Glaubt man Frank Winterstein, dann hat er alles versucht. Doch was will er tun? Gegen das Gesetz komme er nicht an, sagt der Mann, der im Kitzinger Rathaus dafür zuständig ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt zu garantieren. Im Umkehrschluss bedeutet das: Würde die Stadt auf allen städtischen Straßen Tempo 30 einführen, würde sie gegen geltendes Recht verstoßen. So hat es Winterstein am Donnerstagabend im Kitzinger Stadtrat erklärt. Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) ließ daher erst gar nicht über einen entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion abstimmen.
Die Sache ist komplex. Bislang sieht die Straßenverkehrsordnung innerorts grundsätzlich 50 Kilometer pro Stunde als Höchstgeschwindigkeit vor. Tempo 30 oder andere abweichende Vorgaben müssen begründet werden. Genau darin liegt das Dilemma. "Eine gefühlte Gefahr", sagt Winterstein, "reicht nicht. Es muss eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bestehen."
Eine Gefahr für Leib und Leben aber sieht die Kitzinger Polizei nicht – nicht in der Alten Burgstraße, nicht in der Friedenstraße, nicht in der Schrannenstraße, noch nicht einmal in der engen Rosenstraße, die auf halber Strecke in einem 90-Grad-Winkel abknickt. Genau in diesem Knick liegt die gut genutzte Außenfläche eines griechischen Restaurants. "Da bekommt der Name ‚Drive in‘ eine ganz andere Bedeutung", sagte Manfred Paul (SPD) sarkastisch.
Nicht nur Paul fiel es schwer, die gemeinsam getroffene Einschätzung von Stadt und Polizei nachzuvollziehen. In der Friedenstraße etwa, einer der Zufahrten zum Bahnhof, seien morgens "zig Schulkinder" unterwegs. Dass nicht einmal mehr dieses Argument zähle, müsse man "kritisch überdenken", sagte Jens Pauluhn (ÖDP). Die Stadt solle Forderungen schriftlich fixieren, müsse "auch mal Zähne zeigen". Von Winterstein wollte er wissen, wie die Ergebnisse der Verkehrsschauen zustande gekommen seien und ob die Stadt ihre Interessen "mit genügend Nachdruck" verfolgt habe.
Vor Einführung von Tempo 30 müsse die Polizei befragt werden
Winterstein sagte, bei diesen Begehungen sei immer der Verkehrssachbearbeiter der Polizei dabei. Und ja, bei der Friedenstraße etwa habe man "heiß diskutiert". Der OB gab zu verstehen, vor einer Entscheidung auf Tempobegrenzung sei "immer die Polizei beizuziehen". An deren Urteil müsse er sich halten – "ob es mir gefällt oder nicht". Wie es dann andere Städte geschafft hätten, auf ganzer Breite Tempo 30 einzuführen, wandte Andreas Moser (CSU) ein? Die Frage blieb unbeantwortet.
Flächendeckend Tempo 30 bedeutet nachweislich mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Das belegt eine Studie aus Großbritannien. Nachdem dort sogenannte Speed Zones von 20 Meilen (etwa 32 km/h) eingeführt worden waren, verringerten sich die Unfälle über 20 Jahre um etwa 40 Prozent. Es gab weniger Unfälle mit Kindern und insgesamt weniger Tote oder Schwerverletzte. Geschwindigkeit, so die wenig überraschende Erkenntnis, ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um die Schwere von Verletzungen nach Kollisionen geht.
Mit der Initiative "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten", der auch Kitzingen beigetreten ist, versuchen inzwischen fast 300 Städte auch in Deutschland Druck zu machen. Sie wollen erreichen, dass Kommunen leichter Tempo-30-Zonen einrichten können.
Bis es so weit ist und der Gesetzgeber entschieden hat, sieht Frank Winterstein, der Mann vom Kitzinger Ordnungsamt, auch die Autofahrer in der Pflicht. Es dürfe nur so schnell gefahren werden, wie es der Verkehrsfluss erlaube, sagte er im Stadtrat. Und Stephan Küntzer (CSU) erklärte: "Straßenverkehr muss und sollte auch in den Köpfen der Leute stattfinden."
Die Stadt wurde schon einmal von der Regierung zurückgepfiffen
Allein auf menschliche Vernunft möchten sich viele im Stadtrat aber besser nicht verlassen. Um die Innenstadt zu beruhigen, hatte das Gremium schon vor zwei Jahren ein Signal der Entschleunigung setzen wollen – und wurde von der Regierung von Unterfranken prompt zurückgepfiffen. Die Aufsichtsbehörde beanstandete den Beschluss, auf allen städtischen Straßen Tempo 30 einzuführen, als rechtswidrig – weil nicht nachgewiesen sei, dass an den ins Auge gefassten Stellen tatsächlich beträchtliche Gefahren für Leib und Leben bestünden. Alles auf Anfang also.
Laut Bürgermeister Manfred Freitag (FW-FBW) war der jetzt von der SPD eingebrachte Antrag der dritte seiner Art seit 2011. Da auch dieser Anlauf gescheitert ist, empfehlen Freitag und Alt-OB Siegfried Müller (UsW), auf anderem Weg ans Ziel zu kommen. "Es liegt an uns", so Müller, "den Verkehrsfluss durch Umbaumaßnahmen in der Innenstadt zu hemmen."
Kaiserstraße und Falterstraße gehören offiziell noch dem Staat
Die Logik, die dahintersteckt, muss man nicht verstehen, aber sie erweist sich offenbar als erfolgreich: Man beraubt Straßen quasi ihres eigentlichen Zweckes, indem man sie zurückbaut, künstliche Engstellen schafft oder sie anders zuschneidet. So war das am oberen Mainkai, früher Tempo-50-Bereich, jetzt, nach der aufwändigen Neugestaltung durch die Stadt, verkehrsberuhigte Zone. Überall dort also, wo Straßen kaum noch Straßen sind, darf das Tempo auf 30 oder sogar noch niedriger gesetzt werden.
Kaiserstraße, Luitpoldstraße und Falterstraße kamen in der aufgeregten Debatte noch gar nicht vor. Sie gelten offiziell noch als Staatsstraßen und stehen im Staatlichen Bauamt in Würzburg seit Jahren auf dem Prüfstand – bislang ohne Ergebnis. Der Kitzinger Bauamtsleiter Oliver Graumann geht davon aus, dass alle drei Straßen "vermutlich Anfang 2023" umgewidmet werden und dann der Stadt gehören. Das, so mahnte Stephan Küntzer an, sei auch dringend nötig, da der Innenstadt-Wettbewerb sonst in weiten Teilen sinnlos sei.