Für einen Moment blinzelt die Herbstsonne durch einen dichten grauen Wolkenvorhang und taucht das Dorf in eine Art Schlaglicht. Ein älterer Mann sitzt im Garten auf einem Klappstuhl und beobachtet, wo es nichts zu beobachten gibt. Es ist Freitagmittag und die Ruhe nach dem Sturm, der in den Tagen zuvor durch das kleine Dornheim gefegt ist; der die Idylle mitgenommen hat und ein paar Hoffnungen mit dazu. Die Annahme etwa, dass die Corona-Hotspots sich hierzulande auf die Großstädte konzentrieren, wo viele Menschen auf engem Raum leben, und dass das platte Land vor großen Ausbrüchen verschont bliebe. Jetzt ist es anders gekommen.
Kein Ort im Flächenlandkreis Kitzingen, keiner in Unterfranken ist – gemessen an seiner Einwohnerzahl – derart von der Wucht des Coronavirus getroffen worden wie Dornheim. Hilflos wie ratlos stehen Einwohner und Behörden einem Geschehen gegenüber, das sich wie ein Lauffeuer durch Häuser, Gassen, ja ganze Straßenzüge gefressen hat. Es ist die Geschichte eines rasanten Kontrollverlusts und die Bestätigung für einen Verdacht: Der Nährboden des Virus liegt im privaten Raum.
Als Auslöser gelten private Kirchweihfeiern
Vor allem eine Zahl ist es, die das ganze Ausmaß des Desasters deutlich macht: 14 000! So hoch wäre der Sieben-Tage-Inzidenzwert in Dornheim, hochgerechnet auf 100 000 Einwohner. Die Zahl lässt sich relativ leicht errechnen: Man muss nur die 45 positiv getesteten Personen ins Verhältnis der 320 Einwohner setzen. Schon landet man bei diesem unglaublichen Wert. Er läge noch höher, würde man jene Personen hinzurechnen, die sich ebenfalls infiziert haben, aber außerhalb Dornheims wohnen, und die deswegen von anderen Statistiken erfasst werden.
Wie konnte es so weit kommen?
Dornheim ist einer von sieben Iphöfer Stadtteilen. Wer hierher finden will, muss die pulsierende Verkehrsader der Bundesstraße 8 verlassen und vier Kilometer weiter Richtung Süden fahren. Entlang einer schmalen, geschwungenen Landstraße über sanft hügeliges Land erreicht man den Ort, der sich in einen kleinen Talkessel schmiegt. Zwei Kirchen, ein Gasthaus, einige Gehöfte.
Viel gibt es hier draußen nicht: Feuerwehr, Schützen, Landfrauen – und die Kerwaburschen, über die es in einem Zeitungsartikel von 2015 heißt: "Eine lustige Gesellschaft, nicht nur, aber vor allem zur Kirchweih. Die männlichen, unverheirateten Dornheimer Jugendlichen und Junggebliebenen treffen sich unterm Jahr regelmäßig, um diverse Feste und Ausflüge zu veranstalten. Das wichtigste Fest im Jahr ist sicherlich die Kirchweih."
Die Kirchweih also. Sie hätte dieses Jahr am Wochenende vom 16. bis 18. Oktober stattfinden sollen. Doch schon im Vorfeld hatten sich die maßgeblichen Vertreter darauf verständigt, die Sause wegen Corona ausfallen zu lassen. Kein "Neisinga" im Schützenhaus am Samstag, kein Kerwa-Umzug durchs Dorf am Sonntag, kein Schützen-Kehraus am Montag – alles, was in diesen Tagen größere Risiken barg, sollte unterbleiben. An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Damit fängt sie jedoch erst an. Denn was sich dann in den 48 Stunden von Freitag- bis Sonntagabend zuträgt, wird mutmaßlich dafür verantwortlich sein, dass der Ort zum Corona-Hotspot der Region wächst.
Private Feiern waren zur fraglichen Zeit noch erlaubt
Die Handlung im relevanten Zeitraum zu rekonstruieren ist nicht ganz einfach. Weil es keinen gibt, der offen darüber sprechen will. Das Bild, das sich bei unseren Recherchen ergeben hat, basiert auf Erzählungen von Menschen aus dem Ort, die bereit waren, ihr Wissen mitzuteilen – unter der Bedingung, dass ihr Name nicht erscheint. Sie fürchten sonst Nachteile im Dorf, in dem jeder jeden kennt. Unumstritten ist, dass die Ausbrüche auf private Feierlichkeiten zurückgehen, die – auch das gehört zur Wahrheit – zu dieser Zeit nicht verboten waren.
Der Kerwa-Freitag und auch der -Samstag fielen in ein Zeitfenster, in dem der Sieben-Tage-Inzidenzwert im Landkreis Kitzingen noch unter der als kritisch angesehenen Grenze von 35 Neuinfektionen pro Woche lag. "Am Wochenende, an dem die Feier stattfand, waren private Feiern mit 100 Personen noch erlaubt", schreibt das Kitzinger Landratsamt auf Anfrage per Mail. Erst am Sonntag, 18. Oktober, sprang der Wert über die Schwelle von 35 und die Corona-Warnampel auf Stufe gelb. Ab Montag, 19. Oktober, galten deshalb Maßnahmen wie eine Kontaktbeschränkung auf zehn Personen oder zwei Haushalte.
Die Dornheimer Burschenschaft ist nach Angaben von Eingeweihten ein Kreis von 25 bis 30 jungen Männern. Die Tradition sieht vor, am Kirchweihsamstag gemeinsam den Kerwa-Baum aufzustellen. Dieser Teil des Brauchtums sollte auch in Corona-Zeiten nicht geopfert werden. Am frühen Abend richteten die Jugendlichen also am Dorfplatz den stattlichen Baum auf und verließen anschließend den Platz – offenbar, um sich privat zu treffen.
An mindestens zwei Orten im Dorf – einem Wohnhaus und einer Scheune – feierten sie nach übereinstimmenden Berichten eine Art "Ersatz-Kirchweih". Zwei Feiern, die offenbar aus dem Ruder liefen. Den ganzen Abend soll in der Scheune ein reges Kommen und Gehen geherrscht haben, die Zahl der Teilnehmer lässt sich deshalb nur schwer eingrenzen. Aus informierten Kreisen heißt es, es seien auch "Ältere dabei gewesen, die nichts mit der Burschenschaft zu tun hatten".
Im Dorf standen auch Zuckerbude und Karussell
Über den weiteren Ablauf des Abends gibt es nur vage Angaben – auch darüber, ob Rituale wie das gemeinsame Trinken aus ein und demselben Maßkrug, möglicherweise unter dem Einfluss von entsprechend Alkohol, auch bei dieser Gelegenheit praktiziert wurden. "Es wäre keine Kirchweih, wenn es anders wäre", sagt eine Person aus dem Umfeld. Bewiesen ist das nicht. Tags darauf zogen die Burschen durch den Ort und hängten an manchen Anwesen Plakate mit den schönsten Anekdoten des vergangenen Jahres auf. Auf der Straße wurde Bier ausgeschenkt, es ging lustig zu. Und im Dorf standen – von der Stadt Iphofen genehmigt – ein Kinderkarussell und eine Süßwarenbude. Ob es auch hier zu kritischen Kontakten kam, ist unklar. Wenige Tage später traten im Ort die ersten Corona-Fälle auf.
Obwohl kein offensichtlicher Verstoß vorlag, ließ sich das Landratsamt von "Teilnehmern" schildern, dass "20 bis 25 Personen rein privat gefeiert" hätten. Weiter heißt es: "Ein Hygienekonzept wurde uns vorgelegt." Wie viele der 320 Einwohner Dornheims in Quarantäne waren oder sind, kann das Amt nicht sagen. Dafür gebe es keine eigene Statistik.
Als es brannte, konnte die Dornheimer Feuerwehr nicht ausrücken
Für die Behörden ist der Fall damit erledigt. Doch was ist mit den Menschen im Dorf? Wie sehr wird diese Geschichte die Gemeinschaft belasten? "Im Moment hat man das Gefühl, dass das Dorf zusammenhält. Man hilft einander, etwa beim Einkaufen", heißt es. Und: "Man sucht keine Schuldigen. Die werden eher von Leuten aus anderen Dörfern gesucht." Als kürzlich im Ort ein Wohnhaus brannte, konnte die örtliche Feuerwehr nicht ausrücken. Es gab einfach zu viele infizierte Wehrleute.
Von der Wucht der Ereignisse getroffen, sagt Iphofens Bürgermeister Dieter Lenzer: "Private Feiern sind zu unterlassen." Vielleicht, und das sagen andere, hätte man die Kirchweih einfach wie geplant laufen lassen sollen: kontrolliert und unter dem Schutz der Hygieneauflagen. Auch Lenzer zielt in diese Richtung, wenn er feststellt: "In den Gasthäusern ging es mehr als gesittet zu. Jetzt sind sie wieder geschlossen. Damit verlagert man das Problem doch wieder in den privaten Bereich."
Dass die Dynamik nicht abgeschlossen ist, zeigen die aktuellen Zahlen des Landratsamts. Am 1. November wurden der Behörde zwei neue Corona-Fälle aus Dornheim gemeldet. Es waren Menschen, die als Kontaktpersonen 1 eingestuft waren. Und einen Tag später kam der Fall eines Schülers aus dem Landkreis Kitzingen ans Licht, der erst nach dem positiven Test dem Partygeschehen in Dornheim zugeordnet werden konnte.
Es ist die beste Methode nach den Infizierten zu schauen, um zu sehen wie weit verbreitet das Virus ist.
Krankheitsverläufe sind für die Bewertung der Gefährlichkeit des Virus entscheident.
Wenn wir warten bis das Gesundheitssystem vollständig überlastet ist. Ist es zu spät zum reagieren!
...diese Argumente, @TLW-tu_W.
Besucht ein solch "nicht Erkrankter" oder gar einer "ohne Symptome" Oma/Opa im Pflegeheim, passieren Dinge wie jetzt in Ochsenfurt (wobei ja immer noch nicht genau festgestellt wurde wie und durch wen das Virus dort hineinkam).
Aber Sie werden einen hentinger nicht von seinen Sprüchen abhalten können.
Bleiben sie alle gesund!
aber Tradition muss schoo sei..gell
NEIN.. bleibt mit eurem*******daham...
Danke für Nichts
Aufgrund der vielen Erkrankungen konnte man nichts mehr wirklich "geheim" halten - das Hygienekonzept wurde sicherlich nachgereicht. Kann mir nicht vorstellen das man sich schon bei den Feiern daran gehalten hat bzw. das zu dem Zeitpunkt schon ein Konzept vorhanden war.
Im Anschluss bleibt nur Schadensbegrenzung - d.h. Konzept nachreichen und behaupten das man sich an alles gehalten was was nötig war... Das Gegenteil wird sich im Nachgang kaum beweisen lassen. Jeder der dort war steckt ja mit drin...
Nur weil etwas nicht verboten ist, wird es dadurch nicht automatisch richtig.
Das erinnert an die vollkommen verwunderten Corona-Boten aus dem Frühjahr, die das Virus aus Italien und Österreich heimbrachten: „Wir können uns das nicht erklären. Als wir dort waren, war das doch noch gar kein Risikogebiet!“
Ein schönes Beispiel, wie man sich aus der Verantwortung stehlen kann: „Mein Staat ist selbst schuld, wenn ich mich angesteckt habe. Hätte er mir mal besser das Feiern verboten!“.
Sorry, aber mit dieser Nullkommanull-Mentalität der Eigenverantwortung brauchen wir uns wirklich nicht zu wundern – und insbesondere auch nicht zu beschweren -, wenn der Staat jetzt den Holzhammer auspackt …
Dieses Maß an Gleichgültigkeit können wir uns aktuell einfach nicht erlauben … und es wäre so einfach, das Richtige zu tun!
Selbst jetzt gibt es immer noch Leute die ihren Urlaub machen wollen obwohl touristische Reisen untersagt sind - aber eben nicht explizit verboten. Ergo darf man doch, oder etwa nicht? Und wenn man sich nirgends einmieten kann bringt man eben sein eigenes "Haus" mit. Wohnmobile und Wohnwagen sind dieses Jahr der Renner auf dem Urlaubsmarkt und die Regierung hat bis heute kein ReiseVERBOT erlassen.
Genauso ist es bei den Feiern. Die jetzt Infizierten haben genau genommen nichts falsch gemacht und dennoch ging es voll daneben. Sollte so manchem zu denken geben - aber auch mit dem denken hats heutzutage halt nicht jeder....