
Ist die Kirche ein Palliativ-Patient? Ein Mann und eine Frau denken über diese Frage nach. Ihre Lebensgeschichten und -erfahrungen könnten kaum unterschiedlicher sein. Sie schlendern durch den Schlosspark auf dem Schwanberg. Die Frühlingssonne strahlt vom Himmel. Wie düster wird die Zukunft?
Alexander Brandl, 38, seit kurzem im Vorstand des Geistlichen Zentrums Schwanberg, bringt Erfahrungen als Ex-Katholik, evangelischer Pfarrer und Schönheitsmittel-Vermarkter mit. Esther Zeiher, die neue evangelische Pfarrerin auf dem Schwanberg, wuchs in einer kleinen Christen-Enklave mitten im atheistisch-sozialistischen Sachsen auf und hat nie vergessen, wie es ist, als Christin nicht zum Mainstream zu gehören. Nach der Wende, bei einem Wanderjahr durch Deutschland, beeindruckte sie "Gottes Fürsorge für mich". Und dennoch: Zweifel sind weder ihr noch ihrem Kollegen fremd.
Pfarrer Brandl hat früher Schönheitsprodukte vermarktet
War's das jetzt? Alexander Brandl war Anfang 30, als diese Frage sich in sein Denken schlich. Immer wieder. Immer bohrender. Der gebürtige Oberpfälzer fühlte sich leer. Leer wie manches Kirchengebäude.
Brandl hatte Lehramt studiert, Germanistik, Französisch, evangelische Religionslehre. Doch statt ans Lehrerpult zog es ihn nach dem Staatsexamen in die bunte Jetset-Welt: Für eine PR-Agentur vermarktete er Schönheitsprodukte. "Ich saß in den Lounges führender Mode-Zeitschriften und erklärte den Leuten, wie toll zum Beispiel der neueste Lockenstab ist", erzählt der 38-Jährige. Er lacht dabei und schüttelt zugleich den Kopf. Fünf Jahre als Kommunikations- und Marketing-Beauftragter eines gemeinnützigen Unternehmens folgten. Dann die Sinnkrise.

"2018 war ich innerlich leer." Eine Freundin riet ihm zu einem Meditationstag auf dem Schwanberg. "Ich hatte noch nie meditiert", sagt Brandl. "Den Schwanberg kannte ich nicht." Er fuhr hin.
Schwester Edith Krug von der Klostergemeinschaft CCR (Communität Casteller Ring) leitete den Kurs ohne viele Worte. "Zuvor war die Welt laut, durcheinander. Aber an diesem Tag ist Ruhe eingekehrt", blickt Alexander Brandl sieben Jahre zurück. "Auch ich selbst habe endlich mal die Klappe gehalten – und mich von Gott ansprechen lassen."
Plötzlich wusste er, was er wollte. Er, der katholisch erzogen worden war und mit 18 die Konfession änderte, studierte Evangelische Theologie und absolvierte in München sein Vikariat.
Brandl lässt seine Anhänger mit Videos an seinem Leben teilhaben
Mit kleinen Videos und Bild-Botschaften lässt der junge Pfarrer die Menschen teilhaben an seinem Leben, an Freude, Trauer, Angst, Hoffnung. Seinem Instagram-Kanal "alpha.oh.mega" folgen über 4000 Menschen. Da springt er schon mal aus einer Mülltonne, schreibt von seiner "Scheißangst" an Karfreitag und davon, dass Beten Putin nicht aufhält, aber trotzdem das Gegenmodell zum Krieg ist. Sein Credo: "Krieg kommt heraus, wenn man sich dem unbedingten Willen zur Macht hingibt. Beten kommt heraus, wenn man sich der unbedingten Machtlosigkeit hingibt."
Aber wer will schon machtlos sein? "Lieber ist man der Gott seines eigenen Lebens oder?", fragt Brandl bewusst scheinheilig. Zeiher übernimmt: "Dabei ist das vollkommen absurd. Wir können nicht alles aus eigener Kraft schaffen. So läuft das Leben nicht."
Pfarrerin Esther Zeiher: Gott ist für die Menschen lebensnotwendig
Brandl fragt: "Verarschen wir uns nicht selbst, wenn wir denken, wir könnten alles selbst stemmen?" Viele Menschen, die aus der Kirche austreten, unterschätzten, "wie brutal dieser Schnitt ist". Wenn man Gott durch etwas Irdisches ersetze, "trägt das einen nicht durchs Leben". Man kappe die eigenen Wurzeln, die einen mit seinen Vorfahren verbinden. Gott umfasse alle Zeiten, alle Menschen.
Tatsache ist: Aktuell wollen viele Menschen hierzulande nichts von einem christlichen Gott wissen. Die Zahl bekennender Christen hat sich in den letzten 50 Jahren in Deutschland halbiert, die Zahl der Konfessionslosen zeitgleich verzehnfacht: von unter fünf Prozent auf fast die Hälfte. Stirbt die Kirche aus?
Für Alexander Brandl ist klar: Die Kirche habe Fehler gemacht und zum Beispiel die heute 20- bis 40-Jährigen und ihre Bedürfnisse völlig aus dem Blick verloren. Sein Lösungsansatz: "Ich sehe mich als eine Art Instrument Gottes, die Menschen wieder anzusprechen." Durch seine Online-Beiträge erreicht er viele Menschen, "die dann das direkte Gespräch suchen".

Esther Zeiher hat als Kind "Oppositions-Christentum erlebt". David gegen Goliath. Angesichts der totgesagten Kirche bleibt sie gelassen. Sie habe ein Grundvertrauen, dass die Verbindung zu Gott für den Menschen lebensnotwendig bleibt. "Irgendwann genügt das Leben an der Oberfläche nicht mehr. Sinn kann nur wachsen, wenn man in die Tiefe geht."
Die Schwestern auf dem Schwanberg seien ein Beispiel dafür. Sie beeindrucken die 47-Jährige ebenso wie den 38-jährigen Brandl. Ihr tiefer Glauben strahle auf die Menschen aus. Esther Zeiher stellt fest: "Kirche ist vor allem im Kleinen kraftvoll."

Unser Grundgesetz mit dem aktuellen BGB wären schon mal eine gute Grundlage ..
gez. R.K.