Am 11. November hat für Dr. Eike Uhlich mehr als nur die fünfte Jahreszeit begonnen. Es ist ein neue Lebensabschnitt, in den er eingetreten ist. An diesem Tag feierte der Medizinprofessor aus Hofheim seinen 75. Geburtstag. Zugleich beendete er seinen Dienst als Notarzt – nach über 28 Jahren.
Seinen Piepser, der ihn so oft zum Einsatz alarmiert hat, hatte Uhlich schon wenige Tage zuvor zurückgegeben. Rund 7500-mal ist er ausgerückt, an 5000 Tage und Nächte, so hat es der frühere Chefarzt des Hofheimer Krankenhauses zusammengezählt, hatte hatte er Notarztdienst. Das alles ist nun vorbei. „Ich habe mir gedacht, mit 75 ist es einfach genug“, meint Uhlich ohne viel Wehmut in der Stimme. Andere genießen in diesem Alter längst das ruhige Leben als Rentner.
Etwas mehr Ruhe, abends einfach mal kurzentschlossen wegfahren können, einen Schoppen trinken – das sind die ganz normalen Dinge, auf die sich Uhlich in seiner Zeit ohne Notarzt-Piepser freut. Zuletzt hatte er an etwa 130 Tagen im Jahr Dienst, bis zu zehn Tage am Stück. „Ehrlich gesagt habe ich von dem bislang noch nichts vermisst“, sagt Uhlich. Er genieße den „Tick mehr Freiheit“, obwohl er, wie er betont, den Notarztdienst nie als Belastung empfunden habe. Uhlich hatte den Notarzt-Standort in Hofheim überhaupt erst aufgebaut. Im März 1983 gab es hier die ersten Notarztdienste. Bis dahin mussten die Notärzte aus Haßfurt anfahren. „Da dachte ich mir, dass es eigentlich ganz günstig wäre, wenn es in Hofheim auch einen Notarzt in Bereitschaft gibt“, erinnert sich Uhlich. Anfangs rückten er und seine Kollegen noch mit dem Privatwagen aus.
Als der Notarztstandort in Hofheim seinen Betrieb aufnahm, hatte Uhlich erst zwei Jahre zuvor als Chefarzt am hiesigen Krankenhaus begonnen, das er bis zu seiner Pension 1999 ärztlich geleitet hat. Zuvor war er als Professor an Unikliniken in ganz Deutschland tätig, in München, Frankfurt, Berlin, Köln. „Das ist mir irgendwann zu elitär geworden“, erklärt der Arzt rückblickend seinen Entschluss, aufs Land zu ziehen.
An den Uni-Kliniken hatte er sich als Internist auf die Innere Medizin spezialisiert, sein Fachgebiet waren Nieren- und Hormonerkrankungen. „Es waren häufig kniffelige Fälle, mit denen ich zu tun hatte“, meint er. Am Hofheimer Krankenhaus hatte er es „eher mit banalen Krankheiten“ zu tun. Einerseits war dies – medizinisch betrachtet – weniger herausfordernd. Andererseits konnte Uhlich in einem kleinen Krankenhaus wie in Hofheim eine Medizin sehr nahe am Patienten praktizieren. „Ich habe diesen Schritt nie bereut“, sagt er. Überhaupt habe er sich in Hofheim von Anfang an sehr wohl gefühlt. „Ich werde auch hier wohnen bleiben“, sagt der 75-Jährige, der mit seiner Ehefrau Ilsegret in der Jacob-Curio-Straße wohnt. Als Arzt sehr nahe am Patienten sein – diese Situation erlebte Eike Uhlich auch als Notarzt. Auch wenn er in vielen Fällen eigentlich gar nicht mit Blaulicht und Martinshorn hätte anrücken müssen. Für die Jahre 2010 und 2011 hat Uhlich eine Statistik erstellt. In diesem Zeitraum ist er zu 232 Notarzt-Einsätzen ausgerückt.
„In einem Drittel der Fälle war nicht einmal eine Krankenhauseinweisung erforderlich“, so sein Resümee. Nur 16 Fälle – so die nachträgliche Auswertung – waren überhaupt so dringend, dass ein Notarzt erforderlich war. Wenn man bedenkt, dass jeder Notfall-Einsatz, mit Notarzt und Rettungswagen, den Krankenkassen 500 bis 600 Euro kostet, dann ist Uhlichs Einwand, dass zu oft der aufwendige Notfall-Apparat in Gang gesetzt wird, nachvollziehbar. Übrigens: Ein Notarzt verdient pro Einsatz etwa 100 Euro, der Rest fließt in die Infrastruktur (Fahrzeug-, Gebäudeerhalt, technische Ausstattung). Die hohen Kosten in der Notfallmedizin könnten, so schätzt der Arzt, irgendwann auch dazu führen, dass der Notarzt-Standort in Hofheim zur Diskussion steht. Es müsse stärker auf die Kosten-Nutzen-Rechnung bei Notarzt-Einsätzen geachtet werden.
Dr. Eike Uhlich Professor und Notarzt
Dies gelte auch für die Notärzte selbst. So antwortet Uhlich auf die Frage nach einem Ratschlag, den er jüngeren Kollegen mit auf den Weg gibt, dass in der Notfallmedizin eher sparsam vorgegangen werden sollte. Auf den Punkt gebracht heißt das für ihn: Ein Notarzt sollte nicht jeden Patienten wegen jedes Wehwehchen ins Krankenhaus schicken. Uhlich hinterlässt eine Lücke am Notarzt-Standort Hofheim, bestätigt der Obmann der Notarzt-Gruppe Hofheim, Hubert Amend. Ohne Uhlich sind es noch neun Ärzte, die von Hofheim aus als Notärzte ausrücken: drei Hausärzte (darunter Uhlichs Schwiegertochter Chris Bendig), drei Anästhesisten, zwei Fachärzte, ein Gynäkologe. Manche von ihnen arbeiten auswärts und kommen nur für die Notarztdienste nach Hofheim. „Generell ist es schwieriger, die Tages-Dienste zu besetzen als die Nacht-Dienste“, sagt Amend. Der Grund: Die Notärzte haben meist noch eigene Praxen, die sie nicht einfach so verwaist zurücklassen können, wenn der Piepser geht.
Noch gelingt es, die Dienste zu besetzen, sagt Amend. „Das Engagement der Ärzte ist hoch.“ Der Wegfall von Eike Uhlich konnte kompensiert werden, indem die anderen Ärzte mehr Dienste übernehmen. „Doch es wird sicher irgendwann Engpässe geben“, glaubt Amend.