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Kitzingen
Folgen des Ukraine-Kriegs und desinteressierter Politik: 4 Probleme der Kitzinger Tafel
Für die Tafeln kommt gerade alles zusammen: wirtschaftliche Probleme, die nächste Flüchtlingswelle, weniger Waren und eine Politik, die sich nicht kümmert.
Manfred Seigner im Lager der Tafel. Weil weniger Spenden kommen und es gleichzeitig mehr Bedürftige gibt, kommen die Helfer einmal mehr an Grenzen.
Foto: Anna Kirschner | Manfred Seigner im Lager der Tafel. Weil weniger Spenden kommen und es gleichzeitig mehr Bedürftige gibt, kommen die Helfer einmal mehr an Grenzen.
Frank Weichhan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:54 Uhr

Manfred Seigner hat es gewusst. Als sich vor einigen Monaten abzeichnete, dass die Lebensmittel teurer werden, war eines klar: Der Andrang auf die Kitzinger Tafel nimmt wieder zu. Genau so kam es dann auch: "Jetzt zieht es an", sagt er mit Blick auf die aktuelle Lage. Wobei es nicht nur die explodierenden Preise sind, die ihm Sorge bereiten – im Moment hat nicht nur die Kitzinger Tafel mit einem ganzen Berg an Problemen zu kämpfen.

1. Problem: Mit den steigenden Preisen kommen mehr Menschen

"Jetzt zieht es an!", diesen Satz sagt auch Manfred Müller. Er ist wie Manfred Seigner ein Mann der ersten Stunde bei der Kitzinger Tafel. Als Leiter des Tafelbüros im Paul-Eber-Haus hat er im Blick, wer das Hilfsangebot in Anspruch nehmen darf und wann die Kapazitätsgrenze erreicht ist. Letzteres ist mehr oder weniger fast immer der Fall – diesmal aber könnte es richtig dicke kommen. Die Helfer haben es gleich mit einem ganzen Problem-Mix zu tun.

Was die Analyse anbelangt, sind sich die beiden Männer einig. Problem eins: Durch die steigenden Preise rutschen immer mehr Menschen ab und klopfen entsprechend bei der Tafel an.

2. Problem: Die Politik stiehlt sich aus der Verantwortung – weil es die Tafeln gibt

Problem zwei ist die Politik: Als selbstverständlich werden die Tafeln wahrgenommen. Dabei sind sie eigentlich nicht Teil des Sozialsystems, sondern so etwas wie die Ausputzer.

Gleichzeitig warte man oft vergeblich auf Hilfe vom Gesetzgeber: Dass die Tafel-Autos steuerbefreit werden, müsste eine Selbstverständlichkeit sein, argumentieren die Ehrenamtlichen. Und dass der Hinweis auf die Tafel immer dann kommt, wenn anderswo nichts mehr geht und sich dadurch so mancher aus der Verantwortung stehlen kann, ärgert die Männer ebenfalls. "Die Tafeln", lautet deshalb auch einer von Seigners Lieblingssätzen, "dürfte es eigentlich gar nicht geben!"

3. Problem: Lebensmittel, die in die Ukraine geschickt werden, fehlen hier

Problem drei: die Ukraine-Krise. Zum einen geben einige Märkte gespendete oder übrig gebliebene Ware direkt in die Ukraine ab. Andererseits sind viele ukrainische Kriegsflüchtlinge hier und müssen zumindest so lange versorgt werden, bis ihr Hartz-IV-Antrag bewilligt ist.

Während in staatlichen Unterkünften das Catering mit dabei ist, sieht das bei privat untergebrachten Ukrainerinnen und Ukrainern anders aus: Dort werden, bis das Geld fließt, durchaus Lebensmittel als Überbrückung benötigt.

4. Problem: Die Zahl der Lebensmittelspender nimmt ab

Ohne genügend Lebensmittelspenden wird es für die Tafeln immer schwieriger.
Foto: Anna Kirschner | Ohne genügend Lebensmittelspenden wird es für die Tafeln immer schwieriger.

Problem vier: Die Zahl der Lebensmittelspender nimmt eher ab. "Wir brauchen mehr Waren; es reicht hinten und vorne nicht", bringt es Seigner auf den Punkt. Es ist ein Hilferuf, hier funkt einer SOS: "Die Tafeln wissen nicht mehr, wie sie es noch machen sollen!" Es hat ein fataler Kreislauf eingesetzt: Die Unternehmen kalkulieren in diesen angespannten Zeiten knapper; entsprechend bleibe weniger übrig.

Teilweise ist manches auch erst gar nichts da, weil die Lieferketten nicht klappen. Als Beispiel nennt Seigner die Bäcker: Wurde früher auch tagsüber nachgebacken, ist so mancher Laden schon am frühen Nachmittag leergekauft. Und dann gebe es auch Händler, die interessier schlichtweg nicht, dass es die Tafeln gibt – die würden immer noch lieber Waren wegwerfen.

Auch hier, da sind sich die beiden Tafel-Urgesteine einig, müsste die Politik dringend eingreifen: "Es gibt zu wenig Unterstützung!" Ein Blick nach Frankreich reiche, um zu sehen, wie es gemacht werden müsste: Dort ist es verboten, Lebensmittel wegzuwerfen – was übrig ist, muss gespendet werden. Davon sei Deutschland immer noch weit weg, kann es Seigner nicht fassen.

"Die Tafeln wissen nicht mehr, wie sie es noch machen sollen!"
Manfred Seigner, Chef der Kitzinger Tafel

Das Ergebnis all dessen: Die Tafel darf alles ausbaden, sie ist in vielerlei Hinsicht selbst zum sozialen Brennpunkt geworden. "Die Probleme sind vielschichtig", drückt es Seigner diplomatisch aus. Das war in der Flüchtlingskrise so und ist jetzt wieder so, wenn bei der Warenausgabe Ukrainer auf Russen treffen und die Helfer sehen müssen, wie sie das friedlich über die Bühne bekommen. 33 Nationen kommen bei der Tafel-Kundschaft inzwischen zusammen – auch das ein Problem, über das viel zu selten geredet werde.

Und die Zahlen lügen nicht: 330 Berechtigungskarten für Familien sind derzeit im Umlauf – es geht wieder dem Höchststand entgegen. Hinter den 330 Karten verbergen sich 492 Erwachsene und 388 Kinder. Davon gehören über 73 Prozent anderen Nationen an, gut 26 Prozent sind Deutsche. 83 der Erwachsenen und 62 der Kinder sind aktuell aus der Ukraine.

Trotz oder gerade wegen der nicht einfachen Umstände – das Helfenwollen zeichnet alle Tafel-Mitarbeiter aus, auch wenn es immer weniger werden. Die Führungsriege macht weiter – unverdrossen, so weit das eben geht. Ende vergangener Woche bei der Mitgliederversammlung ließ sich das Team mit Manfred Seigner weitgehend wiederwählen. Anfang kommenden Jahres geht die Kitzinger Tafel dann bereits in ihr 20. Jahr. Ganz schön lange für jemanden, den es gar nicht geben dürfte.

 
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