könne aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Aussagen über die Schüler machen. Außerdem sei die Anzeige nicht von der Schule erstattet worden, sondern von dem Lehrer als Privatperson.
Eine solche Zurückhaltung erlegt sich Simone Fleischmann nicht auf. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands vertritt eine eindeutige Position: Gewalt gegen Lehrer, dazu gehört auch Cybermobbing, müsse raus aus der Tabuzone. Eine Tabuisierung dürfe es nicht geben, denn Lehrkräfte trauen sich oft nicht, ihre Fälle selbst publik zu machen, aus Angst, dann als schlechte Pädagogen dazustehen. Schulen brauchen bei Fällen von Gewalt und Mobbing ein System aus Unterstützern, etwa von Psychologen und Sozialarbeitern, appellierte sie in einem Interview. Keinesfalls dürften Vorfälle verschwiegen werden, denn das schwäche Lehrkräfte auf Dauer enorm.
Jeder Fünfte betroffen
Fast jede fünfte Lehrkraft in Bayern war schon einmal Opfer einer psychischen Attacke. Das ergab eine Befragung des Forsa-Instituts im Auftrag des BLLV, der die Interessen von Lehrkräften aller Schularten in Bayern vertritt, und seinem Dachverband, dem Bundesverband Bildung und Erziehung (VBE). Für die repräsentative Studie „Gewalt gegen Lehrer“ hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im September und Oktober 2016 bundesweit 1951 Lehrkräfte befragt, darunter 500 aus Bayern.
Rund 18 Prozent der im Freistaat lebenden Befragten gaben bei der Umfrage an, in der Vergangenheit im Schulbetrieb psychischen Attacken ausgesetzt gewesen zu sein. Rund 55 Prozent wollen mitbekommen haben, dass es an ihrer Schule solche Vorfälle gegeben hat. In der Mehrzahl der Fälle psychischer Gewalt gingen die Angriffe von Schülern oder Eltern aus.
Virtuelle Attacken
Relativ neu war in der mittlerweile fünf Jahre alten Studie das Phänomen "Cybermobbing". Drei Prozent der Befragten sahen sich damals virtuellen Attacken ausgesetzt. Körperliche Gewalt scheint dagegen selten vorzukommen. Vier Prozent der Befragten wollen einmal tätliche Angriffe gegen sich erlebt haben.
Übrigens ist Gewaltbereitschaft unter Schülerinnen und Schülern keine Frage der Schulart. Auch das fand man in der Studie heraus. Cybermobbing geschieht an Gymnasien (33 Prozent) fast ebenso häufig wie an Haupt-, Real- oder Gesamtschulen (36 Prozent). Eine weitere Erkenntnis aus der Studie war, dass das Thema „Gewalt gegen Lehrkräfte“ offenbar ein Tabu ist. Nur rund 25 Prozent der Studienteilnehmer erklärten, dass damit in der Gesellschaft offen umgegangen werde.
Regeln im Schonraum Schule
Mobbing ist kein Tabuthema in Schulen. Im Gegenteil, Mobbing-Prävention findet im Unterricht statt. Die Kinder werden dafür sensibilisiert, wie sich Täter, Opfer und Mitläufer verhalten und fühlen. Sie erfahren, dass die Folgen von Mobbing gravierend sein können, denn es ist verletzend und demütigend, es schädigt das Selbstwertgefühl und zerstört die Selbstachtung. Das gilt nicht nur für Kinder, es gilt ebenso für Erwachsene, auch wenn sie pädagogisch geschult sind. Daher spiegeln Lehrer, die Cybermobbing anzeigen, eigentlich nur die Lerninhalte, die die Schülerinnen und Schüler aus dem Unterricht kennen.
Eine Anzeige sei das letzte Mittel, wenn man sich gegen Mobbing wehre. Im "Schonraum Schule" gelten Regeln, die einen würdevollen Umgang miteinander zum Zielt hätten, erläutert die BLLV-Präsidentin. Würden diese Regeln ein wenig verletzt, hätten Lehrerinnen und Lehrer ein pädagogisches Händchen und würden geeignete Erziehungsmaßnahmen ergreifen. Bei vehementen Überschreitungen würde man nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern Gespräche führen oder gar einen Verweis aussprechen. Erst wenn alle pädagogischen Maßnahmen nicht fruchten, würde eine Anzeige in Betracht gezogen. "Jeder Fall, der die Grenzen des menschlichen Umgangs überschreitet, muss angezeigt werden", sagte Simone Fleischmann in einem Gespräch mit dieser Redaktion.
Grenzen setzen
Diese Ansicht vertritt auch Elmar Hofmann, der Leiter der Polizei Mellrichstadt. Das Verbreiten von beleidigenden Bildern oder Nachrichten in sozialen Medien erfüllt einen Straftatbestand und kann zur Anzeige gebracht werden. Zwar gibt es keinen eigenen Tatbestand „Mobbing“ im Strafgesetzbuch, anzeigen aber kann man Menschen, die mobben, beispielsweise wegen Beleidigung, übler Nachrede, Verleumdung oder der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs.
Seit der Anzeige des Lehrers, die Anfang Dezember 2020 in seiner Dienststelle aufgenommen wurde, hatte er mittlerweile Kontakt zu zwei weiteren Lehrkräften aus dem Raum Mellrichstadt, die sich Cybermobbing ausgesetzt fühlen und ebenfalls eine Anzeige gegen Schüler oder Schülerinnen in Erwägung ziehen. Angezeigt wurde diese Woche ein 17-Jähriger. Er war im Homeschooling und hatte eine Konversation zwischen sich und seinem Lehrer aufgezeichnet. Dieses Video bearbeitete er, fügte den Namen und ein Foto seines Lehrers bei und stellte es in der Plattform „TikTok“ mit einer weniger schmeichelhaften Videounterschrift online. Die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes sowie die Beleidigung des Pädagogen stellen einen Straftatbestand dar und werden zur Anzeige gebracht.