Über sieben Minuten: So viel länger könnte es in Zukunft dauern, bis in Hofheim im Landkreis Haßberge die Notärztin oder in Bischofsheim im Landkreis Rhön-Grabfeld der Notarzt kommt. Eine große Studie im Auftrag des bayerischen Innenministerium listet auf, welche Notarzt-Standorte in Zukunft verzichtbar wären. In Unterfranken sind das Bischofsheim und Mellrichstadt in der Rhön und eben Hofheim. Nicht mehr vorgesehen wären zudem der Standort Uffenheim (Lkr. Neustadt/Aisch-Bad Windsheim) im angrenzenden Mittelfranken sowie die nächtliche Besetzung der Standorte in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) und Volkach (Lkr. Kitzingen).
Von "Planungsszenario" ist die Rede in der über 300 Seiten langen "Notarztstudie 2021 – Untersuchung zum Notarztdienst in Bayern", erstellt vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement an der Universität München (LMU). Welche konkreten Folgen diese Planungen haben könnten, kann – oder will – derzeit niemand aus Politik und Verbänden beantworten.
Gleichwohl lohnt sich ein genauer Blick auf Ergebnisse in der Studie – und mögliche Folgen für Unterfranken.
Wie viele Notarzt-Standorte in Bayern sind laut der Studie überflüssig?
Das Szenario sieht eine Reduzierung von bayernweit aktuell 229 Standorten auf 213 vor: 190 sollen noch rund um die Uhr besetzt sein, 23 temporär. Als "verzichtbar" eingestuft werden 30 Standorte in ganz Bayern. Dafür werden 14 neue genannt, darunter in Bastheim (Lkr. Rhön-Grabfeld). Dank einer optimierten Standortverteilung und der Einführung des Telenotarztsystems, bei dem Arzt oder Ärztin aus der Ferne per Computer den Rettungsdienst unterstützt, erwartet die Studie damit "planerisch eine weitgehend gleichbleibende Versorgungssituation". Spezifische Gegebenheiten vor Ort müssten bei einer Umsetzung ausreichend berücksichtigt werden.
Wie ist aktuell die Situation in Unterfranken?
Ein Beispiel für solche "spezifische Gegebenheiten" sind die Standorte Hofheim und Volkach. Sie sind bislang gut besetzt und haben kaum sogenannte Ausfallzeiten, bei denen kein Notarzt für einen Dienst zur Verfügung steht. Dennoch ist der Standort Hofheim laut der Studie ganz verzichtbar, der in Volkach zumindest nachts. Denn Anzahl und Alter der Notfallmediziner sowie die jeweiligen Ausfallzeiten bei Diensten waren für das Ergebnis der Studie nicht planungsrelevant.
Ein Umstand, den Volkachs Notarzt-Obmann Dr. Wolfgang Otremba deutlich kritisiert: "Diese Studie funktioniert auf der Landkarte, aber nicht in echt." Sein Beispiel: Gerade der Standort Wiesentheid im Landkreis Kitzingen habe hohe Ausfallquoten, müsse Volkach aber bei Bedarf unterstützen.
"Ich kann versichern, dass ich keinen Grund sehe an der Bedarfsnotwendigkeit des Standorts Volkach zu zweifeln", sagt auf Nachfrage Paul Justice, Geschäftsführer des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Würzburg, zu dem die Landkreise Kitzingen, Main-Spessart und Würzburg sowie die Stadt Würzburg gehören. Eine Reduzierung auf eine Besetzung "nur tagsüber" an den Standorten in Volkach und Karlstadt (Lkr. Main-Spessart), wie vorgeschlagen, sei nicht geplant. Die Notarztstudie, so Justice, stelle "keine echte Planung" der Notarztstandorte dar, sondern diene lediglich als Diskussionsgrundlage ohne bindenden Charakter.
Braucht es eine Neuordnung der Notarzt-Standorte in Bayern?
Die Kritik des Notarzt-Obmanns aus Volkach verwundert Dr. Thomas Jarausch nicht. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte und Notärztinnen (AGBN) sagt: "An einzelnen Standorten wird es immer einen Aufschrei geben." Doch die vorliegende Studie sei immer eine Forderung der AGBN gewesen, denn "die Ressource Notarzt schwindet".
Angesichts des fehlenden Nachwuchses und zum Teil höheren Alters seiner Kolleginnen und Kollegen sagt Jarausch: "Alles muss auf den Prüfstand." Was mögliche Konsequenzen der Studie angehe, verweist der Würzburger Mediziner auf das anstehende Wahljahr in Bayern, in dem sich niemand die Finger verbrennen wolle.
Wer steckt hinter der Notarzt-Studie und was ist das Ziel?
Der Hinweis auf das Wahljahr passt zur Reaktion aus dem Innenministerium. Denn obwohl es die Notarztstudie in Auftrag gegeben hat und politisch für die Notarzt-Versorgung in Bayern zuständig ist, sieht es bei möglichen Zusammenlegungen von Standorten vor allem die regionalen Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) und die Kassenärztliche Vereinigung (KVB) in der Pflicht: "Das muss alles vor Ort entschieden werden", sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf Anfrage. "Wir machen uns die Vorschläge der Studie auch nicht zu eigen." Es gebe deshalb "auch keine landesweiten Vorgaben".
Ob man in München grundsätzlich eine Reduzierung der Notarzt-Standorte befürwortet und dafür eine zum Teil deutliche Verlängerung der Anfahrtszeiten vor allem in ländlichen Regionen hinnehmen würde, wollte das Innenministerium auf Nachfrage nicht beantworten: Die Studie sei schließlich nur eine "wissenschaftlich fundierte Arbeitshilfe" ohne bindenden Charakter für die Entscheidungsträger vor Ort.
Die Kassenärztliche Vereinigung hält sich indes nicht für zuständig, man sie "lediglich über die Ergebnisse" informiert worden, so KVB-Sprecher Martin Eulitz. Der Aufbau der Notarzt-Strukturen obliege den Zweckverbänden für Rettungsdienst. Deren Chef Günther Griesche, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der ZRF in Bayern, antwortet auf die Anfrage, dass die Zweckverbände die Inhalte der Studie prüfen wollten und dann "den zuständigen Kommunalpolitikern eine Empfehlung in dieser Angelegenheit geben". Diese müsse aber nicht gleichlautend mit dem Vorschlag der "Arbeitshilfe" sein.
An welchen Notarzt-Standorten sind die Ausfallzeiten laut Studie besonders hoch?
Die Studie zeigt auf, dass manches im Argen liegt im bayerischen Rettungswesen. Denn sie listet exakt auf, wie die Besetzung der Notarzt-Standorte in Jahren 2019 und 2021 war und wie sich die Ausfallzeiten zwischen 2009 und 2019 entwickelt haben.
Negativ hervor stechen in Unterfranken dabei Hammelburg (2021: 2328 unbesetzte Stunden), Bad Königshofen (2259 unbesetzte Stunden), Bad Brückenau (1735), Bischofsheim (1205) und Wiesentheid (1054). Quasi ohne Fehlstunden waren dagegen die Standorte in großen und größeren Städten wie Würzburg, Schweinfurt, Bad Neustadt und Kitzingen. Besonders gut stehen auch Hofheim (2021: drei unbesetzte Stunden), Ochsenfurt (32) und Volkach (39) da.
Im Notfall: Was könnte sich mit der Neuordnung anhand der Studie konkret ändern?
Mit der neuen Verteilung, so die Studie, könnten 99,9 Prozent der Notarztereignisse innerhalb einer maximalen Fahrzeit von 20 Minuten erreicht werden und 97,4 Prozent innerhalb von 15 Minuten (bislang: 95,9 Prozent). So gelinge es, mehr Gemeinden in durchschnittlich kürzeren Fahrzeiten zu erreichen. Zudem gehe man davon aus, dass Hubschrauber und Telenotarztsystem diese Einsätze noch ergänzen.
Für einige Gemeinden würde der Wegfall ihres Standortes aber sehr wohl bedeuten, dass es deutlich länger dauert, bis der Notarzt kommt: In Uffenheim 8:22 Minuten länger (im Schnitt 12:05 Minuten statt 3:43 Minuten), in Bischofsheim wären es 7:35 Minuten mehr (11:20 Minuten) und in Hofheim müsste man 7:21 länger (11:08 Minuten) auf die Notärztin warten.
Mitarbeit: kgh
Außerdem sollte man mal "die Kirche im Dorf lassen" , die Notarzteinsätze könnten auch deutlich reduzieren werden. Man müßte nur mal den Notarztindikationskatalog überarbeiten und den NotSan's ein bisschen mehr Kompetenzen geben und schon wäre alles wieder im Lot. Es wäre dann auch nicht schlimm wenn der NA etwas später eintrifft. Ist ja jetzt bei Paralleleinsätzen auch schon so.
Barbara Herrmann, Redakteurin