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Kitzingen
Eine Frage der Ehre: Hat Kitzingen ein Problem mit seinen Ehrenbürgern?
Nur vier Männern hat die Stadt Kitzingen seit Kriegsende das Ehrenbürgerrecht verliehen. Wie kann das sein? Und wer sind sie? Höchste Zeit für zehn Fragen und den Versuch von Antworten.
Hans-Joachim Schumacher, 2017 verstorben, hatte sich zeitlebens dem Karneval verschrieben. Dafür wurde er 2002 zum Ehrenbürger ernannt – als bislang Letzter in Kitzingen.
Foto: Weichhan | Hans-Joachim Schumacher, 2017 verstorben, hatte sich zeitlebens dem Karneval verschrieben. Dafür wurde er 2002 zum Ehrenbürger ernannt – als bislang Letzter in Kitzingen.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 09.02.2024 13:37 Uhr

Als profane Erpresser im August 1961 die auf zwei Millionen Deutsche Mark taxierte und doch völlig ungesicherte Riemenschneider-Madonna aus der Volkacher Wallfahrtskapelle stahlen, kaufte der Hamburger Medienunternehmer Henri Nannen sie für 100 000 Euro frei. Die holzgeschnitzte Statue tauchte wieder auf, und Volkach bedankte sich bei Nannen mit der höchsten Weihe, die eine Stadt zu vergeben hat: Sie ernannte Nannen zum Ehrenbürger.

Nicht immer braucht es solch spektakuläre Heldengeschichten, um sich einen Platz in der Ruhmeshalle einer Stadt zu sichern. Neben Nannen hat Volkach seit Kriegsende weitere 19 Personen zu Ehrenbürgern gemacht. Wiesentheid kommt auf 15, Iphofen immerhin auf acht. Und in Kitzingen? Hat es gerade mal zu vier Ernennungen gereicht, eine ist inzwischen aufgehoben. An honorigen Persönlichkeiten hat es der Großen Kreisstadt nicht gefehlt, es gab sie zu allen Zeiten. Woran aber liegt es dann, dass man sich hier so viel schwerer damit tut, seine verdienten Söhne und Töchter zu ehren?

Die Stadtarchivarin Doris Badel, die sich tief in die Kitzinger Geschichte eingegraben hat, sagt: „Das habe ich mich auch schon gefragt.“

Der langjährige Leiter des Hauptamtes im Kitzinger Rathaus, Ralph Hartner, ein profunder Kenner der Stadtpolitik, sagt: „Ich bin ratlos.“

Wie kann das sein?

Die Redaktion hat sich auf Spurensuche begeben – vom hiesigen Rathaus bis nach Norditalien. Zehn Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie viele Personen hat die Stadt zu Ehrenbürgern ernannt?

19 Namen haben es seit 1837 auf die Ehrentafel der Stadt Kitzingen geschafft, alles Männer; drei sind mittlerweile wieder getilgt. Adolf Hitler verlor kurz nach Kriegsende ebenso sein Ehrenbürgerrecht wie Dr. Otto Helmuth, Zahnarzt in Markt Einersheim, später Gauleiter in Mainfranken und laut Stadtarchiv „Galionsfigur der NSDAP in Franken“. Helmuth war für die „Erweckung des mainfränkischen Landes“ gewürdigt worden.

Eine Frage der Ehre: Hat Kitzingen ein Problem mit seinen Ehrenbürgern?

Im Herbst 2021 entzog der Stadtrat auch Siegfried Wilke den Titel als Ehrenbürger – posthum. Bei einer Untersuchung war herausgekommen, dass der ehemalige Oberbürgermeister stärker in die Machenschaften und das Netzwerk des NS verwickelt war als angenommen. Dabei tauchte die Frage auf: Wie wird man eigentlich Ehrenbürger? Und wie viele Ehrenbürger hat Kitzingen?

Wie viele Ehrenbürger hat Kitzingen aktuell?

Diese Frage ist rasch geklärt: einen einzigen. Weil Ehrenbürger nur sein kann, wer noch lebt. Mit dem Tod erlischt das Ehrenbürgerrecht, deshalb kann es posthum auch nicht aberkannt werden (siehe Punkt 9). Der bislang Letzte, der es in die städtische Ruhmeshalle geschafft hat, war Hans-Joachim Schumacher, nicht nur Lehrer und Rektor, sondern auch Mitgründer der Kitzinger Karnevalsgesellschaft (KiKaG) sowie Leiter des Fastnachtsmuseums.

Dem gebürtigen Kölner wurde die Ehrung am 4. Oktober 2002 zuteil – für sein „unermüdliches und ehrenamtliches Engagement im kulturellen und fastnachtlichen Bereich“, wie es in der Laudatio hieß. Als Schumacher Ende Oktober 2017 starb, hatte er sich von der KiKaG abgewandt. Im Herbst 2019 wurde auch Rudolf Schardt zu Grabe getragen; der langjährige Oberbürgermeister (1967-1991) war bei seinem Ausscheiden aus dem Amt zum Ehrenbürger ernannt worden.

Wer ist der einzige lebende Ehrenbürger?

Von den vier Männern, die in Kitzingen seit Kriegsende in den Stand des Ehrenbürgers erhoben wurden, lebt heute nur noch einer. Sein Name wird den allerwenigsten in der Stadt etwas sagen: Massimo Gregorini. Er war von 1982 bis 1992 Bürgermeister der italienischen Partnerstadt Montevarchi und wurde am 18. Juni 1994 wegen seiner Verdienste um die Beziehungen mit Kitzingen zum Ehrenbürger ernannt: als erster Ausländer. Wer ist dieser Massimo Gregorini?

Stellt man die Frage Bernd Moser, dem früheren OB und einem der Aktivsten im Partnerschaftskomitee, dann sagt er: „Ich kam erst nach ihm ins Amt und habe keine aktive Erinnerung.“ Was Moser weiß: In Italien stehen Bürgermeistern qua Gesetz nur zwei Amtszeiten zu. Gregorini ging nach seinem Ausscheiden aus dem Amt zurück in seinen erlernten Beruf als Architekt. Er arbeitete zunächst als Freiberufler, dann bei der Gemeinde Arezzo und pflegte später für die Region Toskana das Landschafts- und Kulturerbe. So ist es auf dem Kulturportal toscanalibri nachzulesen.

Wie wird man in Kitzingen zum Ehrenbürger?

In der „Satzung über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts sowie anderer Auszeichnungen durch die Stadt Kitzingen“ von 1970 ist das Prozedere genau geregelt. Das Ehrenbürgerrecht ist dort als höchste Auszeichnung genannt, die die Kommune lebenden Personen antragen kann. In Paragraf 2 heißt es: „Eine Verleihung ist nur möglich, wenn der zu Ehrende durch selbstloses öffentliches Wirken entscheidend die Entwicklung der Stadt beeinflusst und das Wohl der Bürgerschaft gefördert hat.“ Die Verdienste müssten der Stadt „unmittelbar zugute gekommen sein“.

Der langjährige Oberbürgermeister Rudolf Schardt wurde 1991 nach seinem Ausscheiden  aus dem Amt zum Ehrenbürger erhoben.
Foto: Torsten Schleicher | Der langjährige Oberbürgermeister Rudolf Schardt wurde 1991 nach seinem Ausscheiden  aus dem Amt zum Ehrenbürger erhoben.

Was heißt das in der Praxis? Verwaltungschef Ralph Hartner hat sich die Verleihordnung auf seinem Rathaus-PC aufgerufen und hebt darauf ab, dass man die Stadtentwicklung „entscheidend beeinflusst“ haben müsse. Hartner hat Fastnachter Hans-Joachim Schumacher erlebt, verweist auf dessen „Aura und Wortgewalt“. Ein würdiger Ehrenbürger also. An der Ernennung Rudolf Schardts, OB von 1967 bis 1991, gibt es nichts zu deuteln. Er ist über jeden Zweifel erhaben. Und Gregorini? Bekam die Ehrung zwei Jahre, nachdem Schardt in Montevarchi zum Ehrenbürger gekürt worden war.

Gab es weitere geeignete Kandidatinnen und Kandidaten?

Geht man die Liste der „Persönlichkeiten“ durch, die die Stadt auf ihrer Homepage veröffentlicht hat, fallen einem Männer und Frauen auf wie die Schriftstellerin Olga Pöhlmann (1880-1969), der jüdische Heimatforscher Michael Schneeberger (1949-2014), der Unternehmer Richard Wildhagen (1890-1981) oder der Mundartdichter Engelbert Bach (1929-1999). Sie alle hätte man angesichts ihrer Vita und ihrer Leistung zu Ehrenbürgern ernennen können. War daran je gedacht?

Ralph Hartner sagt: „Ich bin jetzt 23 Jahre Hauptamtsleiter der Stadt. In dieser Zeit gab es nicht einen Vorschlag, über den man hätte abstimmen können. Ich kann mich auch an keine einzige Diskussion im Stadtrat erinnern.“ Alt-OB Bernd Moser bestätigt diesen Eindruck und ruft dazu auf, geeignete Persönlichkeiten zu benennen. „Es ist ja nicht so, dass die Verwaltung mit der Lupe herumläuft und selbst nach geeigneten Kandidaten sucht.“

Warum gibt es in Kitzingen nun so wenige Ehrenbürger?

Eine schlüssige Erklärung in dieser Frage hat Stadtarchivarin Doris Badel nicht, nur Mutmaßungen. Vielleicht sei man nach dem Widerruf des Ehrenbürgerrechts für NS-Größen wie Hitler und Helmuth erst einmal vorsichtig gewesen mit weiteren Verleihungen. Auch dass die Stadt unterhalb ihrer höchsten Ehrenbezeugung weitere Instrumente hat, um verdiente Persönlichkeiten zu ehren, könnte eine Rolle spielen. Für Personen, die „mit der Stadt Kitzingen besonders verbunden sind und sich hervorragende Verdiente um das Wohl der Stadt Kitzingen erworben haben“, gibt es die Bürgermedaille.

Dem Historiker Professor Klaus Arnold (hier mit Stadtheimatpfleger Harald Knobling) habe man die Ehrenbürgerwürde angeboten – er habe abgelehnt.
Foto: Ralf Dieter | Dem Historiker Professor Klaus Arnold (hier mit Stadtheimatpfleger Harald Knobling) habe man die Ehrenbürgerwürde angeboten – er habe abgelehnt.

Und seit 1977 verleiht die Stadt den Kulturpreis an Personen und Institutionen, „die eine hervorragende künstlerische Leistung vollbracht haben“ und mit ihrem Schaffen zum Ansehen der Stadt beitragen. Im Jahr 2007 ging der Kulturpreis an den Historiker Professor Klaus Arnold. Der damalige OB Bernd Moser nannte ihn in einer Feierstunde den „profundesten Kenner“ der Kitzinger Stadtgeschichte. Für Badel wäre Arnold auch ein Kandidat als Ehrenbürger gewesen. Man habe Arnold auch gefragt, ob er die Ehrung annehmen würde. Doch der habe abgelehnt.

Wer kann Personen für die Ehrenbürgerschaft vorschlagen?

Laut Satzung können sowohl der Oberbürgermeister und die Mitglieder des Stadtrats als auch die Bürgerinnen und Bürger Kitzingens Vorschläge einreichen, wen sie einer Ehrung würdig halten. Diese sind entsprechend zu begründen. Über die Verleihung von Ehrenbürgerrecht und Bürgermedaille entscheidet dann der Stadtrat mit einfacher Mehrheit.

Welche Privilegien genießt man als Ehrenbürger?

Die Stadt geht mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechts keine großen Verpflichtungen ein. In der Satzung heißt es: „Der Ehrenbürger ist zu allen besonderen Veranstaltungen der Stadt einzuladen.“ Der Stadtrat kann außerdem darüber entscheiden, ob die Stadt einen Ehrensold bezahlt oder – wie sie es im Fall Wilke getan hat – ein Ehrengrab bereitstellt.

Kann man sein Ehrenbürgerrecht wieder verlieren?

Nicht nur die städtische Rechtsdirektorin Susanne Schmöger sieht darin eine „sehr spannende Frage“. Eine Reihe von Städten und Gemeinden hat nach Kriegsende Ehrenbürgerschaften aberkannt, in erster Linie von NS-Größen oder -Schergen. In der Kitzinger Satzung heißt es: „Das Ehrenbürgerrecht kann wegen unwürdigen Verhaltens des Ehrenbürgers vom Stadtrat widerrufen werden.“ Dies gilt nach vorherrschender Rechtsmeinung jedoch nur für den Fall, dass der Ausgezeichnete noch lebt.

Dem früheren Oberbürgermeister Siegfried Wilke hat die Stadt im Oktober 2021 das Ehrenbürgerrecht aberkannt.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Dem früheren Oberbürgermeister Siegfried Wilke hat die Stadt im Oktober 2021 das Ehrenbürgerrecht aberkannt.

Mit dessen Tod erlischt nach Auffassung der meisten Juristen das Ehrenbürgerrecht, da es „höchstpersönlichen Charakter“ habe und die Rechtsfähigkeit des Geehrten bedingt. Es besteht dann schlicht und einfach nicht mehr, und – so die Experten – was nicht da ist, könne auch nicht entzogen werden. Das haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages schon 2014 unter dem Titel „Arbeit Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von NS-Kriegsverbrechern“ festgestellt (Az. WD 3-3000–183/14).

Widerruft der Stadtrat wie im Fall Wilke das Ehrenbürgerrecht, sei das nur ein „symbolischer Akt“, sagt Susanne Schmöger, der aber auf gar keinen Fall rechtswidrig sei. „Im Vordergrund stand hier, ein Zeichen zu setzen und eine klare Aussage der Distanzierung zu treffen.“ Andere Städte handelten ähnlich. Dortmund widerrief 1980 die Ehrenbürgerschaft für Reichspräsident Paul von Hindenburg, Kiel zog 2016 nach, Berlin im vergangenen Jahr, und Coburg folgte im April dieses Jahres.

Verliert ein Ehrenbürger auch das Namensrecht an Straßen oder Gebäuden?

Im Fall Wilke war das so. Erst wurde die nach ihm benannte Straße in Dagmar-Voßkühler-Straße umgetauft, dann wurde ihm das Ehrenbürgerrecht entzogen. Es waren aber zwei voneinander getrennte Stadtratsbeschlüsse, und es sind auch zwei separate Sachverhalte. Während das Ehrenbürgerrecht nur zu Lebzeiten der Geehrten verliehen werden kann, werden mit der Benennung von Straßen, Plätzen und öffentlichen Gebäuden „grundsätzlich nur bereits Verstorbene geehrt“. So ist es unter Paragraf drei der Kitzinger Satzung geregelt. Dort heißt es auch: „Die nach Bürgern benannten Straßen, Plätze oder öffentlichen Gebäude können durch Stadtratsbeschluss umbenannt werden, wenn Tatsachen offenkundig werden, die eine Ehrung der betreffenden Bürger nach neuerlicher Prüfung nicht mehr rechtfertigen.“

 
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  • P. K.
    So wenige Ehrenbürger hat doch Kitzingen gar nicht. Seit 1837 waren es 19, davon 3 Unehrenbürger.
    Im viel größeren Würzburg gab es seit 1819 41 Ehrenbürger, davon 3 Unehrenbürger.
    Im noch viel größeren Nürnberg seit 1819 51 Ehrenbürger, die Unehrenbürger sind nicht mehr aufgelistet. Fies von den Nürnbergern

    So gesehen wird die Ehrenbürgerwürde in Kitzingen geradezu verschwenderisch verteilt.
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