Man kennt den Zeitpunkt nicht mehr genau, aber irgendwann zu Beginn des Jahres 2019 hatten sich alle Klappen ins Herz des Kitzinger Bahnhof plötzlich geschlossen. Der Puls setzte aus, alles Leben entwich aus dem Gebäude. Manche sprachen von einem „Dornröschenschlaf“, aber das hätte vorausgesetzt, dass der Bahnhof nach einer angemessenen Zeit der Ruhe strahlend aus seinem Dasein erwacht, alle sich glücklich in den Armen liegen und das Fest beginnt. Wie im Märchen eben.
Doch über viele Monate war unsicher, ob und wann das Gebäude überhaupt wieder erwachen würde. Erst als die Stadt Anfang des Jahres den Bahnhof kaufte, zog neues Leben in das alte Gemäuer des Gründerzeitbaus ein. Am 1. Juni soll die Halle wie versprochen wieder für Publikumsverkehr öffnen. Endlich, sagen viele.
Die Arbeiter setzten Wände und zogen Leitungen neu
Im Schein von Taschenlampen war Anfang Februar eine Abordnung der Stadt mit Oberbürgermeister Stefan Güntner an der Spitze durch die trostlose Weite der Wandelhalle spaziert. Der Auftrag, den die Rathausdelegation an diesem Abend mitnahm, lautete: Es gibt viel zu tun. In den Wochen danach packten die Arbeiter der Stadt an, setzten Wände, zogen Leitungen, brachten Farbe ins Spiel. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Wenige Tage vor der Eröffnung strahlt die Halle wie in besten Zeiten, zwar kleiner, da einige Bereiche noch mit Trockenbauwänden abgegrenzt sind. Aber wer sie nicht von früher kennt, könnte meinen, das gehöre so. Die Toiletten wurden von einer Fachfirma erneuert, „nicht saniert“, wie Oliver Graumann, der Leiter des städtischen Bauamts hervorhebt. „Sie wurden neu gebaut.“ Die alten waren einfach zu marode.
Zuerst musste die Stadt Müll und Unkraut beseitigen
Nach dem Stadtratsbeschluss Anfang März hatten sich die Bauarbeiter zügig ans Werk gemacht. Es ging los mit profanen Arbeiten: Müll beseitigen, der sich im Innern türmte, Unkraut entfernen, das sich im Umfeld breit gemacht hatte. Dann ging es weiter mit Grundlagenarbeit: der Sicherung von Fenstern und Türen, der Kontrolle von Leitungen. Bis Mitte Mai wurde geplant, organisiert und geschuftet, noch immer sind kleinere Dinge zu regeln. Aber alles ist darauf ausgelegt, den Bahnhof am 1. Juni wieder zu öffnen.
„Die Reisenden finden dann wieder eine saubere Halle, in der sie sich aufhalten, auf Bänken sitzen und zur Toilette gehen können“, sagt Graumann. Im hinteren Teil soll noch eine kleine behindertengerechte Rampe installiert werden. Um den Rest wie die Wohnungen in den Obergeschossen will sich die Stadt später kümmern.
Auch was die Barrierefreiheit des Bahnsteigs angeht, hofft der OB, dass Kitzingen in der Prioritätenliste der Bahn nach oben rutscht. Bis vor kurzem tauchte Kitzingen in diesem bis ins Jahr 2026 reichenden Förderprogramm der 1000 Bahnhöfe gar nicht auf. Mit Regierung und Landkreis will sich die Stadt wegen des geplanten Busbahnhofs abstimmen. Und dann ist da noch die Entwicklung der mehreren hundert Quadratmeter Nutzfläche des Bahnhofs.
Nachdem die Stadt sich entschieden hat, den Bahnhof zu behalten, steht als Nächstes ein Nutzungskonzept auf der Agenda. Für einen Großteil der Flächen gibt es sowohl Interessenten als auch Ideen. Von Kultur bis Kleingewerbe und Start-up: Was genau sich dahinter verbirgt, will der Oberbürgermeister zu gegebener Zeit der Öffentlichkeit vorstellen.
Der Stillstand am Bahnhof hatte zwei Jahre lang Methode
Klar ist: Was unter dem vorherigen Eigentümer in den zwei Jahren versäumt wurde, lässt sich nun nicht in wenigen Monaten aufholen. Die Wohnungen müssen saniert, die abgesperrten Teile der Halle hergerichtet werden. Nichts von alledem hatte die Aedificia Infrastruktur- und Entwicklungsgesellschaft aus Frankfurt am Main unternommen. Bei Recherchen dieser Redaktion kam heraus, dass der Stillstand Methode hatte – nicht nur am Standort Kitzingen, sondern auch bei vielen anderen von der Aedificia erworbenen Bahnhöfen in Deutschland.
Rasch tätig wurde die Gesellschaft zuletzt nur auf einem Feld: Die Inhalte der Aedificia-Webseite sind seit Monaten nicht mehr erreichbar. Offenbar ist das Unternehmen dabei, sich neu aufzustellen. Die Aedificia Infrastruktur- und Vermögensverwaltungsgesellschaft ist im Sommer 2020 bereits in der Sohoco Immobilienverwaltungs GmbH & Co. KG mit Sitz in Kelsterbach aufgegangen.