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Hellmitzheim
Geheimnisvolle Unterwelt: Gibt es noch Hoffnung für ein Baugebiet im kleinen Dorf Hellmitzheim?
Seit mehr als 20 Jahren versucht die Stadt Iphofen am Adelsberg, Bauplätze zu schaffen. Bisher erfolglos. Nun könnte es einen neuen Anlauf geben, doch im Untergrund lauert Gefahr.
Auf unsicherem Terrain: Hoch über Hellmitzheim zeigt Stadtteilreferent Hans Brummer den alten Plan für das Baugebiet Adelsberg. Direkt unter ihm befindet sich der Gipsstollen. 
Foto: Eike Lenz | Auf unsicherem Terrain: Hoch über Hellmitzheim zeigt Stadtteilreferent Hans Brummer den alten Plan für das Baugebiet Adelsberg. Direkt unter ihm befindet sich der Gipsstollen. 
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:12 Uhr

Wer aus Richtung der B8 kommt, muss kurz hinter dem Ortsschild von Hellmitzheim nach rechts abbiegen, der schmalen Straße folgen und am Ende einen kleinen Feldweg erklimmen. Ein paar Meter noch, dann steht man oben am Adelsberg. Eine Wiese mit alten Obstbäumen und Burgherrenblick, zu Füßen das Dorf mit seinen vielen Gehöften, die Aussicht grandios, die Lage traumhaft. Ein begehrtes Fleckchen Erde, überlagert von einem Vermächtnis in der Tiefe, das diesen Ort potenziell gefährlich macht.

Wohnen im Grünen, so war das einmal gedacht. Um die Jahrtausendwende, als man Baulandmangel vielleicht aus deutschen Ballungsräumen kannte, nicht aber aus der unterfränkischen Provinz, tauchte die Idee erstmals auf: ein Baugebiet auf dem sonnigen Plateau des Adelsbergs – nichts Großes, acht bis zehn Plätze, genug für ein Dorf mit 390 Einwohnern. Die Pläne verschwanden nie ganz in der Schublade, sie wurden aber auch nie so vorangetrieben, dass sich in der Sache etwas tat. Man weiß heute nicht viel mehr über das Gebiet als vor 20 Jahren, und doch hat sich etwas Entscheidendes verändert.

Die Dinge sind in Bewegung geraten, der Druck auf das Gelände ist gewachsen, seitdem voriges Jahr junge Leute durch das Dorf zogen, durch "ihr" Dorf, um Unterschriften zu sammeln. Viele von ihnen müssen sich alsbald entscheiden, ob sie hierbleiben oder wegziehen. Alles hängt davon ab, ob sie in Hellmitzheim einen Bauplatz finden. Deshalb die Aktion mit den Unterschriften. Sie machen mobil, wollen die Stadt Iphofen zum Handeln drängen, und Hans Brummer kann diesen Wunsch gut verstehen. Er sagt aber auch: "Das muss alles untersucht werden. So etwas braucht seine Zeit."

Der frühere Ortssprecher Ludwig Weigand schreitet die Obstwiese ab, die einem Baugebiet am Adelsberg zum Opfer fallen würde.
Foto: Eike Lenz | Der frühere Ortssprecher Ludwig Weigand schreitet die Obstwiese ab, die einem Baugebiet am Adelsberg zum Opfer fallen würde.

An einem sonnigen Maiabend durchmessen Brummer und Ludwig Weigand mit weiten Schritten die saftige, grüne Wiese. Brummer, der 2020 das Amt des Stadtteilreferenten von Weigand übernommen hat, hält ein Stück Papier in Händen. Es ist eine Kopie des "Bebauungsplans Adelsberg im Stadtteil Hellmitzheim", rot eingefärbt der bebaute Bereich, im Nordosten der schmale handtuchartige Streifen, um den es gerade geht. Was der Plan nicht zeigt: die Geologie des Geländes, Umtriebe der Vergangenheit, über die im wahren Wortsinn längst Gras gewachsen ist, die aber bis in die Gegenwart wirken. Im Untergrund lauert ein Geheimnis, das dafür verantwortlich ist, dass hier nicht schon längst Häuser stehen.

"Das Grundwasser macht die Sache instabil."
Ludwig Weigand, ehemaliger Stadtteilreferent

Bis Ende der 1950er-Jahre steckte der Berg voller Leben. Er war reich gefüllt mit Gips, dem weißen Gold, das hier die Firma Müller schürfte und in einem Brennofen veredelte. Ein kleiner Betrieb, in dem weitgehend Leute aus dem Dorf arbeiteten. Das Gestein wurde gesprengt und mit kleinen Loren aus dem Berg transportiert. Im Ort bekamen sie davon kaum etwas mit. Wenn man von hier oben Richtung B8 blickt, sieht man noch das alte Transformatorenhaus, aus dem der Strom für den Gipsbruch kam. Hans Brummer kannte den Chef, sie waren einst Nachbarn. Heute lebt keiner aus der Familie Müller mehr vor Ort.

Das Gelände mit den Obstbäumen ist in privater Hand, das heißt aber auch, dass der Eigentümer für alles haftet, was sich ober- und unterirdisch tut. Hin und wieder, "so alle zehn Jahre", wie Brummer sagt, bricht hier der Boden ein. "Das Grundwasser macht die Sache instabil", erklärt Weigand. Im Jahr 2000 wurde die Freileitung über dem Adelsberg in den Boden gelegt; der Energieversorger fürchtete, einer der Strommasten in dem Gebiet könnte in die Erde sacken. Kritisch ist die Lage vor allem an den Randbereichen. So soll die Überdeckung zur Straße hin nur etwa vier Meter betragen. Ein Sägewerk hat dort heute seinen Betrieb. Aus Sicherheitsgründen ist der Gefahrenbereich eingezäunt. Die Stadt hat sich bislang nicht an die Sache herangetraut.

Am Horizont entdeckt man noch das alte Trafohäuschen, das den Strom für den Gips-Tagebau der Firma Müller lieferte.
Foto: Eike Lenz | Am Horizont entdeckt man noch das alte Trafohäuschen, das den Strom für den Gips-Tagebau der Firma Müller lieferte.

Andernorts ist man weniger zimperlich. Im 800-Seelen-Dorf Wellen an der Obermosel plant ein Investor über einem ehemaligen Dolomit-Abbaugebiet 36 Baugrundstücke. Dann sackt im vergangenen Sommer auf einer der Flächen plötzlich die Erde ab, die Lokalzeitung berichtete. Die alarmierten Experten blicken in einen fünf Meter breiten und 30 Meter tiefen Schlund eines alten Stollensystems, das sich hier über 365 Kilometer, mithin die ganze Gegend, erstreckt. Für die Grünen vor Ort hat der Vorgang "echtes Skandalpotenzial". Wohnhäuser über so brüchigem Grund! Auch in Bad Tölz will die Stadt ein Baugebiet mit 37 Plätzen erschließen – über einem Stollen, dem bis vor mehr als 100 Jahren Kohle entrissen wurde. Die Hohlräume sollen mit Flüssigbeton druckverfüllt werden. Die Stadt rechnet mit 25 Euro Mehrkosten pro Quadratmeter.

Auch in Hellmitzheim sollen sich in vier bis zwanzig Meter Tiefe Stollen befinden, die irgendwann aufgegeben, aber nicht vollständig verfüllt wurden. Der Abbau ist bis 1952 gut dokumentiert, als sogenannter Grubenriss, in dem der Stollen zeichnerisch dargestellt ist. Der Betrieb lief aber bis 1957 weiter. "Es fehlen also fünf Jahre Dokumentation", sagt Matthias Kurth, der Bauamtsleiter der Stadt Iphofen. Niemand könne mit Gewissheit sagen, was in dieser Zeit passiert ist. "Haben sie bloß im Bestand gegraben oder einen tieferen Stollen angelegt?"

"So etwas kriegt man nicht in vier Wochen gelöst."
Hans Brummer, Stadtteilreferent Hellmitzheim

Vor etwa fünf Jahren gab es am Adelsberg den bislang letzten Einbruch. Ein Krater von zwei Meter Breite und sechs Meter Tiefe tat sich auf. Nicht auszudenken, wenn an der Stelle ein Haus gestanden hätte. Die Stollen zu verfüllen ergibt bei einem Gebiet dieser Größe kaum Sinn. Die Kosten müssten auf die wenigen Bauwerber umgelegt werden, die Grundstückspreise stiegen ins Unermessliche.

Dem Bergamt Nordbayern, angesiedelt bei der Regierung von Oberfranken, sind die Zustände natürlich bekannt. "Weitere Tagesbrüche", so teilt die Behörde auf Anfrage mit, seien nicht auszuschließen. Gleichwohl sind auch die Experten ratlos, wie es an der Stelle weitergehen könnte. Wichtige Hinweise erhofft sich das Bergamt von Bohrungen und geophysikalischen Untersuchungen, die es "im Laufe des Jahres 2022" geben soll. Sie sollen zeigen, "ob die archivierten Pläne des Bergwerks den tatsächlichen untertägigen Ist-Zustand widerspiegeln". Es sind dieselben bangen Fragen, die sich auch die Stadt und die jungen Leute im Dorf stellen, die für ihren Traum der eigenen vier Wände kämpfen.

Hellmitzheim aus der Vogelperspektive: 390 Einwohner, zehn landwirtschaftliche Betriebe, kaum Erweiterungsflächen.
Foto: Markus Ixmeier | Hellmitzheim aus der Vogelperspektive: 390 Einwohner, zehn landwirtschaftliche Betriebe, kaum Erweiterungsflächen.

Vom Ausgang der Untersuchungen hängt ab, ob der Adelsberg eine Zukunft als Baugebiet hat oder ob er weiter Streuobstwiese bleibt. Die Naturschützer hätten es ohnehin am liebsten, dass der alte Baumbestand erhalten wird. Das zeigt, dass es in Hellmitzheim nicht nur an dieser Stelle Interessenkonflikte gibt. Am entgegengesetzten Ende des Dorfes sind es die Bauern, die sich in dieser immer noch sehr landwirtschaftlich geprägten Umgebung zu Wort melden und ein Wohngebiet kritisch sehen. Zehn aktive Landwirte gibt es noch im Ort. "Die können wir nicht kaputtgehen lassen", sagt Stadtteilreferent Brummer. Andererseits stehen zahlreiche Höfe im Ortskern leer, auch sie könnten zu Wohnzwecken umgebaut und genutzt werden, gute Ideen gibt es – wenn die Eigentümer aktiv werden oder sie verkaufen würden.

In dieser Gemengelage gilt es also Kompromisse zu finden: einen Ausgleich zwischen Natur, Landwirtschaft und Bauen. Dass das nicht einfach ist, mussten schon der vormalige Bürgermeister Josef Mend und sein langjähriger Stellvertreter Ludwig Weigand erleben, die beide 2020 in den politischen Ruhestand getreten sind. Nun muss Hans Brummer sich an dieser Aufgabe und Herausforderung bewähren. "So etwas", sagt er, "kriegt man nicht in vier Wochen gelöst."

 
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Kommentare
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  • P. v.
    Welche dumme kommentare ?Gips hat man schon immer gebraucht zum Hausbau und früher zur Genesung bei Fuß und Handbrüchen !!! Aber bei manchen fehlt das wissen wie es vor 40 jahren war !!
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  • G. W.
    "Ein Ausgleich zwischen Natur, Landwirtschaft und Bauen..."

    Wozu?

    Hier muß es keinen Ausgleich geben, sondern ein eindeutiges Votum zu Gunsten der Natur.

    An dieser Stelle hat der Mensch sich lange genug ausgetobt, da muß man nicht nochmehr Raubbau betreiben.

    Und bauen kann man natürlich auch innerorts, selbstverständlich aber nur dann, wenn man das auch will und sich eindeutig gegen weiteren Flächenfraß aufstellt.
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  • J. H.
    "Das Grundwasser macht die Sache instabil." Ja klar, was sonst?

    Ich finde es immer wieder bezeichnend, wie in solchen Fällen um die Wahrheit herumgedruckst wird und Ursache - Gipsabbau- und Wirkung -Veränderung des Grundwassers- vertauscht wird.

    Nicht das Grundwasser macht die Sache instabil, sondern der ehemalige Gipsabbau, der Auswirkungen auf das Grundwasser hat, sodass der Boden sich absenkt. Eine menschengemachte Altlast, die keiner beim Namen nennen will.

    Stattdessen das Grundwasser, ein gottgegebenes Problem, an dem man nichts machen kann und vor allem, an dem niemand Schuld trägt. So wird allerorten jegliche Sünden der Vergangenheit und Andauernde schöngeredet. Würde ja nur Geld kosten, hier Schaden zu begrenzen.

    Frei nach Otto Waalkes: Die Flüsse sind so dreckig, weil so viele tote Fische drin schwimmen.
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