Im idyllischen Winzerort Sommerach hat sich Vasyl Hohol mit Frau Halyena (38 Jahre) und den beiden Töchtern (10 und 12) ein neues Leben aufgebaut, doch seine Gedanken sind aktuell nur in seiner ukrainischen Heimat: Am Donnerstag hat Russland einen Invasionskrieg in der Ukraine begonnen. Im Süden des Landes, mitten im Kriegsgebiet, leben Hohols Eltern zusammen mit seiner jüngeren Schwester (27) und deren Tochter (8).
Auch bei Halyena Hohols Familie im Norden des Landes tobt der Krieg. Sie können keine Lebensmittel kaufen, verstecken sich im Keller und fürchten um ihr Leben. Ihr Mann (37) beschreibt im Interview mit dieser Redaktion, zuletzt Sonntagfrüh aktualisiert, was ihre Verwandten und Freunde durchmachen, seine Erwartungen an Europa und wie er jetzt zu den Menschen in Russland steht.
Vasyl Hohol: Die Situation ist für uns wirklich sehr schwer gerade. Die Ukraine ist meine Heimat, dort leben meine Verwandten und gute Freunde. Ich bin traurig, mein Herz schmerzt, und ich kann nicht normal schlafen. Meine Eltern und meine jüngere Schwester mit ihrer Tochter leben in der Südukraine, in der Nähe zur Grenze mit der Krim. Den genauen Ort möchte ich nicht nennen, aber die nächstgrößere Stadt ist Kachowka. Dort sind jetzt nur russische Soldaten, auch keine Reporter. Das ist ein Problem, denn so kann niemand zeigen, was dort passiert. In den russischen Nachrichten behaupten sie, dass sie nur Soldaten und militärische Ziele bombardieren, aber das ist falsch.
Hohol: Die Russen bombardieren die Städte und Dörfer, auch Kinder sind gestorben. Am Sonntag wollten viele Leute aus dem Heimatort meiner Familie flüchten, wurden aber von russischen Soldaten beschossen, auch eine Familie im Auto. Die Kinder, eineinhalb und sechs Jahre alt, sind tot. Ein Mann fuhr mit dem Fahrrad zum Geschäft und wurde von einer Bombe getroffen. Tot. Ein guter Freund, mit dem ich am Samstag telefoniert habe, ist Pastor in Kachowka. Er wollte Kinder evakuieren, aber es hat nicht geklappt. Russische Soldaten haben auch sein Auto mit den Kindern darin beschossen.
Hohol: Nein! Meine Schwiegermutter zum Beispiel wohnt im Norden der Ukraine, dort ist die Situation ähnlich schlimm. Sie hat uns ein Video geschickt, auf dem Panzer, Flugzeuge und Hubschrauber zu sehen sind – und überall nur russische Soldaten. Die Häuser brennen und die Menschen verstecken sich. So auch die Schwester meiner Frau, die sich jetzt gerade mit vielen Leuten im Keller eines Häuserblocks befindet.
Hohol: Wir wollen helfen, aber wir wissen nicht, wie. Die Apotheken sind zu, das Krankenhaus ist zu, die Geschäfte sind alle zu. Sie können weder Essen noch Getränke kaufen, weil sie kein Geld von der Bank abheben können. Uns haben auch hier schon Kollegen Spenden angeboten. Für dieses Vertrauen sind wir dankbar und freuen uns, dass die Leute helfen wollen. Aber wir nehmen kein Geld an, weil wir es nicht hinschicken können. Wir fühlen uns sehr hilflos.
Hohol: Das wollten wir, aber es hat nicht geklappt. Meine Mutter wohnt genau dort, wo Krieg ist und gekämpft wird. Ihr Haus liegt höchstens zehn Meter von der Straße entfernt, auf der nun Panzer fahren. Meine Verwandten können nicht nach draußen gehen, weil so viele Raketen auf der Straße liegen. Und auch Leichen. Ein junger Mann wollte zum Tanken fahren, und sie haben ihn erschossen – einfach so. Alle haben Angst.
Hohol: Wir alle hatten gehofft, dass es nur Worte sind und Putin nur möglichst viel Angst verbreiten will. Aber am Donnerstag um 4 Uhr haben sie schon die ganze Ukraine bombardiert. Genau 900 Meter von meinem Elternhaus entfernt war eine Unterkunft für ukrainische Soldaten, sie wurde sofort angegriffen. Meine Familie hat das alles gehört und gesehen und war natürlich in Panik. Sie haben mich angerufen, aber ich kann nichts tun.
Hohol: Ich habe zu meiner Frau gesagt: Wenn ich kann, fahre ich zurück und kämpfe. Das ist schließlich meine Heimat. Wir sind aber wegen mir und meiner Ausbildung hierher nach Sommerach gekommen. Und wenn ich zurückfahre, müsste meine Familie mitkommen. Darum bleibe ich hier mit meiner Frau und den beiden Töchtern. Meine Freunde dort werden kämpfen gehen, aber das ist nicht, was sie wollen. Sie wollen diesen Krieg nicht, sondern eine Lösung. Dafür beten wir alle.
Hohol: Wir sind vor fast zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Ich habe ein Visum bekommen und die Ausbildung zum Maurer in der Baufirma von Robert Plannasch in Dettelbach begonnen. Wir haben schon in der Ukraine Deutsch gelernt als zweite Fremdsprache, aber ich lerne auch weiter Deutsch nach der Arbeit und nach der Schule. Ich will hier bleiben mit meiner Familie. Dazu gehört aus Respekt vor diesem Land, die Sprache gut zu können.
Hohol: Wir schauen natürlich Nachrichten und haben gesehen, dass Kanzler Olaf Scholz bei uns in der Ukraine war. Sie suchen einen diplomatischen Weg, wollten zum Beispiel der Ukraine lange keine Waffen liefern. Aber ich weiß nicht, warum. Danke, dass sie es versucht haben, aber mit Putin funktioniert das Reden nicht. Amerika hingegen hat schon früher Waffen in die Ukraine geschickt, das finde ich richtig. Aber warum haben die Europäer das so lange nicht gemacht? Es ist ihr Kontinent.
Hohol: Nein, ich verstehe, dass Deutschland keinen Konflikt mit Russland haben will. Deutschland muss nichts, aber es wäre gut, wenn alle noch mehr Druck machen könnten auf Putin. An dem Krieg ist nur er schuld und manche Politiker. Die Russen sind wie Geschwister für uns, wie eine Familie. Meine Frau hat auch Verwandte dort und wir haben viele Freunde. Sie alle wollen auch keinen Krieg haben, sie sagen dasselbe wie wir.
Hohol: Ich erzähle ihnen alles, sie verstehen das schon. Sie sind in der Grundschule und in der Realschule. Wir reden viel mit unseren Kindern. Und wenn sie fragen, muss ich sowieso antworten. Es ist sowieso wichtig, dass möglichst viele Menschen hier erfahren, was in der Ukraine wirklich passiert. Darum bin ich auch dankbar für dieses Interview. Es ist eine wichtige Unterstützung.
Werden „zivile Objekte und Zivilisten direkt angegriffen“, verstößt die russische Armee gegen die Regeln bewaffneter Konflikte sowohl der Haager als auch der Genfer Konvention!