
Irgendwo im Nirgendwo zwischen Kitzingen, Kaltensondheim und Sulzfeld wird der schmale Waldweg zur breiten Betonpiste. Sie führt vor ein Tor, das mit einem Schlagbaum der besonderen Art gesichert ist. Zwei dünne Stämme haben sich quergelegt und versperren die Zufahrt zu diesem verwilderten und einst verbotenen Ort. Im Kalten Krieg war das Gelände im Wald ein Hotspot des US-Militärs. Heute ist es entlegene Kulisse der Lost-Place-Jäger, die hingerissen sind von Orten wie diesem. Er übt eine Faszination aus, die sich noch immer ein Stück weit von der Apokalypse nährt.
Man muss sich dieser einst explosiven Stätte über ihre Geschichte nähern, die heute gnädig überwuchert ist von Moos und sonstigem Grünzeug. Einen Kilometer ostwärts befanden sich die Larson Barracks mit Tausenden in Kitzingen stationierten US-Soldaten, 400 Meter westlich war ein Sondermunitionslager, von dem noch die Rede sein wird. Dazwischen lag – gut getarnt unter dichtem Eichen- und Ahornlaub – diese Anlage. Eine dumpfe Festung, die sich unsichtbar machte, jetzt vereinnahmt von der Natur.

Dass ein so wehrhaftes und über lange Zeit abgeschottetes Bauwerk sich heute so nahbar zeigt, dass man Geschichte hier greifen und begreifen kann, ist Teil der Faszination. Seit 2006 die Amerikaner abgezogen sind und das früher streng bewachte Gelände sich selbst überließen, gibt es seine Geheimnisse preis: elf massive Stahlbetonbunker, die man über eine mit Moos überwachsene Betonpiste und eine mannshohe Rampe erreicht.
Die elf Bunker sind in einem erstaunlich guten Zustand
Ihre Tore stehen weit offen oder lassen sich mithilfe von Kettenzügen immer noch erstaunlich geschmeidig öffnen. Bis zu 20 Meter reichen die Bunker in die Erde; von innen wirken sie wie Kathedralen oder Kunsthallen, die schrundigen Betonwände verziert mit Graffiti.

Fast surreal zu sehen, wie die Bauten bisher allen Angriffen der Natur getrotzt haben. Feuchte Wände, Risse oder eindringendes Wasser sucht man vergebens. Man könnte hier Akten oder Gemälde lagern, ohne dass sie Schaden nähmen. Als wären die Bunker wie unter Schutzatmosphäre in der Erde verpackt.
Es ist die Architektur einer Supermacht, die Ästhetik des Kalten Krieges, die hier alle Stürme der Zeit und der Weltgeschichte überdauert hat. Die sechs kleineren Bunker auf der Südseite, die etwa 15 Meter in die Tiefe gehen und drei Meter breit sind, tragen ein gebogenes Stahldach aus Wellblech, im Fachjargon "Steel Arch" genannt.

Die fünf größeren Anlagen auf der Nordseite, Typ Freloc Stradley, 18 Meter lang, sechs Meter breit, fünf Meter hoch, haben ein bogenartiges Dach, das auf vertikalen, 79 Zentimeter dicken Seitenwänden ruht. Nach standardisierten Plänen des Militärs waren sie in Abstand und Lage so konzipiert, dass die gelagerte Munition vor Einwirkungen von außen geschützt war, selbst bei Explosion des Nachbarbunkers – in ihrer massiven Erhabenheit darauf ausgerichtet, alles zu überstehen.
Die Elektroinstallation hat eine Firma aus Würzburg verbaut
Entstanden ist die Anlage im Wald wohl um 1984, in der Zeit der großen Nachrüstungsdebatten in Deutschland. Das Datum findet man als Baujahr auf einem Trafohäuschen knapp außerhalb des Geländes und auch in diversen Internet-Foren. Jeder der elf Bunker hatte einen eigenen Schaltkasten mit elektrischer Sicherungs- und Öffnungseinrichtung. Die Kabel sind nahezu alle verschwunden, aber auf den Kästen klebt noch ein Schild der Firma: Elektro Ullrich, 8700 Würzburg.

Die Filiale dort gibt es längst nicht mehr, dafür die Zentrale in Weikersheim. Telefoniert man mit Michael Düchs, einem der drei Geschäftsführer, dann erzählt er, dass seine Firma früher viel für die US Army gebaut und verkabelt habe: in Ansbach, in Giebelstadt und eben im Wald bei Kitzingen. Die Pläne waren Verschlusssache. Leider sei der damals verantwortliche Kollege bereits verstorben. Auftraggeber war laut Düchs nicht die US-Armee, sondern das Staatliche Hochbauamt.
Anders als im wenige hundert Meter entfernten Sondermunitionslager, wo zumindest zeitweilig atomare Gefechtsköpfe für die Kurzstreckenraketen Corporal und Honest John stationiert gewesen sein sollen, war in den Bunkern im Wald wohl konventionelle Munition gelagert: Granaten oder Treibladungen. Das US-Militär war nach allem, was man weiß, offenbar die einzige NATO-Streitkraft in Europa, die die von der NATO "empfohlene" Reserve wirklich vorhielt. Dazu brauchte es Lager wie dieses.

Andere Quellen sprechen von Munition für das Kampfflugzeug Thunderbolt, einen zweistrahligen Unterschall-Jet, den die US Air Force ab 1975 gegen Bodenziele und zur Unterstützung von Bodentruppen einsetzte. Die "Donnerkeile" waren auch am Flugplatz der Harvey Barracks in Kitzingen stationiert.
Die Bunker stehen zum Verkauf, aber die Stadt will sie nicht
Was soll nun aus den elf Bunkern und dem 2,6 Hektar großen Gelände werden? Die Antwort kommt direkt von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA, in Bonn. Dort wird die Liegenschaft verwaltet, seit die US-Streitkräfte sie im April 2007 aufgegeben haben. Weil der Bund mit der verlassenen Anlage nichts anfangen kann, wurde sie der Stadt Kitzingen zum Kauf offeriert. Und gerade in diesen bewegten Zeiten, mit einem Krieg mitten in Europa, könnte man meinen, dass die Beton gewordene Wehrhaftigkeit wieder gefragt ist.

Hat nicht der Städtetag neulich erst verlangt, hierzulande neue Schutzräume zu errichten und alte Bunkeranlagen zu reaktivieren? Wahrscheinlich hätte es dieses unverbunkerte Denken für einen Aufbruch an dieser Stelle gebraucht. Doch die Stadt Kitzingen hat das Angebot nach Angaben der BImA dankend abgelehnt, und so will man das Gelände jetzt auf dem freien Markt anbieten. Gut möglich, dass der einst geheime Standort demnächst ganz öffentlich im Internet zum Verkauf stehen wird.
Hans Sartoris