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Volkach
Madonnenraub von Volkach: Wie Henri Nannen und der "Stern" die Kunstschätze mit Lösegeld zurückholten
Den spektakulären Kunstdiebstahl der Volkacher Madonna bemerkte die Tochter des Mesners 1962 als erste. Heute ist sie 95, doch die Nacht hat sich in ihr Gedächtnis eingebrannt.
Henri Nannen (links), Chefredakteur des 'Stern', packte für den Rücktransport der Madonnenfigur nach Volkach selbst mit an.
Foto: Archivbild: Walter Röder | Henri Nannen (links), Chefredakteur des "Stern", packte für den Rücktransport der Madonnenfigur nach Volkach selbst mit an.
Barbara Herrmann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:49 Uhr

Eigentlich fehlt nur noch die Verfilmung, der Madonnenraub von Volkach hätte alle Zutaten für einen abendfüllenden Krimi oder eine Miniserie bei Netflix: Der Diebstahl wertvoller Riemenschneider-Figuren aus einer Kapelle im idyllischen Volkach (Lkr. Kitzingen), ein Lösegeld-Angebot im "Stern" von dessen Chefredakteur Henri Nannen, zwielichtige Täter – und letztlich sogar ein Happy End. Genau 60 Jahre ist einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle der deutschen Geschichte her. Aber in Vergessenheit geraten ist er nicht.

Bei Ludmilla Gabelmann sowieso nicht. Sie war am frühen Morgen des 7. August die erste, die Geräusche bemerkte und daraufhin ihren Vater Philipp Jäcklein weckte. Der Mesner lebte damals im Haus neben der Kapelle "Maria im Weingarten". Seine Frau war gestorben, die Tochter darum vorübergehend zu ihm gezogen, weil sie den Vater nicht allein lassen wollte auf dem Kirchberg.

Ludmilla Gabelmann hat beim Madonnenraub von Volkach 1962 die Täter gehört und deren Fahrzeug gesehen. Sie ist die Tochter des Mesners Philipp Jäcklein und wohnte mit ihm damals im Haus neben der Kapelle 'Maria im Weingarten'. Die 95-Jährige lebt in München.
Foto: Eva Gabelmann | Ludmilla Gabelmann hat beim Madonnenraub von Volkach 1962 die Täter gehört und deren Fahrzeug gesehen. Sie ist die Tochter des Mesners Philipp Jäcklein und wohnte mit ihm damals im Haus neben der Kapelle "Maria im ...

Heute sagt die 95-Jährige, diese Nacht habe sich "eingebrannt" in ihr Gedächtnis. So sehr, dass sie von der Nacht erzählen kann, als wäre sie vergangene Woche erst gewesen, als läge dazwischen nicht ein langes Leben.

Tochter des Mesners hört Motorengeräusche und sieht den Pritschenwagen

Gegen 4 Uhr nachts hört die 35-Jährige Motorengeräusche, "und Motorengeräusche sind ja schon was Komisches im Weinberg". Von ihrem Fenster aus sieht sie einen Pritschenwagen an der Längsseite des Hauses vorbeifahren. Auf der Ladefläche liegt etwas, doch erkennen kann Ludmilla Gabelmann (damals noch Jäcklein) es nicht. Sie weckt ihren Vater und sie laufen die wenigen Schritte hinüber zur Kapelle. Sie sehen, dass deren Hintertüre der Kirche offensteht – und die Zerstörung. Da es weder Sicherungsanlagen noch Telefon am Kirchberg gab, schwingt sich der Mesner aufs Rad und fährt zur Polizeiwache, die es damals noch in Volkach gibt.

Die Kapelle 'Maria im Weingarten' in Volkach ist umgeben von einer hohen Mauer, an die sich das Wohnhaus (rechts) anschließt. Die Räuber hievten 1962 ihr Beute aus der Kirche über die Mauer auf den Pritschenwagen.
Foto: Fabian Gebert | Die Kapelle "Maria im Weingarten" in Volkach ist umgeben von einer hohen Mauer, an die sich das Wohnhaus (rechts) anschließt. Die Räuber hievten 1962 ihr Beute aus der Kirche über die Mauer auf den Pritschenwagen.

Während unten im Städtchen der Polizeieinsatz anläuft, wartet die Mesnertochter oben im Haus. Das sei "die schlimmste Zeit" gewesen, erinnert sie sich heute daran: "Ich saß in der Fensternische und schaute Richtung Volkach den Kirchbergweg runter und es tat sich stundenlang nichts. Ich hatte Angst."

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Später stellt sich heraus, dass die Täter nachts durch ein kleines Fenster eindrangen und sich abseilten, ehe sie die Kunstschätze von der Wand rissen und durch die Hintertür hinausschleppten. Damaliger Schätzwert der Rosenkranz-Madonna, Riemenschneiders letztem Marienwerk: bis zu zwei Millionen Mark. "Auf dem Hauptgang der Kirche war alles übersät mit Teilen von der Madonna, wie als ob Blumen gestreut wären", sagt Ludmilla Gabelmann über das Ausmaß der Zerstörung.

Heute hängt die Madonna im Rosenkranz im Bogen des Altarraums in der Kapelle ' Maria im Weingarten' – natürlich gut gesichert.
Foto: Fabian Gebert | Heute hängt die Madonna im Rosenkranz im Bogen des Altarraums in der Kapelle " Maria im Weingarten" – natürlich gut gesichert.

Danach folgen Wochen mit Polizei im Haus, eine Hundertschaft sucht die Maingegend ab – und Familie Jäcklein muss Verdächtigungen aushalten. Es dauert nicht lange, bis der Chefredakteur des "Stern", Henri Nannen, bei ihnen im Wohnzimmer sitzt und mit ihnen selbst über den Plan spricht, für die Rückgabe der Kunstschätze aus der Kapelle ein Lösegeld von 100.000 Mark zu bezahlen. Weil er Kunsthistoriker sei, und "weil er auch auf eine andere Klientel schiele", erinnert sich Ludmilla Gabelmann. Da war der Artikel im "Stern" bereits erschienen, die mediale Aufregung enorm.

Die Madonna im Rosenkranz hängt heute vor einem umstrittenen Altarbild 

Eine Aufregung, die ganz im Gegensatz zu der Ruhe steht, die Besucherinnen und Besucher des Kirchbergs heute erwartet. Herbert Meyer hat unzählige Gruppen hierher geführt, in der Kapelle wird er sofort wieder zum begehrten Historiker. Einige Ausflügler aus Paderborn hören ihm aufmerksam zu, als er von der Diskussion über das ebenso moderne wie umstrittene Altarbild des damaligen Domkapitulars Dr. Jürgen Lenssen berichtet.

Volkachs Ehrenbürger Herbert Meyer in der Wallfahrtskirche 'Maria im Weingarten'. Im Hintergrund ist die damals geraubte Madonna im Rosenkranz zu sehen.
Foto: Fabian Gebert | Volkachs Ehrenbürger Herbert Meyer in der Wallfahrtskirche "Maria im Weingarten". Im Hintergrund ist die damals geraubte Madonna im Rosenkranz zu sehen.

Die spannendste Geschichte ist und bleibt jedoch der Madonnenraub, dessen Folgen Herbert Meyer damals von Würzburg aus verfolgte. Gemeinsam mit "halb Volkach" nahm er später Jahr für Jahr an einer Sühneprozession hoch zur Wallfahrtskirche teil: 50 Jahre lang Dank sagen für die erfolgreiche Rückkehr der Figuren auf den Kirchberg. Der Dank Henri Nannen gegenüber war sogar so groß, dass die Stadt ihn zum Ehrenbürger ernannte.

In dem gelben Haus neben der Kapelle 'Maria im Weingarten' lebt heute eine Familie. Links davon an der hohen Mauer parkten vor 60 Jahren die Diebe ihren Pritschenwagen.
Foto: Fabian Gebert | In dem gelben Haus neben der Kapelle "Maria im Weingarten" lebt heute eine Familie. Links davon an der hohen Mauer parkten vor 60 Jahren die Diebe ihren Pritschenwagen.

Eine Würde, die Herbert Meyer 50 Jahre später zuteil wurde.  Heute kann der 89-Jährige den Gästen zeigen, durch welches kleine Fenster sich die Täter quetschten und wo sie sie die Schätze über die Mauer hievten. Im kleinen Garten davor steht ein Trampolin, eine Familie hat das gelbe Haus neben der Kapelle gemietet. An die Aufregung vom August 1962 erinnert nichts mehr.

Der Mesner und seine Familie wurden von manchen beschimpft

Doch in Ludmilla Gabelmanns Gedächtnis ist sie präsent, die "kolossale Belastung", die ihre Familie nach dem Raub aushalten musste. "Mein Vater und wir wurden beschimpft von manchen." Und es hieß: "Warum habt ihr nicht aufgepasst?" Andere verdächtigten ihre beiden jüngeren Brüder, einer war damals zum Urlaub in Schweden, der andere lebte in Norddeutschland.

Rund vier Wochen dauerte es, bis die Jäckleins offiziell vom Verdacht befreit wurden. Da lief die Rettungskampagne von Henri Nannen, die gleichzeitig ein riesiger PR-Coup für den "Stern" war, bereits auf Hochtouren.

Ludmilla Gabelmann blieb nach dem Madonnenraub noch knapp zwei Jahre in Volkach, ehe sie 1964 in München heiratete und dorthin zog. Erst Jahrzehnte später konnte die Mesnertochter wieder unbefangen nach Volkach fahren. Sie ist ein religiöser und tiefgläubiger Mensch geblieben – und hat ihre einzige Tochter Eva-Maria genannt.

Volkacher Madonnenraub: Chronologie der Ereignisse

7. August 1962: In die Kapelle "Maria im Weingarten" auf dem Volkacher Kirchberg wird in der Nacht eingebrochen. Unbekannte haben die berühmte Rosenkranz-Madonna von Tilman Riemenschneider und weitere Kunstschätze wie die Holzplastik "Anna Selbdritt" und eine gotische Pietà aus der Wallfahrtskirche gestohlen.
21. August 1962: Im "Stern" erscheint der Aufruf "Gebt die Madonna von Volkach zurück" mit dem Lösegeld-Angebot von Chefredakteur Henri Nannen: 100.000 Mark und Stillschweigen gegenüber der Polizei verspricht er für die Rückgabe der geraubten Gottesmutter. Bereits am Tag danach werden zwei kleinere Figuren vor dem Frankfurter Dom gefunden.
26. Oktober 1962: Die Räuber geben in Hamburg-Altona die "Anna Selbdritt" und zwei Teile aus dem Rosenkranz zurück. Ihr Lohn dafür ist die erste Hälfte des Lösegelds: 50.000 Euro.
4. November 1962: Nannen und sein Stellvertreter Reinhart Hoffmeister bekommen auf einem Acker nördlich von Nürnberg die restlichen Teile des Diebesguts. Die Madonnenfigur ist schwer beschädigt, der Rosenkranz in 100 Teile zerlegt.
6. August 1963: In München wurde die Madonna neun Monate lang restauriert, ehe sie ein Jahr nach dem Raub zurück nach Volkach gebracht wird. "Geheilt kehrt die Madonna heim", betitelt der "Stern" seine Ausgabe von September 1963. Darin enthalten ist eine ausführliche Reportage über die aufwändige Bearbeitung der über 2,70 Meter hohen Figur und ihre "stille Heimkehr". Wobei Stadtpfarrer Simon Himmel alle Glocken läuten lässt.
Oktober 1963: Der Volkacher Stadtrat ernennt Henri Nannen zum Ehrenbürger.
Oktober 1967: Die ersten drei Täter werden verurteilt, nachdem ein Mann im Gefängnis mit dem Kunstraub "seiner Bande" geprahlt hatte, an dem er jedoch nicht beteiligt war. 1971 wird das letzte noch flüchtige Mitglied des Diebesquartetts in der Türkei gefasst.
Quelle: novo, bh
 
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