
Philomene Rönninger hat schon sehnsüchtig auf das kleine, schwarze Auto gewartet. Jetzt ist es endlich da und mit ihm etwas Ablenkung im Alltag der Rentnerin. Michael Maier holt seinen Rucksack aus dem Wagen, verstaut Theraband und Gymnastikball darin und klingelt. Die Haustür summt, an der Wohnungstür steckt der Schlüssel.
Mit einem fröhlich-lauten "Hallo" betritt der Physiotherapeut den Flur. In der Küche wartet schon die 80-Jährige. Zweimal in der Woche kommt Maier bei der Seniorin in Iphofen vorbei. Zur Wiedererlangung der Alltagsfähigkeiten – oder wie Maier es konkret ausdrückt: "Viele meine Patienten wollen wieder alleine ins Bad gehen können."

Das Besondere daran: Michael Maier arbeitet nur mobil. Alles, was er braucht – auch eine Massageliege – hat er im Auto dabei. Er betreibt zwar mit einem Kollegen eine Praxis in Miltenberg, aber er lebt in Markt Einersheim und therapiert vor allem im Landkreis Kitzingen. "Eine Praxis muss ich für meine Zulassung haben", erklärt der 37-Jährige.
Hausbesuche bieten etliche Physiotherapeuten an, nur mobil zu behandeln ist selten. "Ich kenne keinen anderen in der Gegend", sagt Maier. Als er bei den Krankenkassen nachfragte, ob die Entfernung von Praxis und tatsächlichem Einsatzgebiet ein Problem sei, sagte man ihm, er sei der Erste, der so etwas vorhabe.
Der Tisch wird zur Sprossenwand, das Theraband zur Rudermaschine
50 Minuten hat Maier jetzt für Philomene Rönninger Zeit. Auf die Rentnerin wartet ein straffes Programm. Erst 30 Minuten Lymphdrainage, dann Übungen. Langsam läuft sie in ihr Schlafzimmer, legt sich in ihr Bett. Maier holt derweil einen Hocker aus dem Wohnzimmer. "Du hast heute aber kalte Hände", beschwert sich Rönninger lachend. Ihr Ziel ist es, wieder einen Alltag ohne Hilfe leben zu können. Dabei hilft ihr Maier. Auch wenn sie sich nach ihrer Hüft-Operation schon wieder ganz gut bewegen kann, schafft sie es nicht in eine Physiotherapiepraxis. Auf Reha wollte sie nicht. Genau da kommt Maier ins Spiel.

Patientinnen und Patienten wie Philomene Rönninger hat der Physiotherapeut viele. Schon deutlich über 70, mit neuen Knie- oder Hüftgelenken, Menschen, denen ein Besuch in der Praxis nicht oder nur mit viel Aufwand möglich ist. Sein jüngster Patient ist Mitte 30, aber so schwer körperbehindert, dass er mit einem Krankentransporter in eine Praxis gefahren werden müsste. "Das für 20 Minuten Therapie. Da komme ich besser nach Hause", erklärt Maier.
Auch bei Seniorenheimen im Landkreis schaut er regelmäßig zur Therapie vorbei. Wer kann, dem empfiehlt er den Besuch in einer Praxis, denn da sind die Möglichkeiten schon anders. "Bei mir wird der Tisch zur Sprossenwand oder das Theraband zur Rudermaschine", sagt er lachend. "Da muss ich halt erfinderisch sein."
Die Wartelisten in den Physiotherapiepraxen sind lang
Während sich Maier die Hände wäscht, geht Philomene Rönninger in die Küche. Jetzt kommt der schweißtreibende Teil des Besuchs. Mit ihren Oberschenkeln muss sie auf dem Stuhl sitzend den Gymnastikball zusammendrücken. "Gut machst du das", lobt sie Maier. Rönninger strahlt. Sie erzählt von ihrer Geburtstagsfeier am Tag vorher. Die Blumen stehen noch im Wohnzimmer. Da konnte sie sich über Langeweile nicht beschweren.
Sonst sind die Tage stiller und Maiers Besuche eine willkommene Abwechslung. "Und ich warte gerne auf junge Männer", sagt Rönninger verschmitzt. Maier sei ihre Rettung gewesen. Verzweifelt habe sie nach einem Physiotherapeuten gesucht. Doch die Wartelisten sind lang. "Fort komme ich ja auch nicht", sagt und klopft sich auf die Hüfte.

"So und jetzt Kniebeugen", sagt Maier. Rönninger verdreht die Augen. Nur leicht, aber Maier hat's gesehen. "Jammer nicht", sagt er gespielt streng und stellt sich hinter sie. Sie hält sich am Küchentisch fest und geht mühsam in die Knie. Und beschwert sich weiter. "Schnauf durch und mach eine Pause", sagt Maier. Zehn Kniebeugen, da kann sie mosern, so viel sie will. "Zwei noch!", motiviert sie Maier. "Du willst doch wieder mobil sein." Doch bei aller Anstrengung ist immer Zeit für einen Plausch, in tiefstem Fränkisch. Maier ist zwar in Ingolstadt geboren, aber in Martinsheim aufgewachsen.
Anfangs sorgte sich Michael Maier, dass sich keine Patienten melden
20 Minuten sind um. Erschöpft lässt Philomene Rönninger sich auf ihren Küchenstuhl fallen. Michael Maier packt seine Sachen zusammen. Die nächste Patientin wartet schon. Seit Anfang März ist er als mobiler Physiotherapeut unterwegs. "Anfangs hatte ich Angst, dass ich keine Patienten finde", sagt er. Wie auf Kohlen sei er gesessen, bis endlich das Telefon klingelte und seine Frau Termine für ihn ausmachen konnte. Kaum zwei Monate später ist es auch bei Maier wie in einer Physiotherapie-Praxis: Neue Patienten müssen auf die Warteliste.
Vielleicht steigt seine Frau nach ihrer Elternzeit in das mobile Physiotherapie-Geschäft mit ein. Schon jetzt hilft sie ihm im Büro. Doch noch ist der Sohn zu klein. So lange fährt Maier allein mit seinem kleinen schwarzen Auto durch den Landkreis. Nächste Station: wieder fit für den Alltag werden.