Die Wiese: Sie liegt an diesem Märztag da wie ein plattgedrückter alter Teppich. Wenig Grün, viel Braun. Ein kalter Wind weht über sie hinweg, der Boden seltsam samtig. Im Frühjahr, so heißt es unter den Einheimischen, entfalte sie ihre volle Pracht. Jahrhundertealte Eichen stehen hier neben geduckten Obstbäumen, so knorrig und verästelt, wie nur die Natur sie formen kann. Am Boden das Fallobst des letzten Sommers, braun und matschig.
Wer es nicht weiß, käme nicht auf die Idee, dass sich hier laut Wissenschaftlern „einer der hochwertigsten Lebensräume“ seiner Art in Mitteleuropa befindet. Die Wiese schließt den Volkacher Ortsteil Astheim nach Westen hin ab. Sie ist kaum 200 Meter lang und 80 Meter breit, Gemarkung „Dürringswasen“. Im städtischen Grundbuch verzeichnet als Flurstücke 435 und 659.
„Wenn ich mir ein Grundstück raussuchen dürfte“, sagt Mario Pierl, „würde ich auch hier bauen.“ Pierl, lange in Astheim zu Hause, wohnt inzwischen in Volkach, im „ältesten Haus der Stadt“. Er sagt das, um zu verdeutlichen, dass es „mit vernünftigem Aufwand möglich ist, ein Haus in der Altstadt“ herzurichten. Man müsse nicht auf der grünen Wiese bauen – vor allem nicht auf dieser.
„Wenn man zur richtigen Zeit herkommt, ist das ein rosa und lila Teppich“, sagt Michael Zwanziger, ein gebürtiger Volkacher. Auch er bewohnt nicht weit von hier ein Eigenheim. „Es gibt Botaniker aus ganz Europa, die extra wegen der seltenen Tier- und Pflanzenarten anreisen“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob ich hier wohnen wollte, wenn ich wüsste, was dafür alles weichen muss.“
„Für mich ist das ein Stück meiner Kindheit“, sagt Doris Geiger. Sie ist hier groß geworden, hat als Kind die Wiese immer nur aus sicherer Entfernung gesehen. Spielen durfte sie darauf nicht – wegen der seltenen Flora und Fauna. „Wenn ich jetzt sehe, mit welcher Leichtigkeit das letzte Stück Natur platt gemacht wird, stimmt mich das betroffen und traurig.“
Pierl, Zwanziger und Geiger – sie alle wohnen nicht nur in unmittelbarer Nähe, sie setzen sich auch für den Erhalt der Wiese ein. Genau wie Gerda Hartner und Elmar Erhard, beide in den Siebzigern und mit ihrer bodenständigen Art im wahren Wortsinn hier verwurzelt. Hartner leitet kommissarisch die Ortsgruppe des Bundes Naturschutz, Erhard ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Landschaftsschutz Mainschleife. Man könnte den Kampf, den sie in Astheim austragen, für ein lokales Kräftemessen halten.
Der Traum junger Familien gegen ein gefräßiges Monster
Doch was dort passiert, ist exemplarisch für all die anderen Kämpfe – in Bayern, in Deutschland, in Europa. Es geht um den einen großen Konflikt: Da sind auf der einen Seite junge Familien, die die Gunst historisch niedriger Zinsen nutzen und sich den Traum vom Eigenheim erfüllen wollen. Und da sind auf der anderen Seite die Naturschützer, die das Monster namens Flächenfraß stoppen möchten.
Jeden Tag verschwinden in Deutschland laut Naturschutzbund NABU 56 Hektar Land, so viel wie 78 Fußballfelder. Planiert, asphaltiert und wegbetoniert unter Straßen und Fabriken, Wohnhäusern und Steingärten. Jedes Jahr eine Fläche, so groß wie Hannover. In Astheim werden die Wiese und das angrenzende Naturschutzgebiet – 1978 das erste seiner Art im Landkreis Kitzingen – inzwischen von fast allen Seiten in die Zange genommen. Im Norden und Osten rückten die Wohnhäuser heran, im Westen der Sand- und Kiesabbau. Die Streuobstflächen verschwanden dabei immer mehr, weil sie kaum Ertrag brachten. „Da wurden mit lockerer Hand Flächen verkauft“, erklärt Elmar Erhard. Die Wiese am Ortsrand ist eines der letzten Überbleibsel, die an die alten Zeiten erinnert. Sanft gleitet sie ins Umland aus.
„Wir reden hier über eine kleine Ortsabrundung, einen halben Hektar“, sagt Heiko Bäuerlein, der Volkacher Bürgermeister. Er sitzt an einem verregneten Frühlingstag in seinem Amtszimmer im historischen Rathaus. Wenn man das mit dunklem Holz verkleidete, düstere Treppenhaus im zweiten Stock verlassen hat, stößt man am Ende des Ganges auf seine Amtsstube, hell und modern, auf dem Fensterbrett draußen leuchten die Geranien. Bäuerlein ist ein junger Amtsinhaber, leicht ergraut, im offenen weißen Hemd. Erst im vorigen Jahr ist er mit 74 Stimmen Mehrheit gewählt worden, zuvor hatte er 18 Jahre im Stadtrat gesessen. Bäuerlein, einst Polizeiamtsrat, hat sich vorbereitet für dieses Gespräch.
Der Bürgermeister spricht von einem umsichtigen Vorgehen
Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Plan, der in groben Zügen erkennen lässt, was die Stadt mit einem Teil der Wiese vorhat. „Uns laufen die Leute davon“, sagt Bäuerlein. „Wir wollen Wohnraum schaffen – für unsere junge Bevölkerung.“ Neun Häuser sind vorgesehen, 5500 Quadratmeter Wohnen. Bäuerlein sind die Dimensionen wichtig: hier ein Baugebiet mit 5500 Quadratmetern, dort ein Naturschutzgebiet mit 113 000 Quadratmetern. „Wir gehen extrem verantwortungsvoll mit Flächen um“, sagt er.
„Wenn Sie hier fünf Zentimeter tief graben, stoßen sie auf puren Sand“, sagt Michael Zwanziger. Er steht am Rand der Wiese, und langsam wird klar, warum man auf ihr läuft wie auf Samt. Es sind Flugsande aus der letzten Eiszeit, auf denen ein paar der seltensten Pflanzenarten Europas gedeihen. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich 16 hochrangige Wissenschaftler aus ganz Deutschland daher gegen ein Baugebiet an dieser Stelle ausgesprochen. Würde das Projekt wie geplant umgesetzt, rechnen sie mit einer „gravierenden Schädigung eines für Mitteleuropa einzigartigen Lebensraums“ und im schlimmsten Fall „mit dem Verlust naturschutzfachlich hochwertigster Arten“.
Zu diesen seltenen Arten zählen die Sand-Silberscharte und das Nördliche Mannsschild, ein vom Aussterben bedrohtes Primelgewächs mit dünnen Stängeln und kleinen weißen Blüten. Es kommt nur noch in geringer Stückzahl entlang des Mains in Unterfranken vor. Der Pflanzenexperte Professor Lenz Meierott hat es 2012 hier nachgewiesen und kartiert, sowohl im angrenzenden Naturschutzgebiet, als auch auf der Wiese. Die Frage ist, ob dieser Fund reichen wird – juristisch und moralisch –, um das Projekt noch aufzuhalten. „Man macht sich nicht beliebt, wenn man für den Stopp eines schon geplanten Baugebiets stimmt“, sagt Mario Pierl, der wie Doris Geiger den Volkacher Grünen angehört.
Heiko Bäuerlein hat das geplante Baugebiet von seinem Vorgänger im Volkacher Rathaus geerbt, so lange zieht sich die Sache schon hin. Ein schweres Erbe, wie man ihm im Laufe des Gesprächs anmerkt. Er redet davon, als sei ihm das Baugebiet widerfahren wie ein Unglück oder eine Naturkatastrophe. „Das darf nicht mehr passieren“, sagt er. Dabei lässt er außer Acht, dass der Stadtrat den Prozess immer noch umkehren könnte.
Der Stadtrat könnte sich korrigieren, aber will er das?
Das Bebauungsplanverfahren, mit dem in Deutschland Flächen innerhalb einer Gemeinde formal einer Nutzung zugeteilt werden, ist zwar schon eingeleitet, beschlossen mit den Stimmen aller 20 Mitglieder des Stadtrats. Ein Großteil hat sich vor zwei Wochen zudem gegen einen Planungsstopp gewandt, wie ihn vor allem die Grünen wollten. Genau so könnte der Rat aber seine Entscheidung wieder rückgängig machen. Die Frage ist: Will er das? Und wenn ja: Was wäre die Alternative?
Als nach der Wiedervereinigung wie verrückt gebaut wurde und an einem Tag bis zu 130 Hektar Landschaft unter die Räder kamen, gab sich die Bundesregierung entschlossen. Bis 2020, so das Ziel, sollte der Flächenverbrauch auf 30 Hektar am Tag sinken. Noch immer werden heute im Durchschnitt 56 Hektar Landschaft täglich vernichtet. Die Bundesregierung nahm dies nicht zum Anlass, neue Maßnahmen zum Schutz der Natur zu ergreifen – sie verschob einfach das 30-Hektar-Ziel auf das Jahr 2030. Wie das geschehen soll? Da ist man in Berlin und München genauso ratlos wie in Volkach.
„Wir haben schlicht keine anderen Flächen bekommen“, sagt Bürgermeister Heiko Bäuerlein. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn eine Familie dringend eine neue Bleibe braucht. Vor 20 Jahren war seine Frau mit dem dritten Kind schwanger, aber das Haus der Schwiegereltern, in dem sie lebten, hatte bloß ein Kinderzimmer. Er sei der Stadt damals „extrem dankbar“ gewesen, dass er schnell ein Grundstück in Astheim bekam, auf das die Familie eine Doppelhaushälfte setzte. „Ich kann jeden verstehen, der bauen will, und das möglichst in seinem Heimatort“, sagt Bäuerlein.
Als im Februar die Grünen in Hamburg das Einfamilienhaus als Baumodell in Frage stellten, waren viele aus dem Häuschen. Sie sahen sich um ein Versprechen gebracht, das auf Geborgenheit, Selbstverwirklichung und materieller Sicherheit gründet. Das Einfamilienhaus gilt hierzulande als Kulturgut, das es zu schützen gilt vor dem Zugriff der Naturschützer. Dabei hatte der Vorschlag der Öko-Partei durchaus etwas Progressives.
Er zielte auf eine Zuspitzung: kleinere Grundstücke und darauf mehr Wohnfläche. Ressourcensparende Architektur oder eine Stärkung von Ortskernen, wie sie die Volkacher Grünen in einem „7-Punkte-Plan zur Schaffung neuer Wohnräume“ vorschlagen. Ihr Bauexperte Mario Pierl sagt: „Wir haben allein in der Volkacher Altstadt 30, 40 Wohnungen, die leer stehen. Man muss den Leuten die Angst vor einer Sanierung nehmen.“ Das sei allemal besser, als nach immer neuen Baugebieten zu rufen.
Wissenschaftler warnen vor einer Umsiedelung des Gebiets
Neun Bauplätze, neun Häuser für junge Familien gegen eine der letzten Wiesen. „Die Wohnungsnot wird das nicht signifikant ändern“, sagt Pierl. Dafür vielleicht einen Flecken gewachsene Natur unwiederbringlich zerstören. Bürgermeister Heiko Bäuerlein sagt: „Wir gleichen die Fläche fürstlich aus.“ Kommunen sind seit einigen Jahren dazu verpflichtet, Raum, den sie der Natur entreißen, an anderer Stelle neu zu schaffen. Die Wissenschaftler aber warnen, dass nicht sicher sei, „ob sich die besonders gefährdeten Arten des Gebietes problemlos übertragen lassen“. Moose, Pilze, Flechten – sie alle wachsen nicht nur im benachbarten Naturschutzgebiet, sondern auch auf der Wiese, die nun geopfert werden soll.
Es ist Frühjahr geworden, die Obstbäume tragen Knospen, die Wiese ist zum Leben erwacht. Im Volkacher Stadtrat ist es gekommen, wie von den Gegnern des Baugebiets erwartet: Sie haben keine Mehrheit gefunden, das Projekt auf Eis zu legen. Nicht einer von den großen Parteien hat mit ihnen für einen Planungsstopp gestimmt. Jetzt könnte Plan B greifen, den Mario Pierl und die anderen bereits im März geschmiedet haben. Sie wollen Mitstreiter suchen und sich in einer Bürgerinitiative zusammentun. Auch ein Bürgerbegehren sei denkbar. „Kampflos werden wir die Sache jedenfalls nicht hergeben“, sagt Pierl. „Kann sein, dass wir scheitern. Aber dann haben wir wenigstens alles versucht.“
Der Wechsel in der globalen Geld- und Finanzpolitik, hin zu inflationär aufgeblähten Geldmengen, bei dem werterhaltendes Sparen nahezu unmöglich ist, ist neben den Verwerfungen auf dem Mietsektor m. E. der hauptsächliche Grund für die übergroße Nachfrage und Flucht in weitgehend sicheren Grundbesitz.
Wer kann es Grundbesitzern mit Lebenserfahrung und noch klarem Verstand verdenken, dass sie den „Spatz in der Hand“ nicht gegen die „Taube auf dem Dach“ tauschen möchten?
Und wenn schon bauen sein muss: Kann man dann nicht Gebiete ausweisen, die nicht so stark stören - z. B. brach liegende Betriebsgelände oä....
Kann man hier nachlesen: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_281_31231.html
Tatsächlich hat sich die Zahl der Wohnungen in den letzten Jahren signifikant erhöht und die Wohnungsgröße ist gewachsen. Auch ist verstärkt der Anspruch der Bauherrn zu beobachten, dort bauen zu wollen, "wo es schön ist", unabhängig, ob es dorthin überhaupt eine Bindung gibt. Interessant wäre deshalb am Beispiel Volkach die Anzahl der Häuser auf neuen Bauflächen in den letzten 20 Jahren und wie viele Menschen dorthin gezogen sind, die weder aus Volkach stammen und zudem dort wohnen, aber weiterhin ausserhalb der Stadt arbeiten.
Ich wünsche mir Gemeinden, die sagen, jetzt ist´s gut mit immer mehr Wachstum. Gebaut wird nur noch in Baulücken oder durch Nachverdichtung. Ansonsten soll es so bleiben, wie es ist.
Auch ich wünsche mir Gemeinden, die sagen, jetzt ist´s gut mit immer mehr Wachstum. Gebaut wird nur noch in Baulücken oder durch Nachverdichtung. Ansonsten soll es so bleiben, wie es ist.
Auch für die katastrophalen Folgen der Klimakrise ist eine Politik verantwortlich, die auf Konsumanreize setzt, immerwährendes Wachstum verspricht und die Welt ökonomisch in Gewinner und Verlierer spaltet. Für den Konsumrausch einer reichen Minderheit zahlen die Ärmsten den Preis.
hier ein bisschen planieren, dort ein bisschen versiegeln - "ist ja nur ein halber Hektar".
Dabei fällt ein weiterer Aspekt völlig unter den Tisch: welche Infrastruktur gibt es denn dort überhaupt? Einkaufen, Kindergarten, Schule, Arzt, Apotheke? Wenn man sich das auf "maps" anguckt, drängt sich die Antwort "Fehlanzeige" auf. Was bedeutet, wer da baut, darf vmtl. für alle(!) täglichen(!) Besorgungen das Auto anlassen - also: mindestens doppelter Umweltschaden. Und was den Leuten passiert, wenn die Zinsen und die Autokosten erheblich steigen, kann man sich auch denken.
MMn ist es viel zu billig, neue Fläche zu "verbrauchen" und viel Auto zu fahren statt alte Immobilien zu "recyceln" und die Wege zu verkürzen. Ausdruck einer seit Jahrzehnten völlig verfehlten Politik, die uns Luxusprobleme ohne Ende geschaffen hat, für die jetzt langsam der Zahltag naht, und trotzdem machen alle weiter, als wäre das alles gar kein Problem. Verstehe es wer will...
Der FC Fahr hat mir solchem Sand ein schönes Geld verdient, um diesen Sand hat sich auch kein Mensch gescheert. Wenn man Eidechsen und Hamster umsiedeln kann warum dann nicht auch den Sand, oder gleich zum Bauen verwenden.
Sie argumentieren nach den Motto: 'Lasst mich in Ruhe mit euren Fakten. Ich hab' mir meine Meinung doch längst gebildet. Und das Argument: Es wird "ein schönes Geld verdient" ist ohnehin unschlagbar.'
Was soll dazu noch sagen?