Der Rödelseer Bürgermeister Burkhard Klein hat ein Problem. Gerade hat seine Gemeinde verkündet, sie werde unterhalb des Schwanbergs neues Bauland schaffen und damit „sehr viele Bewerber glücklich machen können“. Aber auch er weiß: Sehr viele sind in diesem Fall eben nicht genug. Denn noch bevor überhaupt ein Handstreich in dem Gebiet getan ist, sind die meisten der 75 Plätze schon vergeben. Das Angebot wird nicht lange reichen für die Vielzahl der Interessenten. „Fast jeden Tag gibt es neue Anfragen“, sagt Klein. Rödelsee steht damit nicht allein im Landkreis Kitzingen.
Es ist die moderne Version des Grimm‘schen Märchens vom Hasen und dem Igel. Ein Wettlauf, den viele Gemeinden nicht gewinnen können, weil das Bauland vorne und hinten nicht reicht. Kaum haben sie mit neuen Angeboten die Spitze der Bewegung gebrochen, baut sich sofort die nächste auf. In vielen Rathäusern liegen Wartelisten auf, in die sich Bauwillige eintragen können. Sie erreichen immer neue Höchststände: Rödelsee 150, Wiesentheid 78, Mainbernheim mehr als 50, Iphofen weit über 150. Das war der Stand im März. In Volkach gibt es keine Warteliste, aber täglich drei Anfragen, in Sommerach sind es vier jede Woche.
Es ist keine Seltenheit mehr, dass Bauland im Losverfahren verteilt wird, weil viel zu viele Bewerber auf viel zu wenige Plätze kommen. Wer Glück hat, zieht einen der Hauptgewinne, wer Pech hat, eine Niete; und die, die leer ausgehen, marschieren weiter zur nächsten Losbude, in den nächsten Ort – wie moderne Glücksritter. Neues Spiel, neue Chance. Auf dem Grundstücksmarkt herrscht Casino-Mentalität.
Für dieses Dossier hat die Redaktion im Frühjahr allen 31 Bürgermeistern im Landkreis die gleichen Fragen gestellt: Wie viele öffentliche Bauplätze gibt es derzeit in Ihrer Kommune? Wie viele werden Sie in nächster Zeit schaffen? Und wie wollen Sie dem weiter wachsenden Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage begegnen? Freie Grundstücke in geringer Zahl gibt es überhaupt nur in sieben Gemeinden – zu Preisen von 65 bis 300 Euro. Den meisten Kommunen fehlt es nicht an Fantasie und gutem Willen, Lösungen für eines der drängendsten Probleme unserer Zeit zu schaffen. Aber konkret nach der Zahl der verfügbaren Bauplätze gefragt, gibt es vielerorts dieselbe Antwort: nullkommanull.
Wer aufmerksam die Berichte aus den Stadt- und Gemeinderäten verfolgt, wird darüber nicht sonderlich überrascht sein. Viel mehr erstaunt und beeindruckt eine andere Zahl, die man nur selten liest: Es gibt im Landkreis weit über 1000 Grundstücke, die sofort bebaut werden könnten. Das Problem dabei ist: Die Gemeinden haben darauf keinen Zugriff.
Allein in Dettelbach gibt es mehr als 200 "Enkelgrundstücke"
Früher erschlossen Kommunen Bauland auch dort, wo ihnen die Flächen nicht vollständig gehörten. Die Folge war, dass viele Grundstückseigner ihre Parzelle erst einmal liegen ließen. Für den Sohn. Für die Enkelin. Für die Familie. Für schlechte Zeiten. Oder schlicht als Kapitalanlage und Spekulationsobjekt. Und da liegen sie noch heute. Wären Baugrundstücke Autos, sie hätten längst den Oldtimerstatus. „Enkelgrundstücke“ nennt sie Volkachs Bürgermeister Heiko Bäuerlein. Allein in Dettelbach schätzt Bürgermeister Matthias Bielek die Zahl dieser brachliegenden Flächen auf mehr als 200, Stadtteile inbegriffen. „Wenn man diese Zahlen liest, sollte eigentlich kein neues Baugebiet ausgewiesen werden“, sagt Bielek. „Allerdings müssen wir auch auf die aktuell wachsende kurzfristige Nachfrage reagieren können.“
Die Fehler der Vergangenheit, als Bauland kaum gefragt war, kommen die Kommunen nun teuer zu stehen – ganz abgesehen davon, dass manche längst an Grenzen stoßen und aufgrund ihrer Topografie kaum noch expandieren können. Andere sind nicht mehr gewillt, den absurden Wettlauf mitzumachen. So bleibt den Gemeinden nicht viel mehr, als immer wieder an die privaten Grundstückseigentümer zu appellieren. Denn die große Politik lässt sie mit dem Problem allein.
Gerade hat der Freistaat Bayern die Einführung einer Grundsteuer C verworfen, weil die Freien Wähler sie vehement bekämpften. Ihr Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger spricht von einer „Strafsteuer“. Sie sollte Gemeinden in die Lage versetzen, von 2025 an einen erhöhten Hebesatz auf baureife Grundstücke anzuwenden. Daneben besteht die Möglichkeit eines Baugebots. Doch der 1971 eingeführte Paragraf 176 im Baugesetzbuch ist ein „stumpfes Schwert“, wie schon Iphofens früherer Bürgermeister Josef Mend anmerkte. Das Verfahren, Grundstückseigentümer entweder zum Bauen oder zum Verkauf ihres Grundstücks zu zwingen, ist langwierig und wenig erfolgversprechend.
In Kitzingen ist die Vergabe an soziale Kriterien geknüpft
So müssen die Gemeinden andere Mittel und Wege finden, mit dem knappen Gut umzugehen. Einige setzen auf ein „Einheimischenmodell“. Großlangheim vergibt Grundstücke nur an Bauwerber, die seit mindestens drei Jahren im Ort wohnen. Auch Willanzheim will Bauplätze künftig nur noch an Einheimische verkaufen oder an Auswärtige, die sich ehrenamtlich im Dorf engagieren.
In Kitzingen hat der Stadtrat die Vergabe von 27 Baurechten im Gebiet „Südlicher Hammerstiel“ an ein Punktesystem mit sozialen und familiären Kriterien geknüpft. Die besten Aussichten auf ein Grundstück hat, wer seit Jahren in der Stadt wohnt, Familie und Kinder hat und am besten noch am Ort arbeitet. Andere setzen auf die Entwicklung von Ortskernen – einerseits in Ermangelung von Alternativen, andererseits um nicht künstliche Trabanten auf der grünen Wiese zu fördern, die irgendwann um einen sterbenden Fixstern namens Altstadt kreisen.
Es sind gut gemeinte Ansätze, die aber allenfalls an den Symptomen doktern. Den Kern des eigentlichen Problems erreicht man wohl nur, wenn es einen grundlegenden Mentalitätswandel gibt. Wenn kleiner und dichter gebaut wird; wenn Raum sinnvoller und effizienter genutzt wird – und wenn das Einfamilienhaus nicht länger als Statussymbol verherrlicht wird.