
Teils intensive, aber geordnete und respektvolle Duelle haben sich die Direktkandidaten auf dem "Heißen Stuhl zur Bundestagswahl" in Karlstadt geliefert. Das war auch das Anliegen der Moderatoren, Martin Schwarzkopf, Chefredakteur des Main-Echo, und Björn Wortmann, DGB- Kreisvorsitzender Aschaffenburg-Miltenberg. Etwa 150 Zuschauerinnen und Zuschauer hatten sich für das Diskussionsformat des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) am Donnerstagabend im Pfarrsaal der Heiligen Familie eingefunden – und brachten sich aktiv ein.
Die Kandidaten wurden in diesem Jahr anfangs einzeln befragt, stellten sich danach in zwei "Duellen" jeweils einem anderen Kandidaten und abschließend den Fragen aus dem Publikum. So traten Alexander Hoffmann (CSU) und Peter Weis (Bündnis 90/Die Grünen) gemeinsam nach vorne, gefolgt von Bernd Rützel (SPD) und Andreas Adrian (Die Linke). Konzentrieren sollte sich die Diskussion auf die DGB-Kernthemen Arbeits- und Sozialpolitik. Das Thema Migration wollte man bewusst nicht platzieren, da die Debatte bereits stark davon geprägt ist, so Wortmann.
Erste Einzelinterviews: Hoffmann zur Schuldenbremse und Weis zur Pflege
Warum Hoffmann ein Verfechter der Schuldenbremse sei, wollte Wortmann zu Beginn der Diskussionsrunden wissen. Die nächste Generation werde die Schulden zurückzahlen müssen, man könne trotz Schuldenbremse Schulden machen und die Zinslast sei zu hoch, argumentiert dieser. Seine Lösung: Eine andere Schwerpunktsetzung – die Einnahmen des Staats seien in den vergangenen 15 Jahren stark gestiegen – und das Ankurbeln der Wirtschaft.
Leidenschaftlich wurde Wortmann bei der Frage, ob Hoffmann wie der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der Auffassung sei, es gebe in Deutschland keine Leistungsbereitschaft mehr. Er sprach die Zahl der unbezahlten Überstunden an und dass Beschäftige sich angesichts dieser Aussage nicht verstanden und nicht wertgeschätzt fühlen würden – dafür erntete er Applaus aus dem Publikum. Auf Hoffmanns Entgegnung hin, man dürfe sich international beispielsweise von den USA nicht abhängen zu lassen, gab es ebenso Applaus.

"Schulden sind nicht per se etwas Schlechtes", stieg Grünen-Kandidat Weis kurz auf Hoffmanns Thema ein und warb dafür, die Schuldenbremse für Investitionsausgaben zu lockern. Dann konfrontierte Schwarzkopf ihn mit dem Thema Pflege, unter anderem dem stark gestiegenen Eigenanteil für Pflegeplätze. Pflege müsse in einer so reichen Nation wie Deutschland bezahlbar sein, die Finanzierung zu klären sei allerdings eine Aufgabe für eine ganze Legislaturperiode, so Weis. Dass Robert Habeck das Hinzuziehen anderer Beitragszahler und der Kapitalerträge forderte, bezeichnete er als "taktischen Fehler".
Erstes Duell: Hoffmann vs. Weis zum Thema Steuergerechtigkeit
Im ersten Duell ergriff auf die Moderatorenfrage zu Steuererleichterungen hin direkt Weis das Wort. Der politische Neueinsteiger argumentierte durchgehend ruhig und gefasst. Etwa, dass bei einer Senkung der Unternehmenssteuer die Bruttoinvestitionen nicht gestiegen seien und er deshalb für eine Investitionsprämie plädiere.
Hoffmann ließ in seine Erwiderungen deutlich mehr Nachdruck einfließen: "Nach OECD-Standards ist Deutschland mit das Land, wo die Umverteilung von Gutverdiener auf Schlechtverdiener am besten funktioniert" – und erntet dafür ein überraschtes Raunen aus dem Publikum. Er verteidigte die Steuersenkungen und warnte davor, mittelständische Unternehmen zu besteuern.
Fragen aus dem Publikum: Pflegeversicherung, Krankenkassen und die Brandmauer
Leben in die Diskussion kam schließlich durch die Fragen aus dem Publikum zum Thema Pflegeversicherung und Krankenkassen, mit einem Nachhaken Wortmanns zur Strukturreform. Hoffmann befand zur Krankenhausreform, dass diese "mit einem Rasenmäher über Deutschland geht" – vereinzelte "Nein"-Rufe aus dem Publikum – und spannte den Bogen zum Krankenhaussterben sowie zu Corona- und Inflations-Ausgleichen, die es nicht gegeben habe. Das traf auf Widerspruch aus dem Publikum und von Schwarzkopf, sodass sich Hoffmann schließlich darauf berief, es habe die Ausgleiche nicht in der erforderlichen Höhe gegeben. Weis betonte, dass man Reformen, etwa bei Steuern oder der Sozialversicherung, so gestalten könne, dass der Großteil der Bevölkerung nicht betroffen sei.

Sascha Kretz, der eigentlich als Volt-Direktkandidat mitdiskutiert hätte, aber die erforderlichen Unterschriften für die Kandidatur nicht erreichte, meldete sich ebenfalls zu Wort. Er sprach den CDU/CSU-Antrag an, der vergangene Woche mit Stimmen der AfD eine Mehrheit im Bundestag erreicht hatte. Das sei keine Zusammenarbeit mit der AfD gewesen, verteidigte Hoffmann das Vorgehen. Weis kommentierte, dass bei diesem Antrag aus dem Begriffspaar "Humanität und Ordnung" die Humanität komplett herausgestrichen sei.
Zweite Einzelinterviews: Adrian zu Energiepreisen und Rützel zur Bahn
Mit dem nächsten Paar, Adrian von der Linken und Rützel von der SPD, zog mehr Harmonie auf der Bühne ein. Ab und an quittierte Rützel die Aussagen seines Gegners mit einem zustimmenden Lächeln, dazwischen schob sich jedoch auch das eine oder andere Stirnrunzeln. Bevor es ins Duell ging, erfragte Wortmann Adrians Standpunkt zu Energiepreisen, vor allem für energieintensive Unternehmen. Kurzfristig wünscht dieser sich einen Preisdeckel, langfristig eine Verstaatlichung. Damit meint er einen genossenschaftlichen Betrieb von Unternehmen, keine staatliche Steuerung, wie er im Laufe der Diskussion klarstellte. Die Schuldenbremse bezeichnete er als "vollkommenen Quatsch" und fragt sich, warum Uniper wieder privatisiert wurde, was ihm vereinzelte Zustimmung aus dem Publikum bescherte.

Für Rützel ist der Heiße Stuhl ein doppeltes Heimspiel als langjähriger Abgeordneter für den Wahlkreis und als Gewerkschafter, wie Schwarzkopf feststellte – und so wollte ihn der Moderator mit dem Thema Bahn herausfordern. Rützel sagte, ihm schmerze das Herz angesichts der jahrzehntelang auf Verschleiß gefahrenen Infrastruktur. Es müsse viel investiert werden, und zwar über Jahre hinweg. Nur durch staatliche Mittel lasse sich die Infrastruktur garantieren, doch widersprach er Adrian: Hilfen wie bei Lufthansa oder durch Kurzarbeitergeld ja, Verstaatlichung nein.
Zweites Duell: Adrian vs. Rützel zum Thema Rente
Beim von Wortmann vorgegebenen Duel-Thema Rente gebe es viele Parallelen zwischen Linken und SPD, attestierte Adrian und fragte Rützel direkt, wie er sich dafür einsetze. "Ich setze mich immer dafür ein", entgegnete Rützel. Er warb in dem Zusammenhang für Kompromisse und eine schnelle Regierungsbildung nach der Wahl.
Die Aktienrente sei "zum Glück" nicht umgesetzt worden, erklärte Adrian und kritisierte die aktuelle Beitragsbemessungsgrenze, was ihm Applaus einbrachte. Auch Rützel sprach sich gegen die Aktienrente aus und monierte Fehler im Riester-System; für die Hälfte der Deutschen sei die Rente das einzige Vermögen, am Ende des Monats bleibe nichts zum Sparen.
Fragen aus dem Publikum: Transformation der Wirtschaft, Bürgerversicherung und Rente
"Es gibt keinen günstigeren Strom als Erneuerbare Energien", antwortete Rützel auf eine Publikumsfrage zur Transformation der Wirtschaft. Adrian wünschte sich mehr Investitionen für die Energiewende. Unternehmen bei Flauten zu unterstützen, auch in der E-Auto-Herstellung, forderte er weiter. Rützel dagegen will nicht nur Unternehmen unterstützen, sondern auch den Konsumenten etwa steuerliche Nachlässe beim Kauf bieten. Irgendwann müsse der Markt aber selbst laufen. Sein Vorschlag, in Zukunft andere Betätigungsfelder auszubauen, unter anderem die Rüstungsindustrie, sorgte im Publikum für leichtes Raunen.
Abschluss ohne Worte: Entscheidungsfragen
Innerhalb weniger Minuten mussten die Kandidaten zum Abschluss des Abends Position beziehen zu Schlagworten wie Verbrenner-Aus, Renteneintrittsalter oder Mindestlohn – allein durch das Hochhalten von "Ja"- oder "Nein"-Schildern auf die Fragen von Wortmann und Schwarzkopf hin. Unserer Übersicht können Sie entnehmen, wie sich die Kandidaten positioniert haben.
