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Kitzingen/Würzburg
Radikale "Miss" aus Mexiko: Die erste Frau, die am Main öffentlich für Hitler warb
Vor 100 Jahren verbreitete die völkische Agitatorin Andrea Ellendt von Kitzingen aus im Maindreieck Hassparolen. Oft ließen die Behörden sie gewähren - mit Folgen.
Die rechtsradikale Agitatorin Andrea Ellendt (Vierte von rechts) im September 1923 bei einer Totenehrung in Kitzingen.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Die rechtsradikale Agitatorin Andrea Ellendt (Vierte von rechts) im September 1923 bei einer Totenehrung in Kitzingen.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:58 Uhr

Die 31-jährige Frau, die ihre Bewunderer und Gegner "Miss" nannten, war eine auffallende Erscheinung: Als "schlank und damenhaft gepflegt" beschreibt sie ein Augenzeuge. Auf dem Haar trug sie einen kleinen Hut, der an einen Stahlhelm erinnerte, und auch der schwarze Mantel mit dem breiten Ledergürtel hatte etwas Militärisches. Ihr großzügiger Lebenswandel ließ auf wohlhabende Förderer schließen. Unter anderem munkelte man, ein Süßwarenfabrikant sei einer von ihnen.

Andrea Ellendt umgaben zahlreiche Geheimnisse. War sie die mexikanische Frau eines in Amerika hingerichteten deutschen Spions? Hatte sie wirklich 1920 in München in Veranstaltungen mit Adolf Hitler, dem Vorsitzenden der gerade gegründeten NSDAP, geredet? Hatte Otto Hellmuth, der Marktbreiter Zahnarzt und Star unter den regionalen Rechtsradikalen, sie nach Kitzingen geholt? Die Sache mit dem Spion war eine Erfindung, doch der Rest stimmte.

Die erste Frau, die in Unterfranken öffentlich für Hitler warb

Andrea Ellendt und der 26-jährige Otto Hellmuth standen 1922 und 1923 im Mittelpunkt der völkischen Agitation im Maindreieck. Die 31-Jährige war nach Ansicht des Historikers Michael H. Kater die erste Frau, "die damals in großem Stil öffentlich und mit Erfolg" für Hitler und dessen rassistische Ideen warb. In Unter- und Mittelfranken gab sie durch zahlreiche Auftritte der rechtsradikalen Bewegung einen entscheidenden Anstoß und warb der völkischen Idee in den vorwiegend evangelischen Landstädten und Gemeinden um Kitzingen herum Hunderte, wenn nicht Tausende von Sympathisanten.

Andrea Ellendt wurde am 10. November 1890 als Tochter eines großbürgerlichen deutschen Ehepaars in Mexiko geboren. Ihrem Vater gehörte eine Mine, ihr Großvater hatte als deutscher Generalkonsul in Mexiko gewirkt. Ihr ebenfalls aus Deutschland stammender erster Mann, Kapitänleutnant Renatus Ellendt, starb 1918. Er wurde in Wiesbaden begraben, weiß die Geschichtsforscherin Jutta Körner. Von ihr stammt auch die Information, dass das Ehepaar eine 1915 geborene, offenbar behinderte Tochter hatte, um die sich Andrea Ellendt kaum kümmerte.

Hitler-Anhänger Otto Hellmuth holte die Agitatorin aus München nach Kitzingen

Otto Hellmuth, früher Hitler-Anhänger und seit 1922 NSDAP-Mitglied, holte die Ellendt im August 1922 aus München ins Maindreieck. Sie zog nach Kitzingen und begann hier und in den umliegenden Orten, besonders in Dettelbach, Mainstockheim und Mainbernheim, sofort mit einer breitangelegten antisemitischen und demokratiefeindlichen Agitationstätigkeit. In Marktbreit verlief eine öffentliche Versammlung in solch gewalttätigen Bahnen, dass eine zweite Veranstaltung verboten wurde, die dann aber doch als "geschlossene Versammlung" stattfand.

In Kitzingen konnten sich die Behörden Mitte September ebenfalls nicht durchsetzen. Obwohl auch hier die Ellendt-Auftritte ursprünglich verboten waren, wurde der Bürgermeister gezwungen, einen Saal freizugeben. Das Stadtoberhaupt erklärte, es sei unmöglich gewesen, die Autorität der Behörden aufrecht zu erhalten; im Interesse der Ruhe habe er nachgeben müssen.

Auftritte mit "Sturmtrupps" trotz Veranstaltungsverboten

Andrea Ellendt umgab sich mit "Sturmtrupps", die mit Gummiknüppeln und Schlagringen ausgestattet waren, vorwiegend aus jungen Leute aus Kitzingen, Marktbreit und Mainbernheim bestanden und sich durch Gewalt gegen Andersdenkende hervortaten. Sie waren offenbar dafür verantwortlich, dass die Behörden die immer wieder ausgesprochenen Veranstaltungsverbote nicht mit dem nötigen Nachdruck aufrechterhielten.

Als für den 1. Oktober 1922 in Dettelbach eine völkische Versammlung mit Ellendt und Hellmuth angesetzt wurde, beschloss der Stadtrat immerhin, die Vorgänge beobachten zu lassen. Für diese Aufgabe stellte er den zweiten Bürgermeister und Stadtsekretär Lorenz Wolf ab. Dieser fertigte ein sechseinhalbseitiges Protokoll an, das noch heute im Staatsarchiv in der Würzburger Residenz liegt, zusammen mit zahlreichen weiteren Akten über Ellendt.

Beredsamkeit als wirkungsvolles Kampfmittel

Wolf notierte unter anderem ihre Äußerung, "dass die Juden, die die Not Deutschlands verschuldet, bei uns nichts zu suchen haben". Ein einziges Volk, erklärte sie, "wäre direkt schlecht in der Welt, und das sei das Volk Israel". Sie propagierte "eine strikte Diktatur zum Wohle des deutschen Volkes" und erntete laut Lorenz Wolfs Protokoll lautstarken Applaus.

Die Beredsamkeit der Ellendt erwies sich als einzigartig wirkungsvolles Kampfmittel. Der Hamburger Albert Krebs, der sie in Unterfranken mehrmals sprechen hörte, stellte erstaunt fest, "dass sich Bauern, Arbeiter und Studenten auf ihren Wunsch hätten in Stücke hauen lassen".

Der Gewerkschafter Alfred Helfricht erinnerte sich an die Folgen ihrer Auftritte: "In Kleinlangheim hatten die Juden vor ihren Häusern Holzstöße", berichtetet er in einem Interview vor 40 Jahren, "da haben die Ellendt-Leute Scheite angebohrt und scharfe Munition hinein. Ein Jude hat geschürt und sein Ofen ist in die Luft geflogen. Die haben nachts Fenster eingeschlagenen und Wände beschmiert. Das war bitterer Ernst." Ein Haus, das einem Juden gehörte, brannten die Anhänger der Agitatorin zusammen mit seiner Scheune nieder.

"Die haben nachts Fenster eingeschlagenen und Wände beschmiert. Das war bitterer Ernst."
Gewerkschafter Alfred Helfricht über Anhänger der Agitatorin im Maindreieck

Polizeikräfte rückten aus Würzburg an, um für Ruhe zu sorgen. Alfred Helfricht weiter: "Die hätten ja die Juden da draußen totgeschlagen, so verhetzt waren die. Die Polizei musste ein paar Wochen dableiben, um die Judenhäuser zu schützen. Die warten so fanatisch, die haben sich an ihre Häuser weiße Kreise malen lassen mit einem Hakenkreuz darin. Die wollten zeigen: Wir gehören dazu. Und die Pfarrer in den evangelischen Orten, die standen alle dahinter."

Protestantischer Pfarrer angetan vom "hervorragenden sittlichen Einfluss"

Wenn wohl auch einzelne Pfarrer das Treiben der Völkischen kritisch sahen, so ist doch belegt, dass sich beispielsweise der protestantische Pfarrer Georg Bauer uneingeschränkt positiv über Andrea Ellendt äußerte. Ihre Wirkung sei "von hervorragendem sittlichen Einfluss auf das Volk", sagte der Geistliche aus Bimbach, heute ein Stadtteil von Prichsenstadt (Lkr. Kitzingen). In einer Zeit der Demoralisation und des Materialismus habe es die Ellendt fertiggebracht, "große Erfolge hinsichtlich der sittlichen Erneuerung des Volkes zu erreichen". Bauer: "Ich stütze mich hierbei nicht nur auf meine eigenen Erfahrungen, sondern auch auf das Urteil meiner Kollegen."

Eine für den 24. August 1922 in Würzburg angekündigte Veranstaltung mit Andrea Ellendt wurde verboten. Im folgenden Dezember konnte sie dagegen in einer Massenversammlung in der Domstadt reden.
Foto: Stadtarchiv Würzburg | Eine für den 24. August 1922 in Würzburg angekündigte Veranstaltung mit Andrea Ellendt wurde verboten. Im folgenden Dezember konnte sie dagegen in einer Massenversammlung in der Domstadt reden.

Der Würzburger Stadtrat lehnte mehrere Anträge ab, die Ellendt auch in der Domstadt reden zu lassen. Eine Versammlung am 24. August 1922, für die schon per Zeitungsanzeige geworben wurde, kam nicht zustande; auch eine zweite verbot der Stadtrat einstimmig. Allerdings hob die Bezirksregierung dieses Verbot auf. Die Würzburger Juden beschworen Regierungspräsident Julius von Henle daraufhin, dem Votum des Stadtrats zu folgen, denn es drohe "eine schwere Gefährdung des konfessionellen Friedens, deren Tragweite nicht abzusehen ist". Henle antwortete, dass die gesetzlichen Vorschriften leider nicht ausreichten, die "Vorträge" zu verbieten und dass die Juden am besten die Ellendt gar nicht beachten sollten, denn dann werde sich "jene Bewegung von selbst totlaufen".

Auftritt in Würzburg, bewacht von Hunderten Polizeibeamten

Die Veranstaltung fand schließlich am 17. Dezember 1922 im überfüllten "Huttenschen Garten" (heute tegut) statt, bewacht von Hunderten Polizeibeamten, die den Saal von kritischen SPD-Mitgliedern räumten. Ungestört konnte Andrea Ellendt ihre fanatisierten Anhänger dazu auffordern "zu kämpfen, dass der Stern Judas untergeht und das Kreuz Christi im Sinnbild des Hakenkreuzes wiederaufersteht". Der Berichterstatter des "Fränkischen Volksblatts", Organ der katholischen Bayerischen Volkspartei (BVP), zeigte sich beeindruckt: "Frau Ellendt ist eine feurige und überzeugende, äußerst ernst zu nehmende Rednerin", schrieb er.

Als viele Ellendt-Anhänger, die per Bahn aus dem Maindreieck angereist waren, anschließend zum Hauptbahnhof zogen, kam es am Barbarossaplatz zu einem Handgemenge mit Gegnern der Agitatorin. Diese Auseinandersetzung stilisierte die NSDAP später zur "ersten Würzburger Straßenschlacht" hoch.

Eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Anhängern Andrea Ellendts fand am 17. Dezember 1922 nach ihrer Rede in Würzburg auf dem Barbarossaplatz statt. Die NSDAP stilisierte das Ereignis später zur 'ersten Würzburger Straßenschlacht' hoch.
Foto: Repro: Roland Flade | Eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Gegnern und Anhängern Andrea Ellendts fand am 17. Dezember 1922 nach ihrer Rede in Würzburg auf dem Barbarossaplatz statt.

Im Januar 1923 lag dem Würzburger Stadtrat ein weiterer Antrag der völkischen Verbände des Maindreiecks vor, eine Veranstaltung mit Andrea Ellendt in Würzburg zu genehmigen. Bei der Abstimmung ergab sich nur eine äußerst knappe Mehrheit für die Ablehnung. Mit einer Ausnahme stimmten alle BVP-Mitglieder für die Erlaubnis.

1923 zurück nach Mexiko - am Maindreieck  gingen die Hassparolen weiter

Warum Andrea Ellendt im Herbst 1923 noch vor dem Hitler-Putsch Unterfranken verließ, ist nicht klar. Bekannt ist jedenfalls, dass sie nach Mexiko zurückkehrte und dort, wie Jutta Körner ermittelt hat, einen deutschstämmigen Kaffeefarmer heiratete. 1931 starb sie an den Komplikationen einer Fehlgeburt. Sie wurde in Mexico City beerdigt.

Das "Marktbreiter Wochenblatt", Zentralorgan der Völkischen des Maindreiecks, verbreitete die Ellendt’schen Hassparolen bis zu seiner Einstellung 1924 weiter. Am 26. Oktober 1923 schrieb das amtliche Organ von Marktbreit, Segnitz, Hüttenheim, Gnodtstadt und anderen Gemeinden, beispielsweise: "Es ist unbedingt nötig, die Juden zu töten."

Otto Hellmuth, der Andrea Ellendt nach Unterfranken gebracht hatte, wurde 1928 Gauleiter der NSDAP und 1934 Regierungspräsident. Nach längerer Inhaftierung betrieb er in der Nachkriegszeit eine erfolgreiche Zahnarztpraxis in Reutlingen. Von seinen Überzeugungen hat er sich nie distanziert. 1968 tötete er sich an Hitlers Geburtstag. An die Wand schrieb er mit seinem eigenen Blut "Heil Hitler!"

 
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Kommentare
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  • giacomo
    Das zeigt, was Hass und Hetze anrichten. Egal ob im Bundestag, im Internet oder auf der Straße!
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  • jutta.noether@web.de
    Und es zeigt, wie schnell eigentlich ganz normale Bürger durch solche Parolen infiziert werden können.
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