Mit den Aktionen #ActOutim Februar 2021 und #OutinChurch im Januar 2022 haben sich zwei gebürtige Main-Spessarter gemeinsam mit vielen anderen Menschen aus der Schauspiel-Szene und der Kirche geoutet: Maximilian Gehrlinger aus Mittelsinn und Stephan Schwab aus Oberndorf. Am 9. März kommen beide zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung nach Marktheidenfeld. Im Doppel-Interview erzählen sie, wie es ihnen seit dem öffentlichen Coming-Out ergangen ist.
Maximilian Gehrlinger: Ich hab mir lange Gedanken gemacht, ob ich da mitmache. Aus der Branche wurde mir oft geraten, die Sexualität lieber geheim zu halten, weil es der Karriere schaden könnte. Mir wurde aber schnell klar: Wenn ich da jetzt nicht mitmache, das wäre selten dämlich. Wir kommen nie wieder in dieser Masse zusammen. Nie wieder ist die Sexualität der Einzelperson so unwichtig, weil die Gruppe so immens stark ist. Ich wollte, dass sich etwas ändert. Und zwar sofort. Ich habe bisher zwar selten Diskriminierung im Beruf erfahren. Aber ich habe es oft bedauert, dass ich nie meinen Partner auf dem roten Teppich mitnehmen konnte. Und ich möchte in Zukunft einfach gerne die freie Wahl haben, ob ich das tue oder nicht.
Stephan Schwab: #ActOut war für uns tatsächlich ein Anlass zu sagen: Schaut mal hier, wir verstecken uns auch. Wir halten auch mit dem zurück, was zu unserer Lebensidentität dazu gehört. #ActOut war uns daher ein Vorbild, es gleichzutun.
Schwab: Ich wollte aus der Vereinzelung herauskommen und konnte in dieser Gruppe spüren: Oh, wir sind viele. Zur Zeit fehlt ja in weiten Teilen der Kirche Schwung und Elan, man hat das Gefühl, es geht dem Ende zu. Bei #OutinChurch habe ich genau das Gegenteil gespürt: Lebendigkeit, Kraft, Energie. Das hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht, ein Teil davon zu sein.
Gehrlinger: Bei mir, soweit ich das beurteilen kann, nicht. Diskriminierungen im Besetzungsprozess finden meist sehr subtil und hinter verschlossenen Türen statt. Die Reaktionen aus der Branche waren aber wahnsinnig positiv.
Gehrlinger: Wir haben auf jeden Fall etwas geschaffen, das viele inspiriert hat. Es gab ja auch #TeachOut, #PilotsOut und #KickOut. Dahingehend hat es viel bewirkt. Was erst jetzt langsam passiert, ist, dass sich auch das deutsche Fernsehen und die Öffentlich-Rechtlichen zum Beispiel für queere Geschichten öffnen.
Gehrlinger: Mein Partner und ich haben es zumindest vor, ja. Alleine der Gedanke daran macht mich nach wie vor sehr nervös.
Schwab: Ich war als Schüler auf einem katholischen Internat. Ich habe damals schon gemerkt, dass ich mehr auf Jungs stehe. Aber die Denke war: Ich muss das sehr gut für mich behalten. Ich bin heute der Überzeugung, dass ich das gut einstudiert habe. So gut, dass ich es von mir selbst fernhalten konnte. Richtig aufgebrochen ist es dann in meiner Zeit als Kaplan in Miltenberg. Ich habe einen Freund in München besucht, der mir erzählte, wie er mit seiner Frau joggen geht oder Händchen haltend an der Isar spaziert. Da wurde mir klar: Eigentlich möchte ich das auch, aber mit einem Mann. Danach habe nicht mehr richtig funktioniert.
Schwab: Als ich für mich richtig erkannt hatte, dass ich schwul bin, waren meine Weichen bereits gestellt. Ich war Priester in der Kirche und habe für mich keine Möglichkeiten gesehen, hier wieder raus zu kommen. Ich habe mich dann sehr mit meiner Situation auseinandergesetzt, habe Supervision gemacht, später eine Therapie, bin aus der kirchlichen Arbeit rausgegangen und habe in Trier im Krankenhaus gearbeitet. Dort hätte ich mich ausleben können – habe ich aber nicht. Ich bin zurückgekehrt in den Kirchendienst. Es geht mir darum, von innen heraus an einer Erneuerung mitzuwirken. Ob ich den Job bis an mein Lebensende machen werde, weiß ich nicht. Aber momentan passt es gut. Ich habe in der Jugendarbeit viele Freiheiten. Ich finde, dabei ist die sexuelle Orientierung eines Priesters auch völlig unwichtig und hat nichts damit zu tun, ob ich für diesen Beruf qualifiziert bin.
Schwab: Das ist richtig. Für die Priester ändert sich erstmal nichts. Die Frage für mich ist jedoch: Warum sollte der Zölibat eine Voraussetzung sein, um gut als Priester leben und arbeiten zu können? Ich finde es heute auch übergriffig: Um eine bestimmte Berufswahl treffen zu können, wird mir eine bestimmte Lebensform vorgeschrieben. Ich finde den Zölibat für meine Berufsausübung nicht kompetenzfördernd.
Gehrlinger: Ich wusste lange bevor ich an der Schauspielschule angefangen habe, dass mein Interesse bei Männern liegt. Aber ich wusste auch: Ich darf das nicht zeigen, wenn ich in diesem Beruf arbeiten will. Das hat dann genau eine Woche gehalten. Dann war für mich klar: Es muss raus. 2013 habe ich mich dann vor meiner Familie geoutet und auch vor meinem Schauspieljahrgang. An die Öffentlichkeit gegangen bin ich erst letztes Jahr bei #ActOut.
Gehrlinger: Das queere Leben in Main-Spessart kenne ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe Homosexualität immer als ein Tabu-Thema erlebt. Wenn zwei Männer sich küssten, reagierte man darauf mit Ekel. Ein Satz gegenüber einem schwulen Pärchen ist mir auch in Erinnerung: Die sind zwar schwul, aber nett. Da musste ich schon sehr schlucken. Aber diese Ansichten hatten ja auch einen Hintergrund. Bis 1994 war nach Paragraf 175 Homosexualität noch unter Strafe gestellt.
Schwab: Was mich total gefreut hat: Meine Kindergärtnerin aus Oberndorf hat sich direkt bei mir gemeldet und mir geschrieben, dass sie das stark findet und toll, dass ich das gemacht habe. Generell habe ich sehr viel positive Resonanz erfahren, auch aus der Heimat. Ich kann mich also noch blicken lassen in Oberndorf. Allerdings tut sich mein Vater nach wie vor schwer damit.
Gehrlinger: Ich muss ehrlich sagen, dass außer von meiner Familie und meinem Freundeskreis wenig kam. Aus dem Sinngrund kamen vielleicht ein, zwei Reaktionen. Was vielleicht auch daran liegt, dass dort nicht viele #ActOut mitbekommen haben.
Schwab: Die Vereinzelung auf dem Land ist größer. Da braucht es sicher viel mehr Mut.
Gehrlinger: Es hat sich auch etwas verändert. Früher haben mir die queeren Vorbilder gefehlt. Die neue Generation an Jugendlichen ist offener. Bei mir in der Schule war "schwul" zum Beispiel auch noch ein Schimpfwort. Da wurde auch von Lehrer:innenseite noch nicht gegen vorgegangen.
Gehrlinger: Wir wollen weiterhin sichtbar bleiben, dafür müssen wir Bildungsarbeit leisten. Deshalb sind wir ja auch in Marktheidenfeld am 9. März.
Schwab: Ich finde schon es mal einen tollen Schritt, den Bischof Jung mit seiner Selbstverpflichtungserklärung gemacht hat. Das nächste Ziel ist, dass sich das Arbeitsrecht in der Kirche ändert und generell die kirchliche Lehre überarbeitet wird.
Schwab: Ich bin durch #OutinChurch frecher und mutiger geworden. Letztes Jahr gab es eine Segnungsaktion mit dem BR und da wurde mir im Vorfeld von den Verantwortlichen noch vorgegeben, was ich sagen darf. Das würde ich heute nicht mehr akzeptieren.
Gehrlinger: Ich bin auch mutiger geworden. Auch weil ich weiß, es gibt viele Menschen, die mich halten und stützen. Das ist einfach megatoll.
Hinweis der Redaktion: In diesem Text finden Sie auf Wunsch der Gesprächspartner gegenderte Formulierungen. Die Regelungen der Redaktion zum Thema diskriminierungssensible Berichterstattung finden Sie in den Journalistischen Leitlinien.
Veranstaltung: Am Mittwoch, 9. März, berichten Maximilian Gehrlinger und Stephan Schwab in der Kirche St. Josef Marktheidenfeld von ihrem Engagement bei #Actout und #OutinChurch. Veranstalter ist der Pastorale Raum Marktheidenfeld in Kooperation mit dem Forum Soziale Bildung/Benediktushöhe e.V. Es gilt die 2G-Regel. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Veranstaltung beginnt um 19. 30 Uhr. Infos und Rückfragen bei Gemeindereferentin Isabel Oestreicher, Tel. (093 91) 987 231 oder Email: isabel.oestreicher@bistum-wuerzburg.de