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WÜRZBURG
Unterfrankens Weg ins Dritte Reich begann schon 1919
„Führer“ und Gauleiter: Adolf Hitler und Otto Hellmuth 1930.
Foto: Stadtarchiv Würzburg | „Führer“ und Gauleiter: Adolf Hitler und Otto Hellmuth 1930.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 11.12.2019 20:00 Uhr

Wie im übrigen Reich kam auch in Unterfranken die nationalsozialistische Bewegung nicht über Nacht. Ihre Wurzeln lassen sich bis in die Jahre unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgen.

Damals entstanden zahlreiche rechtsradikale Gruppierungen, die eine Verherrlichung des angeblich höherwertigen Deutschtums mit der Ablehnung aller als „minderwertig“ empfundenen „undeutschen“ Einflüsse verbanden. Von Anfang an dabei: Otto Hellmuth, der spätere Gauleiter.

1919/20:

Der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ überschwemmt Unterfranken mit antisemitischen Flugblättern, Klebezetteln und Zeitungsanzeigen. Ortsgruppen entstehen in Würzburg, Aschaffenburg, Schweinfurt, Ochsenfurt und Marktbreit. In Marktbreit steckt der 23-jährige Zahnmedizinstudent Otto Hellmuth nachts judenfeindliche Flugblätter in Briefkästen.

August 1921:

In Kitzingen entsteht eine NSDAP-Ortsgruppe. Würzburg folgt im Dezember 1922.

1922/23:

Die von Otto Hellmuth geholte Agitatorin Andrea Ellendt hetzt im Maindreieck in Veranstaltungen gegen die Republik und die Juden und fordert eine „strikte Diktatur“. Völkische Sturmtrupps terrorisieren Besucher, die anderer Meinung sind.

26. Oktober 1923:

Das Marktbreiter Wochenblatt, Kampfblatt der Völkischen, schreibt: „Es ist unbedingt notwendig, die Juden zu töten.“ Zu den Mitarbeitern des Wochenblatts gehört Otto Hellmuth, der sich inzwischen als Zahnarzt in Marktbreit niedergelassen hat.

9. November 1923:

Am Tag, an den Hitler in München einen Putschversuch unternimmt, erhält die Ortsgruppe Karlstadt des mit Hitler verbündeten Kampfverbandes „Oberland“ versiegelte Befehle. Die Männer sollen bewaffnet zum Sitz des Regierungspräsidenten nach Würzburg marschieren. Der Putsch bricht zusammen, daher verlassen die Männer Karlstadt nicht. Die NSDAP wird für anderthalb Jahre verboten.

6. April 1924:

Die Mitglieder der aufgelösten NSDAP haben sich mit anderen rechtsradikalen Gruppierungen im „Völkischen Block“ zusammengeschlossen. Der Block erreicht bei der Landtagswahl in Unterfranken einige sensationelle Ergebnisse: Stadt Kitzingen 42,6 Prozent; Landkreis Hofheim 38,2 Prozent; Landkreis Ebern 31,6 Prozent; Landkreis Kitzingen 23,9 Prozent; Stadt Bad Kissingen 22,3 Prozent.

1927:

Hitler ernennt Otto Hellmuth, der seit 1922 NSDAP-Mitglied ist, zum Gauleiter der unterfränkischen Nationalsozialisten.

1928:

Hellmuth wird in den Landtag gewählt. Die unterfränkische NSDAP fordert zum Boykott jüdischer Geschäfte auf.

24. März 1929:

In Manau bei Hofheim wird ein fünfjähriger Junge mit einer Halswunde tot aufgefunden. „Der Stürmer“ und Otto Hellmuth behaupten wahrheitswidrig, Juden hätten einen „Ritualmord“ begangen. Am 1. April 1929 ruft Hellmuth in Hofheim zur Lynchjustiz an Juden auf.

16. Juni 1931:

Im Landtag äußert der Abgeordnete Otto Hellmuth: „Wenn Hitler und die Nationalsozialisten ans Ruder kommen, dann werden sie durchgreifen. Köpfe werden dann in den Sand rollen.“ Wegen grober Ungehörigkeit wird Hellmuth des Saales verwiesen.

5. März 1933:

Hellmuth wird in den Reichstag gewählt, der sich wenig später durch das „Ermächtigungsgesetz“ selbst ausschaltet.

23. Juli 1933:

Marktbreit benennt eine Straße nach dem „Führer Unterfrankens“, wie die Zeitungen Otto Hellmuth jetzt schon nennen müssen.

2. Mai 1934:

Hellmuth wird in sein neues Amt als Regierungspräsident von Unterfranken eingeführt.

Im Sommer 1945 taucht Hellmuth unter. Nach seiner Enttarnung 1947 wird er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. 1955 entlassen, kassiert er eine „Heimkehrer-Entschädigung“ von 5160 DM und lässt sich als Zahnarzt in Reutlingen nieder. Hellmuth nimmt sich am 20. April 1968, dem Geburtstag Hitlers, das Leben. An die Wand schreibt er mit seinem eigenen Blut „Heil Hitler“.

 
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Kommentare
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  • s. s.
    die der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried als „wahre gute katholische Dame“ kannte, verwendete dieser sich mit einem Gnadengesuch vom 23. Oktober 1947 für den am 10. Oktober 1947 durch den General Military Court in Dachau zum Tod durch den Strang verurteilten Hellmuth. Gerade der Würzburger Bischof hatte unter den kirchenfeindlichen Ausfällen des früheren Gauleiters zu leiden gehabt, die in mehreren Stürmen 1934 und 1938 auf das Bischöfliche Palais gipfelten. In einem Revisionsverfahren 1951 wurde das Todesurteil in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt; die Haftzeit wurde schließlich auf 20 Jahre ermäßigt. Hellmuth blieb jedoch nur bis Juni 1955 im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg, da auch er von der damaligen Begnadigungswelle erfasst wurde.
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  • H. H.
    Meiner Meinung nach kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Wurzeln des Rechtsradikalismus immer noch nicht ausgerissen sind. Besonders Besorgnis erregend ist dies imho bei Personen, die sich anschicken, in die "Elite" aufzusteigen - nämlich Studenten. Wer einmal recherchiert, was zzt. bei den Burschenschaften abgeht, wird vermutlich das Grausen kriegen. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, wie jemand darauf kommen kann, aufgrund seiner "Abstammung" etwas besseres darzustellen als irgendjemand anders. Überheblichkeit und Arroganz sind imho die größten Gegner der Menschlichkeit und damit der geistigen Reife der Menschheit. Ich befürchte allerdings, "homo sapiens" hat noch einen langen Weg vor sich, bis alle das kapiert haben (und zwar wahrscheinlich nur durch fortgesetzte Erfahrungen immer wieder auf die ganz harte Tour). Umso mehr muss man thematisieren und Stellung beziehen, um der Borniertheit entgegenzuwirken.
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  • B. D.
    drittes Reich am Antisemitismus auszumachen. Es gab 1919 bedeutend bedeutendere Angelegenheiten, etwa Separatisten, Reparationen, Aufstände, Ärger mit den Franzosen und anderes. Da spielten antisemitische Schmierfinken keine Rolle. Man denke nur an die nicht gerade wenigen Juden in höchsten Staatsämtern der Republik.

    Hitlers Segen war, daß er auf Grund Hindenburgs freundlicher Unterstützung die Lohrbeeren absahnen konnte, die den vorangegangenen Regierungen zugestanden wären. Selbst der Wiederaufbau der Armee, das Ende der Reparationen und anderes waren nicht Hitler zu verdanken.

    Es ist auch ziemlich feige so zu tun, als sei Hitlers Machtübernahme das Werk eines übermächtigen Schicksals gewesen.
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  • A. M.
    Außer Walther Rathenau ist mir jetzt aus dem ff
    kein Angehöriger jüdischen Glaubens in "höchsten Staatsämtern" bekannt.

    Die Namen der "nicht gerade wenigen Juden" würden mich mal interessieren...

    Ohne Sie angreifen zu wollen,
    aber diese Aussage verführt mich geradezu dazu,
    an die "Protokolle der Weisen von Zion" zu denken,
    welche leider immer noch von nicht gerade wenigen Menschen als
    "wahr" angesehen werden....
    Mit allen damit verbundenen üblen Folgen...

    Daß der braune Braunauer sich die Lorbeeren anderer zu nutze machte,
    bzw. seine Machtübernahme nichts mit Schicksal
    (oder im NS-Sprachgebrauch "Vorsehung") zu tun hatte,
    da gebe ich ihnen allerdings recht.
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