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Das Kreuz mit Kunst und Kirche
volkach Warum findet die zeitgenössische Kunst nur noch wenig Eingang in die Kirche? Und warum rufen moderne Werke im Kirchenraum oft Wut und Empörung hervor? Um diese Frage ging es in Volkach bei einer Podiumsdiskussion mit Dr. Jürgen Lenssen, Bau- und Kunstreferent der Diözese Würzburg.
Von unserem Mitarbeiter torsten schleicher
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
"Der Bruch der Kirche mit der Kunst ist das Drama des 20. Jahrhunderts." Der diesen Satz sagte, musste es wissen: Papst Paul VI., der Begründer der neuen Vatikanischen Kunstsammlung, hatte schon in den 60er Jahren den Finger in die Wunde gelegt. Seitdem hat sich an dem "Drama" nicht viel geändert. Das Verhältnis zwischen Kirche und Kunst, spannungsgeladen bis heute, gab am Dienstagabend im Volkacher Schelfenhaus das Thema ab für einen - ebenfalls spannungsvollen - Diskussionsabend.

Denn der an diesem Abend über Kunst und Kirche referieren und sich den Fragen der Zuhörer stellen soll, zieht gleichfalls die Emotionen auf sich: Dr. Jürgen Lenssen, Domkapitular und Bau- und Kunstreferent der Diözese Würzburg. Sein "Museum am Dom" in Würzburg führte, als es noch nicht stand, zu erbitterten Gegen-Kundgebungen in der sonst so weinseligen Bischofsstadt, sein Altarbild des auferstandenen Christus in der Volkacher Wallfahrtskirche "Maria im Weingarten" hat ihm, freundlich ausgedrückt, an der Mainschleife nicht nur Fans beschert. Der richtige Mann also für eine Thematik, an der man sich weidlich reiben kann.

Kein Lavieren

Der richtige Mann aber auch, weil er die gut 50 Zuhörer nicht mit einem akademischem Vortrag quält und weil er als Künstler und Kirchenmann das Thema des Abends in seiner Person vereint. Wer deshalb von Lenssen ein lavierendes Sowohl-als-auch befürchtete, wird schnell beruhigt. Seine Kritik ist scharf, die Aussagen sind eindeutig. Kirche und Kunst bescheinigt er ein "Nebeneinander ohne Wahrnehmung, ohne Kommunikation". Heute gebe es nur "einen schmalen Zugang für zeitgenössische Kunst in den Kirchenraum". Moderne Werke würden allzu oft als "Angriff auf das gesunde Volksempfinden" empfunden, sagt Lenssen und zitiert damit aus einem einst gegen ihn gerichteten Leserbrief.

Ob es auch das "gesunde Volksempfinden" war, das 2005 Bischof Friedhelm Hofmann veranlasste, im Museum am Dom Michael Triegels Bild vom nackten, auferstandenen Christus abhängen zu lassen? "Man nimmt offenbar Anstoß vom Bauchnabel abwärts", spottet Lenssen, "aber das ist keine Frage des Kunstverständnisses. Das ist ein therapeutisches Problem: unbewältigte Sexualität." Denn wenn es tatsächlich um Nacktheit ginge, müssten die Werke vieler Altvorderen der Zensur zum Opfer fallen: "Sind Riemenschneiders Adam und Eva pornografisch? Und was ist mit Michelangelos Darstellungen von Nacktheit in der Sixtina?"

Unkenntnis und Spießbürgertum

Man spürt Lenssen die Verletzungen der Debatte an, seine Kritik ist schneidend: "Wenn Kunst als Provokation aufgefasst wird, geschieht das nicht allein aus Unkenntnis. Es ist eine Spießbürgerlichkeit, die aus der Kunst herausnehmen will, was dem Menschen eigen ist. Und was ihm eigen ist, fängt mit dem Leib an."

Moderator Franz Barthel (Bayerischer Rundfunk) kann sich an dieser Stelle eine Frage doch nicht verkneifen: "Haben Sie dem Bischof eigentlich verziehen?" Die Antwort ist deutlich: "Als Christ muss man verzeihen können. Aber man muss nicht vergessen."

Doch es geht nicht nur um das Reizthema Nacktheit. Was Lenssen umtreibt, ist der Verlust von Qualität. Vieles, was heute in den Kirchengemeinden als Kunst gelte, sei nicht einmal Kunstgewerbe: "Oft bewegt sich die Kunst auf dem Niveau von Devotionalien. In Kitzingen gibt es da dieses Himmlische Jerusalem vor der Kirche - als Brunnen. Das ist auch Kitsch."

"Mir ist es egal, ob ein Künstler kirchlich gebunden ist."

Dr. Jürgen Lenssen, Bau- und Kunstreferent

Gleichzeitig würden sich so manche Künstler inzwischen weigern, für die Kirche zu arbeiten: "Ich kann sie verstehen", sagt Lenssen. Er selber lasse in seiner Tätigkeit als Kunstreferent einzig und allein ein Kriterium halten: die künstlerische Qualität. "Mir ist es egal, ob ein Künstler kirchlich gebunden ist oder nicht. Viele Impulse sind schließlich von atheistischen Künstlern ausgegangen." Doch Le Corbusier oder Picasso, die Lenssen als Beispiele nennt, hätte heute aus seiner Sicht wohl kaum eine Chance: "Der Historismus feiert fröhliche Wiederkehr. Wir orientieren uns an den Marienfiguren des 18. und 19. Jahrhunderts oder an den Bildern aus Lourdes und Fatima." Verehrt werde das gegenständliche Bild. "Diese Bild-Anbetung, dieser Götzen-Kult bereitet einen Boden, der blasphemisch ist. Denn unser Gott ist bildlos." Vorherrschend sei heute die Furcht vor dem Verlust der seit der Kindheit verinnerlichten Bilder, die man als "schön" empfinde.

Furcht vor der Gegenwart

Deshalb werde die moderne Kunst nicht selten als Bedrohung empfunden, als ruppiger Eingriff der Gegenwart in die Gedankenwelt der guten alten Zeit der "ewigen Werte". "Es gibt eine an Nekrophilie grenzende Begeisterung für die Kunst früherer Epochen. Die Kirche ist zum Exil für alle geworden, die der Zeit in ihrem Fortschritt entfliehen wollen", sagt Lenssen und spricht damit die eigentliche Grundfrage an: Das Problem der Kirche mit der Kunst ist ein Problem der Kirche mit der Gegenwart, eine Gefahr auch aus theologischer Sicht.

Denn wenn in der Kunst jede Anstößigkeit vermieden werde, wenn es nur noch um Bestätigung gehe, dann werde letztlich auch die Aktualität der christlichen Verkündigung geleugnet. "Zur Zeit ist es oft so, dass wir uns eine Walt-Disney-Welt basteln, sozusagen eine Symbiose aus Riemenschneider und Richard Rother."

Viel wichtiger sei es doch, sich der Wahrheit zuzuwenden, "auch dem Hässlichen, dem Unfertigen". Die Kirche müsse mit der Kunst Solidarität üben, statt in den Malern und Bildhauern lediglich Erfüllungsgehilfen zu sehen: "Wir haben als Kirche Lernbedarf. Lassen wir uns auf die Sprache der Kunst ein!"

Der Schluss-Satz des fast einstündigen Vortrags hätte eine gute Grundlage für eine Debatte zum Thema des Abends werden können. Dass es sie nur in Ansätzen gibt, dafür sorgt der Referent ungewollt selbst - mit seiner Person. Denn der Bau- und Kunstreferent Lenssen ist nicht nur in Teilen des Kirchenvolks umstritten, auch in der regionalen Künstlerschaft gibt es starke Vorbehalte gegen ihn. Und weil im Volkacher Schelfenhaus eine offenbar stattliche Anzahl fränkischer Künstler anwesend ist, dreht sich in der von Franz Barthel gewohnt launig moderierten Diskussion bald alles um Lenssens Praxis, Aufträge an Künstler zu vergeben - und allzu oft auch nicht zu vergeben. Vor allem seine Doppelrolle als Künstler einer- und (faktischer) Auftraggeber andererseits stößt auf heftige Kritik, die Lenssen so nicht gelten lässt: "Kunst ist Teil meiner Sprache", sagt er. Und dann erinnert er an Balthasar Neumann, der beide Funktionen auch in seiner Person vereinigt habe. "Die Dinge wiederholen sich, womit ich mich aber nicht mit Neumann vergleichen möchte."

Weites Spannungsfeld

Im Publikum lässt man jedoch nicht locker. Immer weniger Aufträge gingen an Künstler aus der Region, stattdessen übernehme Lenssen manchen Auftrag gleich selbst. "Viele Künstler sind wütend. Sie nehmen den Leuten Geld und Existenz weg", lautet der Vorwurf, der Lenssen nun doch zu ärgern scheint. Sonst wäre ihm dieser Satz wohl nicht entfleucht: "Eine Künstlerschaft, die nur nach Aufträgen giert, verdient den Namen nicht." Ein Satz, der sicher Wahrheit enthält, aber einem am Rande des Existenzminimums schaffenden Künstler nur zynisch in den Ohren klingen kann. Wenn der Satte dem Hungrigen Gier vorwirft, muss das auf Widerspruch stoßen - so auch in Volkach. Und ganz am Ende der Veranstaltung wird klar, dass es nicht nur um "Kunst und Kirche" geht, sondern auch immer wieder um etwas sehr Schnödes - ums Geld. Ein weites Spannungsfeld, weiß Gott.

 
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