Als die Ermittler vor neun Monaten vehement bei einem ambulanten Pflegedienst in Kitzingen anklopften, kam ihnen das kalte Grausen: Eigentlich gingen sie mit ihrer Razzia dem Verdacht nach, die Betreiber würden satt Geld kassieren, ohne den hilfsbedürftigen Senioren dafür gute Pflege zu bieten. Aber was sie vor Ort vorfanden, überstieg die Befürchtungen der Sonderermittler gegen Betrug im Gesundheitswesen: Sie fanden fünf alte Menschen in so elendem Zustand vor, dass sie sofort in bessere pflegende Hände gebracht werden mussten.
In Nürnberg beginnt der erste Prozess, ein Verfahren wegen Körperverletzung folgt
Ein Dreivierteljahr später müssen sich die Betreiber des Pflegedienstes - ein Ehepaar aus Würzburg und sein Sohn – ab diesem Dienstag am zuständigen Landgericht in Nürnberg wegen Abrechnungsbetrugs in 1022 Fällen verantworten. Die drei Beschuldigten sollen sich laut Anklage mit zu Unrecht kassierten 3,5 Millionen Euro ein Luxusleben mit teuren Autos und einer Villa mit Schwimmbad geleistet haben.
Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wartet in Würzburg das nächste Verfahren wegen Körperverletzung an den Pflegebedürftigen. "Auch unsere Ermittlungen sind abgeschlossen", sagt der Würzburger Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach. Anklage sei jedoch noch nicht erhoben.
Sonderermittler gingen einem anonymen Hinweis nach
Die bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) hat gegen die 47-Jährige, ihren 46-jährigen Mann und den 26 Jahre alten Sohn Anklage wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Betrugs beim Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes in Würzburg und Kitzingen erhoben. Die Angeklagte hat Sprecher Matthias Held zufolge ein Teilgeständnis abgelegt, die beiden Männer schwiegen zunächst.
Die Sonderermittler bei der bayernweit zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg waren durch einen anonymen Tipp in ihrem eigens dafür eingerichteten Hinweissystem auf den Fall aufmerksam geworden. Also durchsuchten sie im September 2022 die Anlage für betreutes Wohnen am markanten Eisenbahnviadukt mitten in Kitzingen – mit Erfolg.
Vorgaben nicht erfüllt: Es gab keine verantwortliche Pflegekraft
Ihren Ermittlungen zufolge sparte sich der Pflegedienst dort eine gesetzlich vorgeschriebene und fachlich besonders qualifizierte "Verantwortliche Pflegefachkraft". Deren Aufgabe wäre es, die Pflegequalität zu sichern und Pflegemängel durch eine angemessene Organisation und Kontrolle der Pflegeprozesse zu vermeiden.
Weil diese Fachkraft fehlte, soll es dem angeklagten Trio laut Zentralstelle "möglich gewesen sein, die Dokumentation der Leistungen nach eigenem Ermessen zu ändern, um nicht erbrachte Leistungen vorzutäuschen und die Qualität der Leistungen des Pflegedienstes auf ein Minimum zu reduzieren".
Zunächst soll das Ehepaar jahrelang allein abkassiert haben. Ab September 2017 soll sein Sohn als Bürokraft angestellt und zumindest ab Januar 2018 an der Organisation des Pflegedienstes und den mutmaßlichen Taten beteiligt gewesen sein. Nach Auffassung der Sonderermittler lag damit zumindest ab Januar 2018 eine Bande im Sinne des Strafgesetzbuchs vor. Mit den Erlösen sollen die Angeschuldigten "den luxuriösen Lebensunterhalt der Familie bestritten haben".
Illegale Abrechnung bei Krankenkassen: Ermittler gehen von 4,7 Millionen Euro Beute aus
Ohne Einstellung einer kompetenten verantwortlichen Pflegekraft wären die Pflegeleistungen für die von diesem Dienst betreuten Senioren in Kitzingen gar nicht abrechenbar gewesen. So sollen die drei vor allem von der AOK Bayern, aber auch von anderen Kranken- und Pflegekassen Auszahlungen in Höhe von insgesamt knapp 3,5 Millionen Euro unberechtigt erhalten haben.
Darüber hinaus soll das Ehepaar den Ermittlungen zufolge vor 2018 weitere über 1,2 Millionen Euro unberechtigt erhalten haben. Aber in diesem Punkt wurde das Verfahren - hauptsächlich wegen Verjährung - eingestellt. Teils auch, um das Verfahren zu vereinfachen angesichts fehlender Relevanz für die zu erwartende Strafe.
Hypotheken eingetragen: Ermittler wollen das Geld zurückholen
Die ZKG will die mutmaßlich zu Unrecht kassierten 4,7 Millionen Euro zurückholen. Zur Sicherung des Einziehungsbetrags wurden bereits Hypotheken in sieben bebaute Grundstücke eingetragen. Darüber hinaus wurden Vermögenswerte von über 1,6 Millionen Euro - ohne die Grundstücke - gesichert. Welcher Betrag durch die Hypotheken erlöst werden kann, ist noch nicht abschätzbar.
Die Angeklagten befinden sich wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr weiterhin in Haft. Bisher sind 26 Verhandlungstage bis 28. September angesetzt.