Im Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" blickt die Redaktion auf die Geschichte der Juden im Landkreis Kitzingen zurück. Gastautor Wolf-Dieter Gutsch aus Wiesentheid hat dazu mehrere Familien-Schicksale zusammengetragen, die wir in einer Serie vorstellen. Heute: Familie Ackermann aus Kleinlangheim.
Jakob Bernhard Ackermann wurde am 30. Oktober 1866 in Geroldshausen bei Würzburg geboren. Er heiratete am 15. Juli 1897 in Kleinlangheim die am 22. Mai 1865 dort geborene Jeanette Berliner. Sie war eine Tochter von Moses Berliner.
Sowohl Jakob Ackermann als auch seine Frau kamen aus bescheidenen Verhältnissen, wie die Berufsangaben ihrer Väter, Handelsmann und Händler, nahelegen. Die Familie lebte im Haus Nr. 137 b in Kleinlangheim. Jakob Ackermann war von Beruf Viehhändler und Landwirt und frönte einer besonderen Leidenschaft: Er war Mitglied der Feuerwehr Kleinlangheim und wurde 1931 für seinen Einsatz und die langjährige Mitgliedschaft von der Gemeinde ausgezeichnet. Auch seinen Sohn Ludwig konnte er dazu bewegen, 1928 beizutreten.
Mit den Nazis kam das Unheil
Mit der Machtergreifung der Nazis kam es zu Entrechtung und Demütigungen. So erinnert sich beispielsweise ein noch lebender Kleinlangheimer Bürger, dass er als Knabe in den späten 1930er-Jahren zusammen mit Schulkameraden im Winter die alte Jeanette Ackermann gerne mit Schneebällen bombardierte und dass sich die Buben am lauten Schimpfen des Opfers ergötzten – im sicheren Gefühl, dass ihr Handeln ungeahndet bleiben würde.
Nachdem nach und nach alle Kinder und Enkel Leo Kleinlangheim verlassen mussten, zogen Jakob und Jeanette Ackermann im November 1940 in ein jüdisches Altersheim nach Würzburg. Im Jahre 1941 verkauften sie zwangsweise ihr Haus und ihren Grundbesitz in Kleinlangheim.
Am 23. September 1942 wurden beide in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort starben sie – infolge der entsetzlichen Lebensumstände und der unzureichenden Ernährung – schon bald: Jeanette Ackermann am 13. Januar 1943 und Jakob zehn Tage später.
Aus ihrer Ehe waren sechs Kinder hervorgegangen, nämlich Moritz (geboren 1898), Max (1899), Siegfried (1900), Zerline (1902), Kerri (1904) und Ludwig (1906).
Max Ackermann starb schon als Kleinkind, gerade ein halbes Jahr alt. Sein Bruder Moritz, von Beruf Metzger und Viehhändler, diente im Ersten Weltkrieg als Soldat in der bayerischen Armee und wurde wegen der Verletzung durch einen Granatsplitter ausgezeichnet. Im Januar 1940 wurde er vom Amtsgericht Kitzingen für tot erklärt und sein Todestag auf den 31.12.1930 festgelegt.
Gefälschte Todesursachen sollten Morde vertuschen
Siegfried war von Beruf Bauer und später Schäfer. Kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde er zum Militär eingezogen, lebte später in Saarbrücken. Von dort aus wurde er am 9. Januar 1942 als "Schutzhäftling" in das KZ Dachau eingeliefert. Bereits am 4. Mai des gleichen Jahres kam er mit einem sogenannten Invalidentransport im Rahmen der "Aktion 14f13" für kranke und arbeitsunfähig gewordene Häftlinge von Dachau aus in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Dort wurde er wahrscheinlich noch am gleichen Tag in einer Gaskammer ermordet. Eine Urne mit seiner Asche wurde auf dem Israelitischen Friedhof in Würzburg beigesetzt.
Zerline arbeitete vermutlich nach dem Abschluss der Volksschule als Dienstmädchen in Familien und Gastwirtschaften in Kleinlangheim, Kitzingen und Würzburg. 1923 brachte sie in Kleinlangheim den außerehelichen Sohn Leo zur Welt und heiratete am 1. November 1928 in sogenannter Mischehe den katholischen Arbeiter Hans Brönner aus Volkach. 1929 wurde in Kleinlangheim ihr Sohn Georg Brönner geboren, 1930 in Volkach die Tochter Maria, die allerdings schon mit zwei Jahren starb.
Die Ehe war nicht glücklich und wurde 1938 geschieden. Zu dieser Zeit lebte das Ehepaar schon längst getrennt – und Zerline Brönner war wegen Vergehens gegen die "Nürnberger Gesetze" bereits in Konflikt mit der Nazi-Justiz geraten. Sie wurde vom Polizeigefängnis München nach Zwischenstationen im Mai 1939 in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Von dort wurde sie am 21. April 1942 als krank oder arbeitsunfähig in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale gebracht und in einer Gaskammer ermordet. Auch ihre Urne mit ihrer angeblichen Asche ist auf dem Israelitischen Friedhof in Würzburg beigesetzt worden.
Kerri wanderte von Frankfurt aus – wo sie als Köchin arbeitete – 1923 in die USA aus. 1927 heiratete sie in Chicago den aus Ostpreußen stammenden nichtjüdischen Johann (John) Arendt; im gleichen Jahr wurde der Sohn John Arendt geboren. Kerri (Carrie) Arendt starb 1954. Der Sohn John Arendt jr. starb 2013 und hinterließ eine Tochter.
Tod im Konzentrationslager
Ludwig, das sechste und letzte Kind, blieb bei seinen Eltern in Kleinlangheim und betätigte sich als Händler. Gemeinsam mit dem 1889 geborenen Friedrich (Fritz) Sondhelm aus Kleinlangheim wurde er – auf Veranlassung der Kriminalpolizei Würzburg und wohl aufgrund der Denunziation eines lokalen Amtsträgers – Anfang März 1937 in das KZ Dachau eingeliefert. Im September 1938 verlegte man die beiden in das KZ Buchenwald. Dort starb Fritz Sondhelm am 25. April 1940 und Ludwig Ackermann am 3. Juli 1940.
Berührend sind auch die Schicksale von Georg Brönner und Leo Ackermann, den beiden Söhnen von Zerline Ackermann. Georg Brönner kam am 7. März 1929 in Kleinlangheim zur Welt und wurde katholisch getauft. Schon im Februar 1936 kam er wegen "bekannter häuslicher Schwierigkeiten" mit sechs Jahren in das Fürsorgeheim der Vinzentinerinnen in Würzburg. Am 1. September 1943 kam er in die "Erziehungsabteilung für jüdische Mischlinge" in der Heil- und Pflegeanstalt Hadamar bei Gießen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs verabreichte man ihm dort am 31. Januar 1945 eine tödliche Spritze. Er starb mit 15 Jahren. An ihn erinnert ein "Stolperstein" vor dem ehemaligen Fürsorgeheim der Vinzentinerinnen in Würzburg.
Der am 6. Januar 1923 in Kleinlangheim geborene Leo Ackermann war ein voreheliches Kind von Zerline Brönner, er wuchs in Kleinlangheim bei seinen Großeltern Jakob und Jeanette auf. Im Mai 1939 war Leo zwar noch in Kleinlangheim gemeldet, allerdings "flüchtig". In seinem Lebenslauf klafft von 1939 bis 1948 eine Lücke – auf unbekannte Weise überlebte er den Holocaust und den Krieg.
Überlebender des Holocaust
Im November 1949 zog er nach Großen-Linden und arbeitete als Schäfer in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft. 1952 heiratete er; die Ehe blieb jedoch kinderlos. 1961 zog er mit seiner Frau in das nahegelegene Langgöns. Dort starb er am 20. August 1996, genau zehn Tage nach dem Tod seiner Frau.
Es ist bemerkenswert, dass sich im Fall der Familie Ackermann aus Kleinlangheim die Fälle von Täuschung und Lüge durch die Nationalsozialisten häuften: So wurde unter anderem für die in der Tötungsanstalt Bernburg in einer Gaskammer ermordete Zerline Brönner eine Todesurkunde vom Standesamt Ravensbrück mit gefälschtem Datum ausgestellt.
Das Gleiche gilt für ihren Bruder Siegfried Ackermann, der in der Tötungsanstalt Hartheim vergast wurde und dem das Standesamt Dachau sechs Wochen später eine Todesurkunde mit der fingierten Todesursache "Herz- und Kreislaufversagen, bei Darmkatarrh" bescheinigte. Beim durch eine Giftspritze in der Tötungsanstalt Hadamar umgebrachten Georg Brönner schließlich vermerkte die NS-Bürokratie als Todesursache "Angeborener Schwachsinn, Herzschwäche".
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