
Der „Raub der Volkacher Madonna“ am 7. August 1962 gilt bis heute als einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die Suche nach Dieben und Diebesgut hält damals die ganze Nation in Atem. Und das Weinstädtchen an der Mainschleife (Lkr. Kitzingen) macht der Coup im In- und Ausland bekannt.
Als Messner Philipp Jäcklein an jenem Augusttag frühmorgens gegen 4.20 Uhr - aufgeschreckt durch Motorengeräusche - in der Wallfahrtskirche „Maria im Weingarten“ nach dem Rechten sieht, findet er nur noch Holzsplitter sowie Flügel und Hände der musizierenden Engel. Die berühmte Rosenkranz-Madonna aber ist weg. Bei der Abnahme von der Wand muss den Räubern das gotische Schnitzwerk von Tilman Riemenschneider entglitten und auf den Seitenaltar gestürzt sein.
Von den Tätern nur die Rücklichter gesehen
Jäckleins Tochter hatte zuvor nur noch die Rücklichter eines Pritschenwagens gesehen, der den Kirchberg hinunter raste. Oben in den Weinbergen an der Wallfahrtskirche gibt es kein Telefon. So muss der 71-jährige Messner erst zurück in den Ort radeln, um Alarm zu schlagen. Bis die Polizei eintrifft und die Fahndung anläuft, sind die Diebe über alle Berge.
In jener Nacht rächt es sich, dass die Madonna, deren Wert schon damals auf bis zu zwei Millionen Deutsche Mark geschätzt wird, nicht gegen Diebstahl gesichert ist. Mit ihr sind weitere unersetzbare Kunstschätze aus der Volkacher Wallfahrtskirche verschwunden.

Zum großen medialen Interesse an dem Raub tragen allen voran das Magazin „Stern“ und sein damaliger Chefredakteur bei. Weil die Polizei bei der Fahndung nicht weiterkommt, unterbreitet Henri Nannen auf eigene Faust ein Lösegeld-Angebot des „Stern“: Er verspricht den Dieben 100 000 Mark sowie Stillschweigen gegenüber der Polizei für die Rückgabe der geraubten Gottesmutter.
Die Steigerung der Auflage des Hamburger Magazins ist nur ein Motiv für Nannens Engagement. Das andere: Der "Stern"-Chef hat während seines Kunstgeschichte-Studiums in Bayern auch die Plastiken von Tilman Riemenschneider kennengelernt. Ein Studienkollege von ihm ist jetzt der Leiter des Mainfränkischen Museums in Würzburg: Max Hermann von Freeden. Kunstfreund Henri Nannen befürchtet, dass jetzt - nach dem Bombenhagel auf Würzburg im Zweiten Weltkrieg - ein weiteres bedeutendes Riemenschneider-Werk unwiederbringlich verloren gehen könnte.
Räuber werden ihr Diebesgut nicht mehr los
Die Räuber haben indes ein Riesenproblem. Denn auf dem internationalen Kunstmarkt ist die Madonna nach dem Pressewirbel unverkäuflich geworden. Die damals gängige Kunsträuber-Praxis, von der Versicherung ein Lösegeld zu erpressen, scheitert daran, dass das Kunstwerk gar nicht versichert ist. Die Räuber erwägen offenbar bereits, die zu heiß gewordene Ware zu verbrennen. Das Lösegeld-Angebot Nannens kommt gerade zur rechten Zeit.
Schon einen Tag nach dem Aufruf des „Stern“ am 21. August 1962 („Gebt die Madonna den Volkachern zurück“) werden zwei Skulpturen des ebenfalls geraubten Epitaphs eines Hallburg-Ritters vor dem Frankfurter Dom gefunden. Doch erst am 25. Oktober melden sich die Täter. Für die erste Hälfte des Lösegelds geben sie in der Nacht auf den 26. Oktober in Hamburg-Altona die aus der Schule Riemenschneiders stammende Holzplastik „Anna Selbdritt“ und zwei Medaillons aus dem Rosenkranz zurück.
Auf einem Acker hinter Großgründlach, kurz vor Nürnberg, können Chefredakteur Nannen und sein Stellvertreter Reinhart Hoffmeister schließlich in der Nacht auf den 4. November 1962 für die zweite 50.000-Mark-Rate die schwer beschädigte Madonnenfigur entgegennehmen. Samt der restlichen Rosenkranz-Stücke und einer als wundertätiges Gnadenbild verehrten gotischen Pieta aus der Zeit um 1370. In Etappen ist der von Nannen eingefädelte Rettungs-Coup gelungen.

Aufwändig restauriert, kehrt die Rosenkranz-Madonna am 6. August 1963 - exakt 364 Tage nach dem Raub - nach Volkach zurück. Die Täter hatten sie in 100 Teile zerlegt und mit einer Mixtur aus Schuhcreme, Bienenwachs und einer fettigen Substanz präpariert. Fortan hängt Riemenschneiders Werk im Kirchenraum frei schwebend von der Decke. Durch eine Alarmanlage gesichert - und jetzt auch hinreichend versichert. Der Volkacher Stadtrat ernennt Henri Nannen im Oktober 1963 zum Ehrenbürger.

Die Polizei tappt auf der Suche nach den Dieben lange im Dunkeln, bis in Italien ein Häftling gegenüber Zellengenossen mit dem Kunstraub seiner Bande prahlt. Im Oktober 1967 werden die ersten drei Täter verurteilt. 1971 wird auch das letzte noch flüchtige Mitglied des Diebesquartetts in der Türkei gefasst. Im daraufhin neu aufgerollten Prozess werden die vier Männer in Bamberg wegen der Volkacher Straftat und weiterer Vergehen zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und neuneinhalb Jahren verurteilt.
ein Hauptgewinn
auch die mithilfe von henri nannen
sollte nicht vergessen werden
Noch Jahre später erinnerten sich Gäste an den Raub und wollten Einzelheiten dazu erfahren. Im Nachhinein gesehen war der Raub ein „Glücksfall“ für die Bekanntheit Volkachs.