Im Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" blickt die Redaktion auf die Geschichte der Juden im Landkreis Kitzingen zurück. Gastautor Wolf-Dieter Gutsch aus Wiesentheid hat dazu mehrere Familien-Schicksale zusammengetragen, die wir in einer Serie vorstellen.
Im beschaulichen und idyllisch gelegenen Steigerwalddörfchen Rehweiler – ebenso wie im benachbarten Geiselwind – lebten einstmals jüdische Einwohner und es gab eine kleine israelitische Kultusgemeinde. Die Existenz jüdischen Lebens in Rehweiler währte von 1720 bis 1870.
1697 erwarb Graf Johann Friedrich von Castell-Rüdenhausen die Wüstung Weiler und betrieb ihre Wiederbesiedlung. Wohl nicht nur aus rein humanitären Gründen, sondern aus praktischen und wirtschaftlichen Erwägungen wurden auch Juden angesiedelt – zunächst sechs Familien in zwei herrschaftlichen Häusern, in denen sie zur Miete wohnten.
Bald wurde auch ein Synagogengebäude errichtet, welches neben dem Gottesdienstraum eine Wohnung für den Religionslehrer sowie ein Schulzimmer für den Religionsunterricht enthielt. 1737 kam, direkt neben der Synagoge, noch ein eigener Begräbnisplatz hinzu. Dieser musste allerdings nach 1812 geschlossen werden und die Kultusgemeinde Rehweiler kaufte deshalb ein Grundstück am Ortsrand, wo sie um 1815 einen neuen Friedhof einrichtete.
Ein Viertel Rehweilers war jüdisch
Um das Jahr 1800 herum war von den etwa 260 Einwohnern Rehweilers ungefähr ein Viertel jüdisch. Die Kultusgemeinde verfügte über alle erforderlichen religiösen Einrichtungen und beschäftigte auch einen eigenen Religionslehrer und Vorsänger.
Aufgrund von Auswanderungen ab etwa 1845 schrumpfte die jüdische Gemeinde. Bald war die Abhaltung regulärer Gottesdienste mit einer Mindestzahl von zehn erwachsenen männlichen Teilnehmern nicht mehr möglich und man musste mit der benachbarten Kultusgemeinde Geiselwind, die mit den gleichen Probleme zu kämpfen hatte, kooperieren.
Etwa 1870 haben dann die letzten jüdischen Einwohner den Ort verlassen. Entgegen einer Legende sind die beiden Friedhöfe nicht schon in der Nazi-Zeit eingeebnet worden, sondern erst bei der Flurbereinigung um 1960 herum. Dabei verschwanden auch die Grabsteine, die überwiegend aus weichem Sandstein gefertigt waren. Ihr Reste fanden als Füllmaterial beim Bau und der Befestigung von Wirtschaftswegen Verwendung.
Als letztes sichtbares Relikt des einstigen jüdischen Lebens in Rehweiler ist nur ein einziger Grabstein erhalten geblieben, nämlich der von Mendlein (Emanuel) Grabfelder. Dieser Grabstein besteht aus Granit und war deshalb nicht so leicht zu fragmentieren. Man entsorgte ihn daher am Waldrand oberhalb des neuen Friedhofes.
Grabstein in Rehweiler erhalten
1988 konnte aufgrund einer Initiative des Wiesentheider Architekten und Heimatforschers Nikolaus Arndt dieser Grabstein wieder aufgerichtet und mit einer Gedenktafel versehen werden. Er enthält nicht nur den Namen des Verstorbenen, nämlich des Seilermeisters Mendlein Grabfelder mit dessen Sterbedaten, sondern auch den Hinweis darauf, dass dieser Grabstein von seinen Söhnen Sam(uel) und Moritz errichtet wurde. Emanuel bzw. Mendlein Grabfelder wurde vermutlich im Jahr 1793 in Ditterswind im Grabfeld geboren. Sein Vater Abrahm Hona übernahm um 1800 herum die Stelle eines Religionslehrers und Vorsängers in Rehweiler, übersiedelte allerdings im Jahre 1808 nach Schornweisach.
Emanuel und sein älterer Bruder David scheinen jedoch in Rehweiler geblieben zu sein, wo David 1817 als "Ellenwaarenhändler" und unter dem Familiennamen Grabfelder registriert war. Emanuel war kurz vorher nach Hohenfeld bei Kitzingen gezogen. Dort scheint er das Seilerhandwerk erlernt und seine spätere Ehefrau Regina Dreyfuß kennengelernt zu haben. 1830 zogen die beiden mit vier Kindern nach Rehweiler und heirateten dort am 5. Dezember 1830. In Rehweiler kamen dann noch sieben eheliche Kinder des Paares zur Welt.
Wegen der mangelnden Perspektiven in der armen Steigerwaldgemeinde verließen die Nachkommen ihren Heimatort und wanderten nach Amerika aus. Sie ließen sich teilweise in New York, überwiegend aber in Louisville im Bundesstaat Kentucky nieder. Auch der Seifensieder und Lichterzieher Moses Hess sowie der Schuhmacher Seckel Silbermund wanderten mit ihren Familien dorthin aus, ebenso alle sechs Kinder des Viehhändlers Benjamin Lieber.
Der Aufstieg zum Whiskey-Produzenten
Regina Grabfelder verkaufte 1860, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes Emanuel, ihr Haus Nr. 27 in Rehweiler und wanderte gemeinsam mit ihrer 1840 geborenen Tochter Babette 1862 ebenfalls in die USA aus. Sie starb am 21.02.1887 in New York. Die drei Söhne Abraham, Berez bzw. Bernhard und Moses bzw. Morris Grabfelder waren schon in den 1850er-Jahren in die USA übersiedelt.
Samuel Grabfelder kam am 2. September 1844 als letztes Kind von Emanuel und Regina Grabfelder in Rehweiler zur Welt und wanderte mit zwölf Jahren aus. Nach einer Kaufmannsausbildung in einer der zahlreichen Whiskey-Großhandlungen in Louisville heiratete er am 7. Juni 1870 Cordelia Griff und machte sich 1879 mit der Gründung der Whiskey-Brennerei S. Grabfelder & Co. selbstständig.
Geschäftsmann und Wohltäter
Samuel Grabfelder war offensichtlich ein erfolgreicher Geschäftsmann, der rasch zu Wohlstand kam. Er engagierte er sich stark auf sozialem Gebiet, etwa als langjähriger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Louisville, Vorstand der Handelskammer, Mitbegründer des Jüdischen Krankenhauses in Louisville, des Nationalen Jüdischen Heimes für Tuberkulosekranke in Denver/Colorado und des Jüdischen Altersheimes in Cleveland/Ohio.
Seinen Lebensabend verbrachte er wie sein Bruder Morris in Atlantic City im Bundesstaat New Jersey. Dort starb er am 17. April 1920, wenige Tage vor seinem Bruder, und wurde auf dem jüdischen Friedhof Salem Fields in New York begraben.
Ausstellung und Vortrag
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