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Kitzingen
Patient Innenstadt: Wie Kitzingen um seine Mitte kämpft
Schutz oder Gängelung? Ein Zentrenkonzept soll den Einzelhandel im Ortskern stärken. Kritiker sehen darin eher ein nutzloses Mittel. Sie greifen lieber zum roten Teppich.
So sieht der Einzelhandel die Kitzinger Innenstadt am liebsten. Aber wie lange wird es diese Wimmelbilder angesichts des rasant wachsenden Online-Handels noch geben?
Foto: Waltraud Ludwig | So sieht der Einzelhandel die Kitzinger Innenstadt am liebsten. Aber wie lange wird es diese Wimmelbilder angesichts des rasant wachsenden Online-Handels noch geben?
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:26 Uhr

Wäre die Kitzinger Innenstadt ein Mensch, er sähe bleich und ausgemergelt aus. Die vergangenen Jahre sind nicht spurlos an diesem Patienten vorübergegangen. Viele Läden haben dicht gemacht, die Umsätze haben sich verlagert, vom Stadtkern auf die grüne Wiese oder gleich ganz ins Internet. Und nun schlägt da auch noch die Corona-Krise durch – mit monatelangem Shutdown und unabsehbaren Folgen. Der Staat legt Hilfsprogramme auf, die aber wirken nur gegen die Symptome. Wer an die Ursachen will, muss tiefer gehen und längerfristig denken. Ein Hebel soll das Zentrenkonzept sein, mit dem die Stadt Kitzingen seit 2012 arbeitet. Die Verwaltung setzt große Hoffnung in das Papier. „Es hat eine Schutzfunktion für den Einzelhandel“, sagt Bauamtsleiter Oliver Graumann. Der Stadtrat und Immobilienunternehmer Georg Wittmann (FBW) sagt: „Wo hat das Konzept hingeführt? Die Innenstadt ist ausgeblutet.“

Vermutlich stimmt beides. Gedacht war das Zentrenkonzept tatsächlich einmal als Schutzschild für den Handel. Es sollte den Rahmen setzen für Produktsortimente, die man in der Innenstadt verankern und nicht an die grüne Wiese verlieren will. Sollte der Politik als Mittel dienen, um Willkür bei Ansiedlungen am Stadtrand zu verhindern und die Entwicklung zu steuern. Nicht überall ist das gelungen, wie Zweiter Bürgermeister Manfred Freitag (FBW) am Donnerstag im Stadtrat anmerkte: „Wir geben 40 000 Euro für ein Konzept aus und versuchen es dann immer wieder zu umschiffen.“

Das "brandheiße Thema" soll zunächst in den Beirat

Und Thomas Rank (CSU) erinnerte die Kollegen daran, dass bei einem „bekannten Drogeriemarkt“ (gemeint war Müller in der Siegfried-Wilke-Straße) das Zentrenkonzept „ad absurdum geführt worden“ sei. Dort gab es im Jahr 2010 einen langen Streit um Multimedia-Produkte im Sortiment. Als Stadtentwicklungsreferent sei er „kein Freund des Zentrenkonzepts“, sagte Rank. Was Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) nach weiteren kritischen Wortmeldungen zu der Frage veranlasste: „Gibt es etwa eine Mehrheit, das Konzept nicht fortzuschreiben?“

Bislang ist die 'Galerie Kitzingen' des Immobilienunternehmers Georg Wittmann nur eine Vision. Welchen Einfluss hätte ein solches Projekt auf den Innenstadthandel?
Foto: Visualisierung: Wittmann | Bislang ist die "Galerie Kitzingen" des Immobilienunternehmers Georg Wittmann nur eine Vision. Welchen Einfluss hätte ein solches Projekt auf den Innenstadthandel?

So klar ist das in dieser Sitzung nicht geworden. Das Thema soll in diesen Tagen zunächst im Stadtentwicklungsbeirat landen, ehe es zurück in den Stadtrat geht. Und vielleicht ist das ganz gut so. Für die Grünen, die zwar eine Fortschreibung des Konzepts befürworten, sagte Andrea Schmidt: „Ich kann das nicht aus dem Bauch heraus entscheiden. Das Thema ist brandheiß.“ Nicht nur Stephan Küntzer (CSU) trieb die Frage um: „Was würde passieren, wenn wir das Konzept ad acta legen?“ Dann, so fürchtet Andreas Moser (CSU), verliere die Stadt eines ihrer Lenkungsinstrumente in der Gewerbeansiedlung und könne die Entwicklung nicht mehr steuern. Moser gab zu bedenken: „Es gibt in Deutschland keine zweite Stadt mit 20 000 Einwohnern, die so ein Konzept beerdigt. Das wäre eine brutale Entscheidung.“

Bauamtsleiter Graumann warb am intensivsten für eine Fortschreibung des Papiers, in dem grundlegende Fragen geklärt würden: Welche Segmente des Einzelhandels sind überversorgt? Wo hat es Sinn, Sortimente zu erweitern? Zentrenplanung heißt für Graumann, unerwünschte Konkurrenz zu den alteingesessenen Händlern zu vermeiden. Genau dieser Lenkungseingriff ist es, den Georg Wittmann kritisiert. „Wir sollten Unternehmern, die nach Kitzingen wollen, den roten Teppich ausrollen und sie möglichst wenig beschränken.“ Jede Vorgabe verhindere Entwicklung. „Wir sind hier nicht auf einer Insel der Seligen, sondern sehr nah an Würzburg. Wenn man verfolgt, was sich in den umliegenden Orten entwickelt, sieht man, dass wir gar nicht mehr gebraucht werden.“ Für den OB ist entscheidend, dass sich Handelswelt und Kaufverhalten drastisch verändert haben. Deshalb sei es sinnvoll, das Konzept auf den Stand der Zeit zu bringen.

Im ersten Anlauf ist die Galerie im Rat durchgefallen

Wittmann will bekanntlich selbst eine Einkaufsgalerie in Kitzingen errichten. Auf drei Etagen plant der Unternehmer am Stadteingang aus Richtung Würzburg Lebensmittel-, Discount-, Getränke- und Drogeriemarkt, ergänzt um Bäcker- und Metzgerladen, Arzt- und Therapiepraxen sowie Büros. Im ersten Anlauf ist sein ehrgeiziges Vorhaben im Stadtrat durchgefallen – das war im Februar 2020, einen Monat vor der Kommunalwahl. Wie der neue Stadtrat das Projekt bewertet, ist nicht klar. Ohne das Vorhaben Wittmanns beim Namen zu nennen, stellte Manfred Paul (SPD) am Donnerstag fest: „Wenn da draußen ein Outlet-Center entsteht, haben Sie keine Innenstadt mehr.“ Für Stephan Küntzer ist dagegen klar: „Das Zentrenkonzept wird keinen einzigen Einzelhändler retten. Das größte Outlet ist der Online-Handel.“

 
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Kommentare
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  • E. S.
    Für Kitzingen fehlt es inzwischen an Vielem. Der Kauf des Bahnhofs war überfällig, eine "Einkaufsgalerie" könnte ein Besucher Agentur werden, der Menschen in die Nähe der Stadt lockt, ist die Innenstadt dann noch attraktiver, "verirren " sich auch Besucher in den schönen Stadtkern. Die Marschall Hights als Stadtteil vollständig entwickeln, fördern und ausbauen (lassen), zieht Menschen nach Kitzingen. Nicht Einschränkungen sondern Öffnen, Ausbau, Erweiterung zulassen, damit Menschen angezogen werden.
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    Die Politik, in dem Fall BGM und Stadtrat versuchen sich an Konzepten, denen es an Breite und Tiefe fehlt. Vor allem der BGM aber auch die Stadträte überschätzen sich. Was die Politik kan, ist moderieren. Moderieren zwischen den Bürgern, die dort wohnen, den Mietern und Vermietern von Wohnungen und Geschäftsräumen, den Kulturschaffenden, sozialen Einrichtungen (angefangen beim Kindergarten), Gastronomie, ja und auch Einzelhandel.
    Ob das aber einem größtenteils konservativen und in Allmachtsphantasien verhafteten BGM und Stadtrat gelingt darf bezweifelt werden.
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