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Marktheidenfeld
#ActOut und #OutinChurch: Warum zwei Männer aus Main-Spessart in die Offensive gingen
Schauspieler Maximilian Gehrlinger und Theologe Stephan Schwab eint der Wunsch, ihre Homosexualität nicht mehr verstecken zu müssen. Ein Doppel-Interview darüber, was sich bewegt.
Zwei, die aus Main-Spessart stammen und offen sprechen: Schauspieler Maximilian Gehrlinger (links) und Diözesanjugendseelsorger Stephan Schwab.
Foto: Uwe Frauendorf / Fabian Gebert | Zwei, die aus Main-Spessart stammen und offen sprechen: Schauspieler Maximilian Gehrlinger (links) und Diözesanjugendseelsorger Stephan Schwab.
Björn Kohlhepp
 und  Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:11 Uhr

Mit den Aktionen #ActOutim Februar 2021 und #OutinChurch im Januar 2022 haben sich zwei gebürtige Main-Spessarter gemeinsam mit vielen anderen Menschen aus der Schauspiel-Szene und der Kirche geoutet: Maximilian Gehrlinger aus Mittelsinn und Stephan Schwab aus Oberndorf. Am 9. März kommen beide zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung nach Marktheidenfeld. Im Doppel-Interview erzählen sie, wie es ihnen seit dem öffentlichen Coming-Out ergangen ist.

Frage: Maximilian Gehrlinger, ungefähr vor einem Jahr haben Sie sich gemeinsam mit 185 Schauspielerinnen und Schauspielern in der Aktion #ActOut öffentlich geoutet. Warum war für Sie klar: Da mach' ich mit?

Maximilian Gehrlinger: Ich hab mir lange Gedanken gemacht, ob ich da mitmache. Aus der Branche wurde mir oft geraten, die Sexualität lieber geheim zu halten, weil es der Karriere schaden könnte. Mir wurde aber schnell klar: Wenn ich da jetzt nicht mitmache, das wäre selten dämlich. Wir kommen nie wieder in dieser Masse zusammen. Nie wieder ist die Sexualität der Einzelperson so unwichtig, weil die Gruppe so immens stark ist. Ich wollte, dass sich etwas ändert. Und zwar sofort. Ich habe bisher zwar selten Diskriminierung im Beruf erfahren. Aber ich habe es oft bedauert, dass ich nie meinen Partner auf dem roten Teppich mitnehmen konnte. Und ich möchte in Zukunft einfach gerne die freie Wahl haben, ob ich das tue oder nicht.

Herr Schwab, Sie haben mit #OutInChurch dieses Jahr nachgezogen. Warum?

Stephan Schwab: #ActOut war für uns tatsächlich ein Anlass zu sagen: Schaut mal hier, wir verstecken uns auch. Wir halten auch mit dem zurück, was zu unserer Lebensidentität dazu gehört. #ActOut war uns daher ein Vorbild, es gleichzutun.

Der Würzburger Diözesanjugendseelsorger Stephan Schwab ist einer der Priester, der sich im Rahmen von #OutInChurch geoutet hat.
Foto: Fabian Gebert | Der Würzburger Diözesanjugendseelsorger Stephan Schwab ist einer der Priester, der sich im Rahmen von #OutInChurch geoutet hat.
Was hat Sie bestärkt, bei der Aktion mitzumachen?

Schwab: Ich wollte aus der Vereinzelung herauskommen und konnte in dieser Gruppe spüren: Oh, wir sind viele. Zur Zeit fehlt ja in weiten Teilen der Kirche Schwung und Elan, man hat das Gefühl, es geht dem Ende zu. Bei #OutinChurch habe ich genau das Gegenteil gespürt: Lebendigkeit, Kraft, Energie. Das hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht, ein Teil davon zu sein.

Herr Gehrlinger, hatte Ihr Outing Auswirkungen, zum Beispiel auf die Besetzung bei Filmen?

Gehrlinger: Bei mir, soweit ich das beurteilen kann, nicht. Diskriminierungen im Besetzungsprozess finden meist sehr subtil und hinter verschlossenen Türen statt. Die Reaktionen aus der Branche waren aber wahnsinnig positiv.

Wie nachhaltig wirkt die Aktion, jetzt nach einem Jahr?

Gehrlinger: Wir haben auf jeden Fall etwas geschaffen, das viele inspiriert hat. Es gab ja auch #TeachOut, #PilotsOut und #KickOut. Dahingehend hat es viel bewirkt. Was erst jetzt langsam passiert, ist, dass sich auch das deutsche Fernsehen und die Öffentlich-Rechtlichen zum Beispiel für queere Geschichten öffnen.

Der Schauspieler Maximilian Gehrlinger aus Mittelsinn. Mittlerweile lebt und arbeitet er in Berlin. Anfang 2021 hat er sich in der großen Aktion #ActOut öffentlich geoutet.
Foto: Jakob Tillmann | Der Schauspieler Maximilian Gehrlinger aus Mittelsinn. Mittlerweile lebt und arbeitet er in Berlin. Anfang 2021 hat er sich in der großen Aktion #ActOut öffentlich geoutet.
Nehmen Sie Ihren Partner jetzt mit auf den roten Teppich?

Gehrlinger: Mein Partner und ich haben es zumindest vor, ja. Alleine der Gedanke daran macht mich nach wie vor sehr nervös.

Herr Schwab, wann haben Sie für sich beschlossen Ihre Sexualität nicht mehr zu verschweigen?

Schwab: Ich war als Schüler auf einem katholischen Internat. Ich habe damals schon gemerkt, dass ich mehr auf Jungs stehe. Aber die Denke war: Ich muss das sehr gut für mich behalten. Ich bin heute der Überzeugung, dass ich das gut einstudiert habe. So gut, dass ich es von mir selbst fernhalten konnte. Richtig aufgebrochen ist es dann in meiner Zeit als Kaplan in Miltenberg. Ich habe einen Freund in München besucht, der mir erzählte, wie er mit seiner Frau joggen geht oder Händchen haltend an der Isar spaziert. Da wurde mir klar: Eigentlich möchte ich das auch, aber mit einem Mann. Danach habe nicht mehr richtig funktioniert.

Warum haben Sie sich entschieden, Priester zu werden? Sie wussten ja um die bestehende Sexualmoral der Kirche?

Schwab: Als ich für mich richtig erkannt hatte, dass ich schwul bin, waren meine Weichen bereits gestellt. Ich war Priester in der Kirche und habe für mich keine Möglichkeiten gesehen, hier wieder raus zu kommen. Ich habe mich dann sehr mit meiner Situation auseinandergesetzt, habe Supervision gemacht, später eine Therapie, bin aus der kirchlichen Arbeit rausgegangen und habe in Trier im Krankenhaus gearbeitet. Dort hätte ich mich ausleben können – habe ich aber nicht. Ich bin zurückgekehrt in den Kirchendienst. Es geht mir darum, von innen heraus an einer Erneuerung mitzuwirken. Ob ich den Job bis an mein Lebensende machen werde, weiß ich nicht. Aber momentan passt es gut. Ich habe in der Jugendarbeit viele Freiheiten. Ich finde, dabei ist die sexuelle Orientierung eines Priesters auch völlig unwichtig und hat nichts damit zu tun, ob ich für diesen Beruf qualifiziert bin.

Der Würzburger Bischof Franz Jung hat ja noch mal auf das Gebot der Enthaltsamkeit hingewiesen bei Priestern. Da könnte man sich fragen: Warum weist er da noch einmal so drauf hin? Für die gilt doch der Zölibat?

Schwab: Das ist richtig. Für die Priester ändert sich erstmal nichts. Die Frage für mich ist jedoch: Warum sollte der Zölibat eine Voraussetzung sein, um gut als Priester leben und arbeiten zu können? Ich finde es heute auch übergriffig: Um eine bestimmte Berufswahl treffen zu können, wird mir eine bestimmte Lebensform vorgeschrieben. Ich finde den Zölibat für meine Berufsausübung nicht kompetenzfördernd.

Maximilian Gehrlinger in der ZDF-Produktion Soko-Leipzig als Praktikant Erik Soray mit Kommissarin Ina Zimmermann, gespielt von Melanie Marschke.
Foto: ZDF/ Uwe Frauendorf | Maximilian Gehrlinger in der ZDF-Produktion Soko-Leipzig als Praktikant Erik Soray mit Kommissarin Ina Zimmermann, gespielt von Melanie Marschke.
Herr Gehrlinger, wann sind Sie in ihrem Leben an den Punkt gekommen, an dem Sie gemerkt haben, jetzt muss ich was ändern?

Gehrlinger: Ich wusste lange bevor ich an der Schauspielschule angefangen habe, dass mein Interesse bei Männern liegt. Aber ich wusste auch: Ich darf das nicht zeigen, wenn ich in diesem Beruf arbeiten will. Das hat dann genau eine Woche gehalten. Dann war für mich klar: Es muss raus. 2013 habe ich mich dann vor meiner Familie geoutet und auch vor meinem Schauspieljahrgang. An die Öffentlichkeit gegangen bin ich erst letztes Jahr bei #ActOut.

Sie sind in Mittelsinn aufgewachsen. In einem Interview haben Sie gesagt "Queer-Sein" hätte hier nicht existiert?

Gehrlinger: Das queere Leben in Main-Spessart kenne ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe Homosexualität immer als ein Tabu-Thema erlebt. Wenn zwei Männer sich küssten, reagierte man darauf mit Ekel. Ein Satz gegenüber einem schwulen Pärchen ist mir auch in Erinnerung: Die sind zwar schwul, aber nett. Da musste ich schon sehr schlucken. Aber diese Ansichten hatten ja auch einen Hintergrund. Bis 1994 war nach Paragraf 175 Homosexualität noch unter Strafe gestellt.

Sie wohnen heute in Würzburg und Berlin. Kamen denn nach den beiden Aktionen auch Reaktionen aus Main-Spessart?

Schwab: Was mich total gefreut hat: Meine Kindergärtnerin aus Oberndorf hat sich direkt bei mir gemeldet und mir geschrieben, dass sie das stark findet und toll, dass ich das gemacht habe. Generell habe ich sehr viel positive Resonanz erfahren, auch aus der Heimat. Ich kann mich also noch blicken lassen in Oberndorf. Allerdings tut sich mein Vater nach wie vor schwer damit.

Gehrlinger: Ich muss ehrlich sagen, dass außer von meiner Familie und meinem Freundeskreis wenig kam. Aus dem Sinngrund kamen vielleicht ein, zwei Reaktionen. Was vielleicht auch daran liegt, dass dort nicht viele #ActOut mitbekommen haben.

Was meinen Sie: Ist es schwieriger, sich auf dem Land zu outen?

Schwab: Die Vereinzelung auf dem Land ist größer. Da braucht es sicher viel mehr Mut.

Gehrlinger: Es hat sich auch etwas verändert. Früher haben mir die queeren Vorbilder gefehlt. Die neue Generation an Jugendlichen ist offener. Bei mir in der Schule war "schwul" zum Beispiel auch noch ein Schimpfwort. Da wurde auch von Lehrer:innenseite noch nicht gegen vorgegangen.

Die Aktionen sind gelaufen – ist alles gesagt oder steht noch etwas auf der Liste bei Ihnen?

Gehrlinger: Wir wollen weiterhin sichtbar bleiben, dafür müssen wir Bildungsarbeit leisten. Deshalb sind wir ja auch in Marktheidenfeld am 9. März.

Schwab: Ich finde schon es mal einen tollen Schritt, den Bischof Jung mit seiner Selbstverpflichtungserklärung gemacht hat. Das nächste Ziel ist, dass sich das Arbeitsrecht in der Kirche ändert und generell die kirchliche Lehre überarbeitet wird.

Was haben Sie ganz persönlich mitgenommen aus den Aktionen?

Schwab: Ich bin durch #OutinChurch frecher und mutiger geworden. Letztes Jahr gab es eine Segnungsaktion mit dem BR und da wurde mir im Vorfeld von den Verantwortlichen noch vorgegeben, was ich sagen darf. Das würde ich heute nicht mehr akzeptieren.

Gehrlinger: Ich bin auch mutiger geworden. Auch weil ich weiß, es gibt viele Menschen, die mich halten und stützen. Das ist einfach megatoll.

Hinweis der Redaktion: In diesem Text finden Sie auf Wunsch der Gesprächspartner gegenderte Formulierungen. Die Regelungen der Redaktion zum Thema diskriminierungssensible Berichterstattung finden Sie in den Journalistischen Leitlinien. 

Veranstaltung: Am Mittwoch, 9. März, berichten Maximilian Gehrlinger und Stephan Schwab in der Kirche St. Josef Marktheidenfeld von ihrem Engagement bei #Actout und #OutinChurch. Veranstalter ist der Pastorale Raum Marktheidenfeld in Kooperation mit dem Forum Soziale Bildung/Benediktushöhe e.V. Es gilt die 2G-Regel. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Veranstaltung beginnt um 19. 30 Uhr. Infos und Rückfragen bei Gemeindereferentin Isabel Oestreicher, Tel. (093 91) 987 231 oder Email: isabel.oestreicher@bistum-wuerzburg.de

Stephan Schwab und Maximilian Gehrlinger

Stephan Schwab stammt aus Oberndorf (Lkr. Main-Spessart). Nach dem Abitur studiert er Theologie in Würzburg und Münster und wird 2001 zum Priester geweiht. Danach ist Schwab zunächst Kaplan in Gemünden, 2001 wechselt er als Kaplan nach Miltenberg. 2011 wird er Krankenhauspfarrer an der Uniklinik Würzburg. Während einer Sabbatzeit 2015 arbeitet er als Stellvertretender Hausoberer im Krankenhaus in Trier. Seit 2018 ist der 50-Jährige  Diözesanjugendseelsorger in Würzburg.
Maximilian Gehrlinger wächst in Mittelsinn (Lkr. Main-Spessart) auf. Nach Abitur und ersten Schauspielerfahrungen an der Spessartgrotte in Langenprozelten studiert er in Berlin an der Schauspielschule Charlottenburg und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Seitdem arbeitet der 30-Jährige als freischaffender Schauspieler, spielt am Theater und arbeitet für Film und Fernsehen (u.a. im ZDF-Krimi "Ein starkes Team", in der Serie "Um Himmels Willen" und "Soko Leipzig"). Ab April ist Gehrlinger in der Sky-Serie "Das Boot" zu sehen.
Quelle: luc
 
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