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Markt Einersheim
Zum Schnäppchenpreis: Bahnhof Markt Einersheim wird versteigert
Schon seit 1982 hält am Bahnhof der 1250-Seelen-Gemeinde kein Zug mehr. Jetzt will die Bahn ihn loswerden – auf ungewöhnliche Weise und zum vermeintlichen Schleuderpreis.
Im Dornröschenschlaf: Am Bahnhof in Markt Einersheim halten schon längst keine Züge mehr. Jetzt soll das Gebäude samt Umfeld versteigert werden.
Foto: Eike Lenz | Im Dornröschenschlaf: Am Bahnhof in Markt Einersheim halten schon längst keine Züge mehr. Jetzt soll das Gebäude samt Umfeld versteigert werden.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:12 Uhr

Ein Lost Place? Einer jener verborgenen Orte, an denen die Zeit stillzustehen scheint? Nicht wirklich. Am Bahnhof Markt Einersheim halten zwar schon seit fast 40 Jahren keine Züge mehr, doch einen Gleisanschluss gibt es hier immer noch. Und so wird die Unterhaltung alle paar Minuten von einem tosenden ICE, einem behäbigen Regionalexpress oder einem rumpelnden Güterzug gestört. Überhaupt hat es an diesem nebelverhangenen Novembermorgen den Anschein, als erlebe der um 1865 errichtete Bahnhof gerade eine Art Wiedergeburt. Zahlreiche Autos parken in der schmalen Bahnhofstraße am Rande des 1250-Seelen-Dorfes, der Bürgermeister ist da, Menschen flanieren um das Gebäude, schauen die gelbe Sandsteinfassade hoch, geben sich die Klinke in die Hand. Dass sie alle hier sind, hat einen Grund.

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Herbert Volkamer will „Präsenz“ zeigen; er klingt in diesem Moment wie ein Polizist, der darüber wacht, dass alles seinen rechten Gang nimmt. Als Bürgermeister von Markt Einersheim blickt er skeptisch, fast etwas ungläubig auf den Trubel dieses Morgens. Auf Autos, die Nummernschilder aus Crailsheim oder Bad Segeberg tragen. Auf Menschen, die er nicht kennt und die mit prüfendem Blick das weitläufige Areal inspizieren. Und die nach ein, zwei, drei Stunden den Rückzug antreten, vollgepackt mit Eindrücken und bereit zum Gefecht. Manche wird er wieder sehen, andere wieder hören am Vormittag des 11. Dezember. Dann soll der Bahnhof Markt Einersheim in Berlin versteigert werden.

Der Bahnhof in Markt Einersheim, 1865 errichtet, gehört derzeit noch der Deutschen Bahn und steht unter Denkmalschutz.
Foto: Eike Lenz | Der Bahnhof in Markt Einersheim, 1865 errichtet, gehört derzeit noch der Deutschen Bahn und steht unter Denkmalschutz.

Seit die Deutsche Bahn in den 1990er-Jahren beschlossen hat, dass Bahnhofsgebäude nicht „betriebsnotwendig“ sind, stößt sie jedes Jahr Dutzende von Objekten ab, vor allem auf dem Land. Ihr Ziel ist es, so ein Sprecher, wirtschaftliche und andere Risiken für das Unternehmen zu reduzieren. Die Bahn will also vor allem verhindern, dass die nicht mehr benötigten, zumeist sanierungsbedürftigen Gebäude weiter Geld kosten.

Laut dem Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene gehören heute nur noch rund 700 von 2300 Bahnhofsgebäuden der Bahn. Der große Rest hat inzwischen andere Eigentümer: Kommunen, Privatleute, Investoren. Manche dieser ehemaligen Bahnhöfe haben weiterhin einen Haltepunkt, andere wie Markt Einersheim nicht einmal mehr das. Kein Schalter, kein Personal, kein Service. Menschen ohne Anschluss, wie die Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schon 2019 kritisierte.

Der alte Bahnhof soll das "Highlight der Winterauktion" sein

Für Matthias Knake ist diese Entwicklung ein Glücksfall. Etwa 800 Bahnhöfe in ganz Deutschland hat das Auktionshaus Karhausen, dem Knake als einer von zwei Vorständen angehört, seit 2010 im Auftrag der Bahn versteigert. Jetzt wird es auch den Markt Einersheimer Bahnhof unter den Hammer bringen. Knake, ein eloquenter Berliner, ist einst eigens von seinem Arbeitsplatz in Steglitz angereist, um sich das denkmalgeschützte Anwesen in der Bahnhofstraße 37 anzuschauen und zu bewerten. Es ist für ihn so etwas wie der heimliche Star der Auktion, ein „Platz mit Potenzial“, wie er sagt. Im Katalog heißt es: „Das imposante dreigeschossige Gebäude ist ein Highlight unserer großen Winterauktion.“

Die Eingangshalle verströmt den typischen Bahnhofscharme.
Foto: Eike Lenz | Die Eingangshalle verströmt den typischen Bahnhofscharme.

Beschränkt man sich rein auf die Fakten, dann stehen hier 591 Quadratmeter Nutzfläche und 8400 Quadratmeter Grund zum Verkauf, so steht es im Exposé der DB Immobilien Zentrale, das seit Wochen im Internet kursiert. Wer interessiert sich für ein Gebäude, an dem alles alt und sanierungsbedürftig ist und an dem im Minutentakt die Züge vorbeirauschen? Der Chefauktionator Knake muss nicht lange überlegen, um auf ein „wahnsinnig vielseitiges Klientel“ zu kommen: Familien, Künstler, externe Investoren oder ortsansässige Unternehmer, mitunter auch „bahnaffine Privatleute, die sich dort einquartieren und sich freuen, wenn ein Zug vorbeifährt“. Liebhaber, wenn man so will.

"Letztlich ist alles eine Frage des Preises."
Ein Interessent, der sich vom niedrigen Startgebot nicht täuschen lässt

Ein freundliches Pärchen, Anfang 50, ist an diesem Morgen aus Augsburg angereist. Die beiden besitzen bereits vier Bahnhöfe in Bayern und Baden-Württemberg, alle hergerichtet und vermietet. Im Grunde, sagen sie, seien die meisten Bahnhöfe gleich. Die Substanz weitgehend intakt, die Technik veraltet, hoher Sanierungsbedarf, so sei es auch hier. Worum es ihnen geht? „Man schaut sich an, ob man eine Verbindung dazu hat.“ Ob es an diesem Tag gefunkt hat zwischen ihnen und dem Gebäude? „Der Bahnhof ist schon interessant“, sagt der Mann. Letztlich sei „alles eine Frage des Preises“. Schließlich gehe es nicht nur um ein oft verlockend günstiges Angebot, sondern auch um die ungleich teurere Sanierung.

In den vier großzügig geschnittenen Wohnungen, alle  mit Bad und WC, ist die Zeit stehen geblieben.
Foto: Eike Lenz | In den vier großzügig geschnittenen Wohnungen, alle  mit Bad und WC, ist die Zeit stehen geblieben.

24 000 Euro sind als Startgebot aufgerufen, ein Schnäppchen für das in der Grundsubstanz intakte Gebäude samt Umfeld. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Wenn der Hammer fällt, ist es nicht selten ein Vielfaches des anfänglichen Preises. Der Bahnhof in Lehrberg im Kreis Ansbach wurde im März 2021 versteigert, Startpreis 9000 Euro, verkauft für: 105 000 Euro. Knake sagt, das sei ja das Interessante an seinem Job, diese Wundertüte, in die er jedes Mal greife. 100 000 Euro seien auch für den Bahnhof in Markt Einersheim denkbar.

Das Interesse ist groß. Bis vorige Woche hatte er 150 Anfragen, wenige Tage später sind es schon 230 – „deutlich überdurchschnittlich“, wie selbst der Fachmann sagt. Mit 15 bis 20 Geboten rechnet er. Ob auch der Bürgermeister die Hand heben und im Auftrag der Kommune mitsteigern wird? Herbert Volkamer will dazu nichts sagen, nicht jetzt, „das müssen Sie verstehen“.

Aus allen Wohnungen blickt man auf die Bahngleise und weit in die Natur.
Foto: Eike Lenz | Aus allen Wohnungen blickt man auf die Bahngleise und weit in die Natur.

Ein anderer ist redseliger an diesem Morgen. Ein Geschäftsmann aus der Region, seinen Namen will er lieber nicht nennen, aber er sagt, er habe Erfahrung mit Bahnhöfen und mit der Bahn. Nicht die besten offenbar. Er sagt, dass die „Entwicklung des Geländes“ das Hauptproblem sei und dass man nicht denken dürfe, man habe als Eigentümer alle Freiheiten. Tatsächlich liest man von Berichten, wonach die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsamt der Deutschen Bahn extrem kompliziert werden könnte.

Denn seine alten Gebäude verkauft das Unternehmen regelmäßig nur mit Auflagen. Oft muss der neue Besitzer etwa Bahn-Mitarbeitern den Zugang zu Räumen gestatten, in denen noch Stellwerkstechnik oder Schalttafeln für Signalanlagen installiert sind. Das Unternehmen sichert sich zudem Wege- und Leitungsrechte. Auch in diesem Fall fehlt nicht der Hinweis im Exposé auf die „besonderen Bedingungen der DB AG“.

Alle vier Wohnungen sind überraschend großzügig geschnitten

Das sollte man wissen, sagt der am Gleis stehende Geschäftsmann. Dafür erhält der Meistbietende ein Objekt mit vier großzügig geschnittenen Wohnungen, 79 bis 117 Quadratmeter groß, eine ist noch immer vermietet. Der letzte Mieter bahnt sich an diesem Morgen mit zwei Einkaufstaschen den Weg durch die Interessenten, wechselt unten, am Aufgang zu einer knarzenden Holztreppe, die Schuhe und verschwindet im ersten Stock wortlos hinter der Tür. Die drei übrigen Wohnungen sind leer und stehen offen zur Besichtigung, geräumige drei bis vier Zimmer, Küche, Bad, ein weiter Panoramablick auf den Ort und die Natur.

Die elektrischen Sicherungen wie hier im Raum des Fahrdienstleiters sind wie die gesamte Haustechnik reif fürs Museum.
Foto: Eike Lenz | Die elektrischen Sicherungen wie hier im Raum des Fahrdienstleiters sind wie die gesamte Haustechnik reif fürs Museum.

Hinzu kommen 200 Quadratmeter Nutzfläche im Dachgeschoss sowie das Erdgeschoss mit bahnhofstypischer Aufteilung: kleine Empfangshalle, Foyer mit WC, dahinter ein kanariengelber, holzvertäfelter Raum. Dort saß der Fahrdienstleiter an seinem Schaltpult, bis auch ihn im Mai 2020 der Fortschritt überflüssig machte. Eineinhalb Jahre später ist – bis auf einen alten Sicherungskasten an der Wand – sämtliche Technik verschwunden.

Für die Bahn wird das Kapitel in Markt Einersheim mit der Versteigerung und dem Verkauf des Bahnhofsgebäudes geschlossen sein – nach fast 150 Jahren. Gefühlt ist dieser Ort schon länger tot. 1982 hielt in Markt Einersheim der letzte Personenzug. Herbert Volkamer, bald 63 und seit 2014 ehrenamtlicher Bürgermeister der Marktgemeinde, ist als Schüler jeden Nachmittag dort ausgestiegen. „13.31 Uhr Abfahrt in Kitzingen, um 13.50 Uhr Ankunft in Markt Einersheim.“

 
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