
Die Gnodstädter sind ein eigenwilliges Völkchen – und darauf sind sie stolz. Heftig wehrten sie sich 1972 bei der Gebietsreform: Sie wollten partout nicht nach Kitzingen. Mit einem Anhänger voller Mist demonstrierten sie vor der Regierung in Würzburg. "Da war ich dabei", sagt Karlheinz Ott und grinst. "Als kleiner Knirps." Als Mann ist er nun bei der nächsten Gnodstadter Eigenheit dabei: der Holzkärwa. Eine Tradition mit vielen durchaus kuriosen Regeln.
Immer am ersten Donnerstag im Dezember zieht es die Männer am Nachmittag ins Gnodstadter Rathaus, und ihre Frauen wissen: So schnell sehen sie die nicht wieder. Eigentlich handelt es sich bei der Holzkirchweih nur um die Generalversammlung der Gnodstadter Holzrechtler, also um schnöde Bilanzen und nüchterne Zahlen. Doch die Hübner, so heißen die Rechtler, machen einen Akt daraus, der seinesgleichen sucht.
Krawatten sind Pflicht, und Singen ist verboten

Dass keine Frauen kommen dürfen und dass alle Männer Krawatte – kurze Hose und T-Shirt wären übrigens erlaubt – tragen müssen, ist da noch am leichtesten zu überprüfen. Früher war's auch so, dass nur die Verheirateten kommen durften und auch nur dann, wenn das Recht auf die Hub beim Mann lag. Karl Schmidt, Siebener, zweiter Gemeindearchivar und Hübner durch und durch, erklärt, was die Hub überhaupt ist.
Etwa 1260, als Gnodstadt zu Würzburg gehörte, wurde den Bürgern erlaubt, den Wald zu nutzen. Die Bewirtschaftung teilen sich aktuell 58 Hübner, die aus Gnodstadt kommen oder mindestens Wurzeln dort haben. Der Wald wird als Mittelwald bewirtschaftet. Das heißt, nicht der ganze Wald auf einmal wird bewirtschaftet, sondern immer nur ein Stück. Deswegen ist der Wald in sogenannte Huben aufgeteilt, die sich wiederum die Hübner teilen.
Alle zwei Jahre wird dann eine andere Hube bearbeitet, so dass nach 22 Jahren alles wieder von vorne beginnt. Das ist die schnelle Erklärung, denn in Wirklichkeit ist alles noch viel komplizierter. Es spielen noch Grenzsteine, alte Hausnummern von vor der Eingemeindung und das Hubbuch eine Rolle. Leichter zu verstehen sind dagegen die Regeln, was aber nicht heißt, dass sie jeder, der nicht Gnodstadter ist, nachvollziehen kann.

Darf ich jetzt Nüsse essen? Die Schalen auf den Boden werfen? Und wie war das noch mal mit dem Hut und dem Singen? Vorschriften gibt es viele, aufgeschrieben sind sie aber nirgends. Doch Schmidt hat den Überblick.
Besondere Wecken und ein Liter Wein für die Witwen
Die oberste Regel: keine Frauen! Was aber nicht heißt, dass sie kein Holzrecht – meist geerbt – haben können. Sie dürfen eben nicht zur Holzkärwa. "Meine Hub gehört auch noch meiner Mutter", erklärt Hübnermeister Winfried Heinkel. Der Hübermeister ist sozusagen der oberste Hübner und kümmert sich um das Organisatorische – im Wald und bei der Kärwa. Denn auch wenn keine Frauen dabei sein dürfen, heißt das nicht, dass nicht an sie gedacht wird: Die Witwen erhalten einen Liter Wein und vier Brötchen. Wobei, es muss heuriger Wein sein, und die Wecken sind nicht einfach Wecken, es sind Milchbrötchen, die der Gnodstadter Bäcker Gebert extra und nur für die Hübner backt.

30 Hübner sind dieses Jahr ins Gnodstadter Rathaus gekommen. Jedem von ihnen legen die Aufträger, das sind normalerweise Hübner, die zum ersten Mal dabei sind, die leicht süßen Brötchen hin. Und plötzlich geht das Geraschel los. Da werden die Jutebeutel – keine feste Regel, aber gewünscht – auf den Tisch gelegt und die Tupperboxen rausgeholt. War lange Zeit nur Käse in den Boxen, so ist mittlerweile auch Wurst erlaubt – auch wenn das der strenge Sittenwächter Schmidt gar nicht gerne sieht.
Am Herrentisch geht's edel zu: Wein aus dem Zinnkrug und Römer
Schon beim Getränk muss er mittlerweile zwei Augen zudrücken. Gab es früher nur den heurigen Wein, holen mittlerweile immer mehr auch eine Flasche Wasser aus dem Beutel, eine stille Revolution. Nicht so bei den Gläsern. Der Herrentisch – an dem sitzen der Hübnermeister, sein Stellvertreter, die Siebener, der Vorsitzende und der Schriftführer – erhält seinen Wein aus Zinnkannen und trinkt aus Römern. Der einfache Hübner muss sich mit einem einfachen Schoppenglas begnügen. Immerhin müssen sie es nicht mehr mitbringen. Diese Regel wurde aufgehoben, als der damalige Marktbreiter Bürgermeister Erich Hegwein Gläser für alle spendierte. Aber bedient werden sie alle. Die Aufträger schenken nach, und manch einer hat da rasch den Überblick verloren.

45 Liter Wein hat Hübnermeister Heinkel für dieses Jahr geordert. Erst wenn das Fass leer ist, ist die Holzkirchweih beendet, mal war das schon um 19 Uhr, mal erst um 21 Uhr – je nachdem, wie viele Hübner da sind. "Aber das Wirtshaus hat ja bis Mitternacht offen", sieht Junghübner Patrick Kleinschroth die Lage entspannt. Denn nach der Kärwa geht's noch weiter: Die Junghübner geben einen aus.
Bis es so weit ist, müssen noch einige Sachen geklärt werden. Ob denn eine Whatsapp-Gruppe für die Hübner nicht sinnvoll wäre? Gemurmel hier, Zwischenrufe, was denn mit den Alten sei, die kein Handy haben. Doch schnell lässt Hübnermeister Heinkel einen Zettel rumgehen, um die Telefonnummern zu sammeln. Die Aufträger holen die nächste Runde Milchbrötchen. 400 Stück hat Heinkel bestellt, neben den Witwen hat auch der Gnodstadter Kindergarten welche bekommen. Draußen dämmert's. Doch einfach auf den Lichtschalter drücken wäre natürlich viel zu einfach. Das muss schon der Hübnermeister machen. Tut's ein anderer, heißt das: Strafe.

Zwei Liter Wein sind als Strafe angesetzt. Das ist Tradition. Doch auch vor der Gnodstadter Holzkärwa macht die Inflation nicht halt. So hat Altbürgermeister Hegwein, der jetzt als Vorsitzender fungiert, acht Euro pro Liter in den Raum gestellt. "Inflationsausgleich!", ruft er in die Menge. "Jetzt gibt's den bei uns ah scho", schreit ein anderer zurück. Gelächter, aber nur eine Gegenstimme. Am Ende werden die Strafen kassiert, in bar. Das Geld kommt den Hübnern zugute, etwa für Nachpflanzungen. Genau wird da beobachtet, ob einer den Herrentisch anfasst, das Weinfass im Raum berührt oder gar einer das Milchbötchen auf dem Fass wegnimmt.
Bürgermeister und Pfarrer als Gäste, doch was, wenn es eine Pfarrerin ist?
Das macht Bürgermeister Harald Kopp, der als Vertreter der Stadt Marktbreit da war. Ist ja für den guten Zweck. Außer dem Bürgermeister darf noch der Pfarrer kommen. Ist's eine Pfarrerin wird's schwierig, kam aber vor ein paar Jahren vor. Bei der Einladung hatte keiner bedacht, dass das Amt gerade eine Frau innehatte. "Ich hab sie halt komplett ignoriert", sagt Schmidt.
Würde einer der Hübner einen Antrag stellen, dass auch Frauen zur Holzkärwa kommen dürfen, müsste darüber abgestimmt werden. "Es wird wohl noch etwas dauern", meint Hübnermeister Heinkel, der seine Hub irgendwann der zweiten Tochter übergeben will. Denn bei allem Eigensinn und Stolz wissen auch die Gnodstadter, dass Traditionen nur erhalten bleiben, wenn sie mit der Zeit gehen. Und so wird in ein paar Jahren vielleicht die erste Hübnermeisterin, dann, wenn der Wein getrunken ist, rufen: "Holzkirchweih aufgehoben." Dann wird vielleicht auch das Singen nicht mehr bestraft. Und ins Wirtshaus gehen alle – Männer und Frauen.