Es war ein Montag im April, um die Mittagszeit, als Patricia Finkenberger im Namen des Volkes urteilte: Im Sitzungsaal 102 des Kitzinger Amtsgerichts saß Bruder Abraham Sauer. Der Benediktiner aus dem Kloster Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) war angeklagt, weil er einem 25 Jahre alten Mann aus dem Gazastreifen Kirchenasyl gewährt hatte. Richterin Finkenberger jedoch sprach den Geistlichen frei.
Das Urteil hat eine kontroverse Debatte über das Kirchenasyl entfacht. Nun erklärt Finkenberger erstmals ausführlich ihre Entscheidung. Im Interview mit dieser Redaktion hebt die Juristin die Bedeutung der Glaubens- und Gewissensfreiheit hervor und wehrt sich gegen den Vorwurf, sie habe "Gnade vor Recht" ergehen lassen.
Patricia Finkenberger: Ich habe genauso wie die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass es sich bei dem Kirchenasyl um eine rechtswidrig begangene Straftat handelt. Jedoch lag meines Erachtens – in diesem speziellen Fall – ein Entschuldigungsgrund vor, der in den unantastbaren Grundrechten von Bruder Abraham Sauer wurzelt – nämlich in der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Finkenberger: Als Strafrichterin muss ich zunächst prüfen, ob eine Straftat begangen wurde, dann, ob diese rechtswidrig begangen wurde. Wer beispielsweise in Notwehr handelt, wird nicht bestraft. Das dritte – und im Fall Bruder Abraham entscheidende – Kriterium ist die Schuld. Beim Kirchenasyl besteht ein Konflikt zwischen der Straftat "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" und der in der Verfassung verankerten Glaubens- und Gewissensfreiheit. Mit der Annahme eines Entschuldigungsgrundes habe ich dieses Grundrecht berücksichtigt.
Finkenberger: Das ganze Strafrecht basiert auf Schuld – zum Glück. Die Motive, warum jemand eine Straftat begeht, können sich sowohl strafschärfend als auch strafmildernd auswirken. Und sie können auch ausnahmsweise zur Straffreiheit führen. Das ist allgemein anerkannt.
Finkenberger: Das ist der Maßstab, aber nicht der alleinige. Eine Norm darf nie isoliert betrachtet werden. Die Rechtsordnung muss immer in ihrer Gesamtheit angewendet werden. Dazu gehören auch alle Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, die eine Bestrafung eventuell ausschließen. Solche ergeben sich nicht nur aus dem Strafgesetzbuch, sondern sehr oft aus anderen Gesetzen oder dem Grundgesetz. Auf die Möglichkeit einer Entschuldigung in Fällen des Kirchenasyls hat das Oberlandesgericht München bereits 2018 hingewiesen.
Finkenberger: Es geht bei Bruder Abraham nicht um Gnade. Ich habe nicht gegen das Gesetz entschieden, sondern das Grundgesetz – in diesem Fall das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit – direkt angewendet. Das kommt selten vor, ist aber zulässig. Das Ergebnis beruht dann auf einer Abwägung, die in diesem Einzelfall zugunsten des Grundrechts ausging. Doch machen wir uns nichts vor: Das ist juristische Hochseilartistik, die aber wohl auch der nächsten Instanz nicht erspart bleibt.
Finkenberger: Auf der einen Seite die Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf der anderen Seite die Rechtsordnung als solche. Bei dem Geflüchteten handelt es sich um einen völlig unbescholtenen jungen Mann, von dem keine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht. Das ist sehr wichtig. Dann ist zu berücksichtigen, dass die Gewährung von Kirchenasyl keine Grundrechte Dritter verletzt. Ein Gegenbeispiel: Aus Glaubensgründen Kinder zu schlagen oder Tiere zu quälen, wäre eindeutig strafbar. Die "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" stellt dagegen im Strafrecht eher einen Formalverstoß dar.
Finkenberger: Richtig. Damals ging es um eine Frau, die nach einer schwierigen Hausgeburt im Krankenhaus hätte behandelt werden müssen, dies jedoch aufgrund religiöser Vorstellungen verweigerte und verstarb. Ihr Mann teilte ihre religiöse Überzeugung, unternahm nichts und wurde später wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 200 D-Mark verurteilt. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass auch diese geringe Strafe die Glaubensfreiheit des Ehemanns verletze.
Finkenberger: Im damaligen Fall ging es um Leben und Tod. Dennoch entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine Bestrafung unangemessen ist. Das unterstreicht die Bedeutung der Glaubens- und Gewissensfreiheit – als eine ernste, auf einer tiefen Überzeugung beruhende und an den Kategorien von "Gut" und "Böse" orientierte Entscheidung, die jemand innerlich als bindend und unbedingt verpflichtend erfährt. Das Bundesverfassungsgericht hat andernorts klar entschieden, dass die Gewissensfreiheit nicht nur vor einer Duldung staatlicher Maßnahmen schützt. Sie ermöglicht auch ein positives Tun: Im Ernstfall muss es dem Bürger erlaubt sein, zu handeln – wenn er ansonsten in ernste Gewissensnot geraten würde.
Fünf Wochen nach dem Freispruch in Kitzingen hat das Amtsgericht Würzburg die Oberzeller Ordensschwester Juliana Seelmann in einem vergleichbaren Fall verurteilt. Der Richter stützte sich dabei auf das in der Verfassung verankerte Rechtsstaatsprinzip. Beide Urteile sind bislang nicht rechtskräftig. Mit der nächsten Instanz rückt ein Grundsatzurteil näher.
"es wünsch uns jeder was er will, so schenk ihm Gott dreimal soviel".
Liebe Leut' die Ihr alle so überzeugt davon seid, allen "Scheinasylant/innen" geschähe es Recht hier wieder herauszufliegen in Länder mit vorsichtig ausgedrückt unterfinanziertem aber dafür überbeschäftigtem Sozialsystem, betet dafür (oder was auch immer) dass Ihr nie selber solchen Gesetzen zum Opfer fallt bzw. dafür dass Euch dann jemand davor bewahrt, in (sowas Ähnliches wie) die Hölle auf Erden (zurück)geschickt zu werden.
Und seid gewiss, das was wir heute an Fluchtbewegungen haben ist ein laues Lüftchen gegen das was noch kommt, wenn Temperatur und Meeresspiegel weiter steigen. Ich bin mir sicher, eines (unschönen) Tages werden "Gesetze" nicht mehr reichen, uns (bzw. unsere Nachfahren) vor den Konsequenzen zu bewahren. Es ist eine gute Frage, ob wir dann die Gnade gewährt bekommen, die wir selber zu gewähren uns geweigert haben.
Dann ist es wohl auch die „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ die bei den pädokriminellen Straftaten zur flächendeckenden und systematischen Vertuschung und Strafvereitelung berechtigt???
Mit „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ können doch wohl kaum Straftaten gerechtfertigt werden.
„Glaubens- und Gewissensfreiheit“ kann doch wohl allenfalls im Sinne einer verminderten Schuldfähigkeit, weil der Täter unfähig ist das Unrechtmäßige seiner Tat zu erkennen, zu einer sehr milden Strafe (ggf. auf Bewährung) führen.
Das halte ich auch nicht für „juristische Hochseilartistik“ sondern für das „Kleine Ein-mal-Eins“ der Rechtssprechung.
Die Frage ist doch, ob das Staatswesen zu seinen Regeln steht - oder vor der Macht der Kirchen einknickt.
Eine Privatwohnung darf ja unter bestimmten Umständen von der Polizei auch gegen den Willen der Bewohner betreten und durchsucht werden. Dass je eine Kirche von der Polizei gestürmt worden wäre, habe ich persönlich noch nicht gehört. Sakralgebäude galten immer als "heiliger Boden", die unter dem Schutz eines Höchsten stehen. Das wurde respektiert.
Unabhängig davon hat schon jetzt jeder Bürger die Möglichkeit, sich einem AK Asyl anzuschließen oder bei einem Kirchenasyl in der Gemeinde mitzuhelfen (einkaufen, Sprachunterricht, Beschäftigung), und das ganz ohne dass er/ sie sich der Mittäterschaft schuldig macht.
Auch das Urteil von 1971, in dem jemand zurecht aus Glaubensgründen die notwendige Krankenhausbehandlung verweigert, und der Kranke deshalb gestorben ist, widerspricht meinem persönlichen Rechtsbewusstsein völlig.
Dieses 50 Jahre alte (nach menschlichem Ermessen erschütternde) Urteil für heutige Fälle heran zu ziehen....da rollen sich die Zehnägel.
Allerdings: Grundsätzlich nehme ich den Patern und Schwestern schon ab, dass Sie aussschließlich aus Glaubens- und Gewissensgründen versuchen, das Beste für diese Flüchtlinge heraus zu holen und da auch mal Grenzen ausreizen.
Von daher wäre es wichtig, diese Sache einfach mal höchstrichterlich zu klären.