
Der August 2002 war für Andreas Barth ein Wendepunkt im Leben. Aus einer wunderschönen Motorradtour wurde eine Katastrophe. Eine kurze Unaufmerksamkeit auf sandiger Fahrbahn, und schon rutschte der damals 32-Jährige mit seiner Maschine in den Straßengraben. "In meinem Kopf gingen die Lichter aus", sagt Barth.
Es war der Anfang einer langen Geschichte. Mehrere Wochen lag Barth im Koma, zu einem Riss von Leber und Galle kamen unzählige Brüche an Armen und Beinen und eine massive Gesichtsverletzung mit Schädelbruch.
Die ersten Maßnahmen wurden im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt eingeleitet. Dann tauchten Komplikationen auf. Der Rettungshubschrauber brachte ihn in die Würzburger Uni. "Ich war dem Tod sehr nahe", erzählt er. Und: "Ich wusste lange nicht mehr, wer ich eigentlich bin." Zwei lange Jahre kämpfte er.
Heute arbeitet er wieder bei Bosch Rexroth in Volkach
"Ich bin nicht der Typ, der jetzt zu Lasten des Staates weiterlebt", sagt der Schweinfurter. "So bin ich erzogen worden. Ich würde mich vor mir selbst schämen, wenn ich auf Kosten anderer weitermachen würde. Und: Ich bin kein Luxusmensch." Kleine Ansprüche ans Leben habe er allerdings schon. Dafür trainierte er hart in verschiedenen Reha-Einrichtungen, immer das Ziel vor Augen: wieder arbeiten zu können. Es klappte. Dass er heute bei Bosch Rexroth in Volkach arbeiten kann, hat er seinem starken Lebenswillen zu verdanken.
"Meine körperliche Leistungsfähigkeit ist zurückgekehrt. Ich hatte den Level wie vorher." Man sieht das Funkeln in seinen Augen, man merkt den Stolz, der aus seinen Worten spricht. Doch Jahre später wurde er wieder schmerzhaft an den Unfall erinnert. Barth spürte, dass sein rechtes Bein, das bei dem Sturz total zertrümmert worden war, nicht mehr mitmachen wollte. Gefäßverschluss! Die Ärzte gaben alles. Machten die verstopften Arterien wieder frei, setzten Stents. Aber die Abstände der Erfolge wurden immer kürzer.
Aus seinem gesunden linken Bein wurden Adern entnommen und ins rechte Bein implantiert. Wieder kein langer Erfolg. Dann 2015 die Diagnose: austherapiert! Das Bein, so hieß es, müsse abgenommen werden, erst einmal ab dem Knie. "Wenn du so was gesagt kriegst, bist du ziemlich weit unten." Barth ist nachdenklich. In sich gekehrt. "Ich habe das geahnt", sagt er leise. Doch aufgeben gibt es nicht für ihn: wieder Reha-Maßnahmen, Arztbesuche ohne Ende.
In seinem Fuß spürt er Kälte und auch seine Zehen
Barth findet einen ausgezeichneten Prothesenhersteller. Der hilft ihm, wo er kann, und fertigt für ihn eine moderne Prothese. Und es fühle sich an, als wäre das Bein noch da. "Ich spüre Kälte im Fuß und auch meine Zehen. Wenn alles gut angepasst ist, schmälert es die Lebensqualität fast gar nicht." Man merkt, dass Barth diese positive Lebenseinstellung an andere weitergeben möchte. So war es auch klar, dass er einige Zeit später wieder an seine Arbeitsstelle, damals noch in Schweinfurt, zurückkehren würde.

"Arbeit ist wie Training für mich: aufstehen, etwas gehen, wieder setzen. Das hilft!" Die Probleme kommen erst mit der Zeit. Sein Arbeitgeber Bosch Rexroth findet einen für seine Beeinträchtigung geeigneten Platz – in der Außenstelle in Volkach. Dort arbeitet er nun schon seit mehreren Jahren.
Sein Vorgesetzter Peter Herrmann schätzt Barth sehr für seine positive Arbeitseinstellung. Hier, in Volkach, war es möglich, einen auf ihn zugeschnittenen Arbeitsplatz zu gestalten, mit speziellem Tisch und Sitzmöglichkeit. Die Firma wurde dabei vom Integrationsamt unterstützt. "Herr Barth ist ein festes Teammitglied bei uns", sagt Peter Herrmann.
Andere sind im Schützenverein, Barth ist in der Gothic-Szene
Privat geht Barth einem ausgefallenen Hobby nach: Er ist Mitglied der Gothic-Szene, einer Kulturform der sogenannten Schwarzen Szene. Ungewöhnlicher Haarschnitt, besonders geschminkt, mit okkulten Symbolen als Schmuck oder Tätowierung. An den Wochenenden ist er in "seinem" Club in Nürnberg. Barth erklärt es so: "Andere gehen in den Schützenverein, ich halt in einen Gothic-Club. Warum nicht?" Und: "Unter den Gleichgesinnten fühle ich mich total wohl. Hier kann ich meine Batterien wieder aufladen."

Finanziell war die Situation nicht einfach. Die Lohnfortzahlung ging ja nur einige Wochen. Dann kam das Krankengeld, das nur 60 Prozent des alten Lohns betrug. Danach gab es eine knappe Unterstützung. Vor einiger Zeit hat sich Andreas Barth wieder ein Motorrad gekauft, auch um ein Statement zu setzen. "Das ist die Freiheit für mich", sagt er. "Ich weiß wieder, wofür ich lebe und dass sich die Anstrengung zu arbeiten wirklich lohnt."