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Kitzingen
Kitzinger Schwarzbauaffäre: Vertrauliche Dokumente belegen, worum es im Streit zwischen Bauherr, Stadt und Denkmalschutz wirklich geht
Die Akte Wittmann zeigt ein deutsches Drama: Muss der Immobilienentwickler einen Streit ausbaden, den die Stadt und Bayerns Denkmalbehörde führen? Dokumente legen das nahe.
Darum geht es: Die Dachgauben in erster und zweiter Ebene passen aus Sicht der Denkmalschützer nicht zum Stil des Gebäudes am Kitzinger Marktplatz.
Foto: Andreas Brachs | Darum geht es: Die Dachgauben in erster und zweiter Ebene passen aus Sicht der Denkmalschützer nicht zum Stil des Gebäudes am Kitzinger Marktplatz.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:26 Uhr

Ein Bücherladen duckt sich im derzeit meistbeäugten Gebäude Kitzingens – und es ist eine Ironie, dass die jüngere Geschichte dieses Hauses selbst Stoff für einen ganzen Roman birgt. Das Genre changiert zwischen bürgerlichem Trauerspiel und Polit-Krimi. In den Hauptrollen: ein Oberkonservator des Landesamtes für Denkmalpflege, ein städtischer Bauamtsleiter und ein örtlicher Immobilienunternehmer.

Wer sich durch das Drehbuch dieser verworrenen Geschichte kämpft, stößt auf seltsame Wendungen, überraschende Wandlungen, kaum aufzulösende Widersprüche und auf eine Art Intrigenspiel. Am Ende drängt sich die Frage auf: Kann es sein, dass hier ein latenter Streit zwischen Stadt und Bayerns Denkmalbehörde tobt und dieser Konflikt offen auf dem Rücken eines Bauherrn ausgetragen wird?

Der Kitzinger Immobilienunternehmer Georg Wittmann und sein Sohn Dirk sind zwischen die Fronten geraten, und die Öffentlichkeit hat spätestens ab dem Zeitpunkt Wind von der Sache bekommen, als der Vorwurf des Schwarzbaus im Raum stand. Schwarz zu bauen bedingt Vorsatz. Wer schwarzbaut, stellt sich bewusst und wissentlich über das Gesetz.

Hat Wittmann also tatsächlich vorsätzlich gehandelt, als er das denkmalgeschützte Gebäude in der Kitzinger Marktstraße 21 zum Teil ohne Genehmigung umgebaut hat? Oder hat er – was Dokumente belegen – im Wesentlichen das getan, wozu ihn Stadt und Bauamt zuvor ermächtigt haben?

Fakt ist, dass Wittmann die vier sichtbaren Gauben in der zweiten Dachgeschossebene seinerzeit ohne schriftliche Genehmigung errichten ließ. Er berief sich auf eine mündliche und angeblich unter Zeugen erteilte Zusage von Bauamtsleiter Oliver Graumann, die dieser nie gegeben haben will.

Später hat der Bauausschuss des Stadtrats den Einbau der Gauben dann bewilligt; die Gestaltungssatzung für die Kitzinger Altstadt lässt solche Befreiungen zu, und der Verdacht liegt nahe, dass das der Tropfen war, der das Fass beim Landesamt für Denkmalpflege (LfD) und dessen unterfränkischem Statthalter Hans-Christof Haas zum Überlaufen brachte. Die Regierung von Unterfranken schaltete sich ein, erklärte die Baugenehmigung für rechtswidrig.

"Eine insgesamt schwierige und inzwischen sehr politische Angelegenheit."
Die Stadt Kitzingen in einem Schreiben vom März 2021 an die Regierung

Unangenehm für den Bauherrn, der nun womöglich einzelne Segmente entfernen muss; noch heikler aber für die Stadt Kitzingen, die sich für ihr Tun an höherer Stelle zu rechtfertigen hat. Dass Georg Wittmann und sein Sohn Dirk seit Mai 2020 auch noch im Stadtrat sitzen, macht die Sache nicht einfacher. Die Stadt schreibt in einem ausgeuferten, zähflüssigen Schriftverkehr von einer "insgesamt schwierigen und inzwischen sehr politischen Angelegenheit".

Diese Redaktion hat Einsicht genommen in Stellungnahmen, Schreiben und Mails, rund 300 Seiten verklausulierte Schriftwechsel und juristische Wortscharmützel zwischen dem Bauherrn und dessen Anwälten auf der einen Seite sowie Stadt, LfD und Regierung auf der anderen. Die Akte Wittmann, sie ist zur Parabel auf die Verwaltungsrepublik Deutschland geworden. Häuser aufstocken, Dachgeschosse ausbauen – in Zeiten knappen Wohnraums liegt darin einer der Lösungsschlüssel. Am Kitzinger Marktplatz vollzieht sich im Kleinen, was den Ausbau im Großen behindert und verzögert.

Als die Stadt am 5. November 2020 die Genehmigung zum Ausbau des ersten und zweiten Dachgeschosses erteilt, steckt das Haus bereits voller Leben. Im Herbst 2012 ist im Erdgeschoss die Buchhandlung Schöningh eingezogen, darüber befinden sich Büros. Jetzt sollen noch einmal zwei Wohnungen und ein Büro hinzukommen. Doch es gibt von Anfang an Probleme.

Da ist die Sache mit dem Aufzug; der Bauherr hat ihn seinerzeit eingebaut, um die oberen Etagen barrierefrei zu machen. Nun will er ihn nach oben verlängern. "Nicht erlaubnisfähig", schreibt das LfD, weil damit eine wertvolle Stuckdecke zerstört und ein historischer Dachbinder durchschnitten werde. Diese Stuckdecke, so entgegnet die Stadt, sei schon bei der Verlängerung der vorhandenen Treppe – vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts – durchbrochen worden und somit ohnehin nicht mehr im ursprünglichen Zustand vorhanden. Und auch die Sache mit dem Dachbinder hält man für "fachlich vertretbar". Die Stadt Kitzingen, die in diesem Fall auch untere Denkmalschutzbehörde ist, weiß, dass sie sich damit "bewusst" gegen die Position der höheren Denkmalschutzbehörde stellt.

Für die Stadt ist die Absicht Wittmanns "wirtschaftlich absolut nachvollziehbar"

Dass Wittmann das Dachgeschoss als Büro und Wohnung nutzen will, ist aus Sicht der Stadt "wirtschaftlich absolut nachvollziehbar". Die "städtebaulich gewollte Nachverdichtung" sei nur dann möglich, wenn "entsprechende Veränderungen in Grundriss und Ausstattung durchgeführt werden". So schreibt es die Stadt am 26. März 2021 an die Regierung – und stellt sich auch hier offen gegen das LfD, das eine Zerstörung des hochwertig ausgebauten Dachgeschosses "im nicht nachvollziehbaren Ausmaß" anprangert.

Geht hier also wertvollste Baugeschichte verloren? Für die Stadt ist die "Bausubstanz der in Rede stehenden Bauteile nicht in der Qualität, als dass sie mit vertretbarem Aufwand erhalten und in das Vorhaben integriert werden konnten". Wittmann erhält die Baugenehmigung, die – so schreibt die Stadt – nicht hätte erteilt werden müssen, aber aus "heute nicht mehr ersichtlichen Gründen" dennoch erteilt wurde.

Oliver Graumann ist Leiter des Kitzinger Stadtbauamtes. In der Causa Wittmann spielt er eine entscheidende Rolle.
Foto: Oliver Schmidt | Oliver Graumann ist Leiter des Kitzinger Stadtbauamtes. In der Causa Wittmann spielt er eine entscheidende Rolle.

Ende 2021 kommt es schließlich zum berüchtigten Gauben-Streit. Bauherr Wittmann lässt hoch oben vier Gauben aufrichten – nach mündlicher Erlaubnis durch Bauamtsleiter Graumann, wie sich Wittmann und sein Architekt Karl-Heinz Schmidt erinnern. Graumann bestreitet das auf Nachfrage. Er habe Schmidt gegenüber lediglich "mitgeteilt, dass dafür aktuell keine Genehmigung vorliegt, es einer Tektur bedarf und unter anderem die Fragen des Denkmalschutzes, der Belichtung und des Brandschutzes gelöst werden müssen". Die ebenfalls anwesende Bürgermeisterin Astrid Glos sagt, sie sei bei dem Treffen als "Privatperson" dabei gewesen und habe von der Unterredung nichts mitbekommen.

Kurz vor Weihnachten 2021 muss Wittmann den Bau einstellen und sich von LfD-Gebietsreferent Haas belehren lassen, dass Gauben in zweiter Dachgeschossebene "in Kitzingen historisch nicht verbürgt" seien. Alte Kitzinger Aufnahmen teils aus dem späten 19. Jahrhundert legen einen anderen Schluss nahe. Auf Nachfrage heißt es beim LfD, zur Bauzeit des Hauses Marktstraße 21 im 18. Jahrhundert seien Gauben in zweiter Reihe "nicht bekannt" gewesen.

Auch dazu gibt es eine interessante Vorgeschichte. Am 14. Januar 2021 schreibt LfD-Mann Haas in einer Mail an das Stadtbauamt "Betreff: Änderungsbedarf Gestaltungssatzung", Gauben seien das "traditionelle Mittel der Dachbelichtung". Und: "Hier könnte die Vielfalt erweitert werden, so dass auch (…) in der Größe gestaffelte Gauben in zweiter Reihe möglich sind." Es ist derselbe Haas, der am 4. Februar 2022 der Stadt Kitzingen mitteilt, die in zweiter Reihe errichteten Gauben im Anwesen Marktstraße 21 würden das "Erscheinungsbild massiv beeinträchtigen" und seien wieder zu entfernen. Das LfD sieht darin keinen Widerspruch und verweist auf das eigenständige Denkmalschutzgesetz.

Das Verwaltungsgericht Augsburg verhandelte 2009 einen ähnlichen Fall

Ein nahezu identischer Fall wurde im Februar 2009 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg verhandelt. Es ging um die Errichtung von zwölf Dachgauben im zweiten und dritten Dachgeschoss eines alten Gerberhauses; das Landesamt für Denkmalpflege argumentierte, bei den Dachgauben handle sich "um ein für historische Gerberhäuser fremdes Element". Die Stadt lehnte daraufhin die Gauben ab. Das Gericht hielt sie für zulässig und stellte noch einmal klar, die Stadt sei "als Untere Denkmalschutzbehörde an eine ablehnende Stellungnahme dieses Amtes nicht gebunden".

Stillstand auf der Baustelle: Kurz vor Weihnachten 2021 verhängt die Stadt am Anwesen Marktstraße 21 einen Baustopp.
Foto: Julia Lucia | Stillstand auf der Baustelle: Kurz vor Weihnachten 2021 verhängt die Stadt am Anwesen Marktstraße 21 einen Baustopp.

Man könnte kritisieren, dass die Stadt Kitzingen Wittmann weit entgegengekommen ist. Dass sie die Gestaltungssatzung bis zum Anschlag gedehnt hat. Aber kann man einem Bauherrn vorwerfen, dass er sich diese Zugeständnisse zu eigen macht und umsetzt? Für das LfD kommt das Verhalten der Stadt einem Affront gleich. Die Behörde sieht sich nicht ausreichend in das Vorhaben eingebunden, ihre Hinweise nicht entsprechend gewürdigt.

Gebietsreferent Haas schreibt am 19. Februar 2021 eine ausführliche Stellungnahme an die Regierung und bemängelt, dass "im baurechtlichen Verfahren denkmalrechtliche Belange nicht berücksichtigt" worden seien. Die Regierung nimmt die Stellungnahme zum Anlass, auf 37 Seiten zu begründen, warum die von der Stadt erteilte Baugenehmigung rechtswidrig sei.

Die Redaktion ist im Besitz dieses Schreibens vom 29. Juni 2021 und fragt in Würzburg nach: Hat sich die Regierung selbst ein Bild vor Ort gemacht, um die Lage zu beurteilen? Das sei "nicht notwendig" gewesen, heißt es, weil hier nur das "Vorgehen der Stadt Kitzingen" geprüft worden sei. Diese Prüfung erfolgte auf Basis "zahlreicher Pläne und Lichtbilder". Für die Regierung besteht im Übrigen "kein Anlass, die fachlichen Aussagen des Landesamtes in Frage zu stellen".

Für die Stadt Kitzingen dagegen schon. Sie hat "unter Beachtung der strengen Anforderungen des Denkmalschutzes" den Belangen des Bauherrn Vorrang vor den Bedenken des LfD eingeräumt. "Dies", so schreibt Rechtsdirektorin Susanne Schmöger der Regierung, "ist ihr grundsätzlich möglich." Die Stadt habe sich aus dem "Gesamtergebnis des Verfahrens" eine eigene Überzeugung zu bilden, sei als Bauaufsichtsbehörde juristisch nicht an die fachliche Beurteilung des LfD gebunden, teilt Schmöger mit Verweis auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes von 2013 mit.

"Ich wollte der Stadt etwas Gutes tun und brauche diese Wohnung am allerwenigsten."
Georg Wittmann, Kitzinger Immobilienunternehmer

Dennoch empfiehlt sie dem Stadtrat im April 2022, dem Rat der Regierung zu folgen, die Baugenehmigung und auch den Tekturantrag zum Ausbau des zweiten Dachgeschosses mit den zugehörigen Gauben aufzuheben. "Mit der Regierung", sagt einer, der lange im Bereich des Denkmalschutzes gearbeitet hat, "können Sie in dieser Hinsicht nichts anfangen."

Man weiß nicht, ob das schon der letzte Akt eines deutschen Dramas ist. Ob Wittmann bereit ist, weiter zu kämpfen. Er wollte Wohnraum schaffen, wollte "der Stadt etwas Gutes tun", wie er sagt. Er hat noch einmal einen Bauantrag im Rathaus eingereicht – nur einen Tag, nachdem sie im Stadtrat mehrheitlich der Einschätzung der Regierung gefolgt waren und seinen Tekturantrag abgelehnt hatten. Schwer vorstellbar, dass der Antrag im Stadtrat durchgehen wird. Und dann? Wittmann ist müde von einem Kampf gegen die Instanzen. Er sagt: "Ich brauche diese Wohnung am allerwenigsten."

Vielleicht werden bald die Anwälte das Wort haben. Vielleicht aber werden im Dachgeschoss des Anwesens Marktstraße 21 bald auch die ursprünglichen Bewohnerinnen wieder einziehen: Kitzingens Tauben.

 
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  • dr.marko.pfister@t-online.de
    Unfassbar verfahren das Ding und für mich natürlich , trotz der ausführlichen Artikel, nicht aufzulösen.
    Ich denke gerade über die Dunkelziffer der Bauherren nach, die im Clinch mit mehreren (?) Denkmalschutzbehörden liegen, jedoch keine so gute Lobby haben, dass wiederholt in der Tageszeitung berichtet wird.

    Von außen sehr schön geworden!
    Mich persönlich stören die Gauben nicht.
    Ich bin aber auch nicht eingearbeitet in den Denkmalschutz.
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  • matthiasr
    Traurig schönes Beispiel wieso Deutschland keinen Spaß mehr macht!
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  • reutjo
    *Stuckdecken.....

    mögen ja in Kirchen oder bestimmten Schlössern (zB Residenz WÜ) in ihrer künstlerischen Ausführung besonders wertvoll oder schützenswert sein.Diese Meining kann man gelten lassen.
    Bei Stuckdecken in sehr alten Wohnhäusern handelt es sich jedoch meist um einen zentralen,
    aufgestuckten Kreisel an Zimmerdecken, der das von Öllampen nach oben geworfene milde
    Licht bündelte und dadurch für etwas mehr Helligkeit sorgen sollte. Zu Zeiten..., in denen es
    noch keinen Strom für eine gute Beleuchtung der Räume gab. Vor rund 100 Jahren wurden zB im Lkrs. KT die meisten Häuser mit Strom erstmalig versorgt. Die Lichtbündlung mittels eines
    *Stuckkreisels braucht daher Niemand mehr. Schon gar nicht, wenn man heutzutage ein solch altes Haus für teuer Geld restauriert und die *Auflage Stuckdecke* mit einer künstlerischen
    Stuckdecke gleichsetzt und missbraucht. "Da ist der Wurm drinn" !!
    Ich war im Besitz eines sehr alten Hauses aus der *Vorstromzeit. Architektenproblem Stuck!
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  • simon.hoernig@gmx.de
    Spannende Recherche!
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  • Einwohner
    Wieder ein schönes Beispiel wie man sich wegen unwichtigem Unfug selbst beschäftigen kann. Offensichtlich haben wir immer noch viel zu viele Beamte, die sich untereinander mit sich selbst beschäftigen und Recht und Gesetz zu Ungunsten der Gesellschaft auslegen. Kein Wunder, dass nichts sinnvolles mehr vorangeht, alles ewig dauert und wir mehr und mehr abgehängt werden.
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