Am Ende war nur ein Kitzinger Stadtrat nicht einverstanden mit der Entscheidung, die Siegfried-Wilke-Straße umzubenennen. Lars Goldbach, einziger AfD-Vertreter im Gremium, hatte seine Kritik in der Sitzung am Donnerstag in Fragen gehüllt, als es darum ging, gemeinsam ein Zeichen gegen die Nazi-Vergangenheit des ehemaligen Kitzinger Bürgermeisters zu setzen. Goldbach fragte, wie denn Wilkes Amtszeit von 1952 bis 1958 zu bewerten sei und wie die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn: "Wie stehen wir dazu?"
Die Antwort bekam er von Oberbürgermeister Stefan Güntner (CSU) und Stadtrat Klaus Heisel (SPD): Wilke habe während der NS-Zeit dafür gesorgt, dass der jüdische Mitbürger Benno Oppenheimer in "Schutzhaft" kam und sich auch dann noch gegen seine Freilassung ausgesprochen, als das NS-Regime diese Möglichkeit erwog. Am Ende nahm sich Oppenheimer im KZ Sachsenhausen 30-jährig aus Verzweiflung das Leben. Das sei ein "schwerwiegendes persönliches Verschulden" Wilkes, sagte Heisel.
Nachdem diese Fakten durch einen Brief eines Oppenheimer-Verwandten und ein mehrmonatiges Archivstudium von Stadt-Archivarin Doris Badel zutage befördert wurden, zog der Stadtrat die Konsequenzen – wohl wissend, dass Wilke sich als Bürgermeister und Oberbürgermeister in anderen Fragen sehr wohl für das Gemeinwohl engagiert hatte. Doch seine Verfehlungen während der NS-Zeit rechtfertigen für das Gremium nicht, Wilke weiter als Vorbild zu empfehlen und ihn herausragend zu würdigen. Wilke wird in Vergessenheit geraten, die NS-Vergangenheit nicht.
Für die Stadt ging Gründlichkeit vor Schnelligkeit
Hauptamtsleiter Ralph Hartner ergänzte in der Sitzung, die treffenderweise in der Alten Synagoge stattfand, die die Nazis in der Pogromnacht 1938 angezündet hatten: Eine Ehrung Wilkes "passt nicht zur Gedenkkultur dieser Stadt und in Zeiten wachsenden Antisemitismus schon gar nicht".
Der Oberbürgermeister erklärte, dass man nach Eingang des Briefs von Prof. Dr. Jochen Oppenheimer, ein Großcousin von Benno Oppenheimer, die darin enthaltenen Anschuldigungen ernst genommen habe. Allerdings entschied sich die Stadtverwaltung für "Gründlichkeit statt Schnelligkeit", wie Güntner es formulierte. Daher ließ man Historikerin Badel fünf Monate Zeit, um Akten zu studieren und erst dann ein Urteil zu fällen. Das war vernichtend ausgefallen: Wilke sei nicht nur "Opportunist und Mitläufer" gewesen, sondern "Erfüllungsgehilfe" des NS-Unrechtsregimes – und das wiederholt ohne Zwang von oben.
Die Folgen aus Sicht der Stadt: die Umbenennung der nach Wilke benannten Straße und wohl in Bälde auch die Aberkennung von Ehrenbürgerrecht und Ehrengrab. Dafür braucht es laut Geschäftsordnung eine weitere Sitzung.
In der Diskussion am Donnerstagabend fragten Wolfgang Popp (KIK) und Uwe Hartmann (BP), wie man es nun mit anderen Straßennamen halten wolle. Der OB sieht jedoch zurzeit keine Veranlassung, weitere Namensgeber auf ihre Vergangenheit untersuchen zu lassen. Hartmann stellte schließlich den Antrag, die Straßenumbenennung so lange zu verschieben, bis weitere Straßnnamen erforscht seien. Dem widersprach Ex-OB Siegfried Müller: Der Fall Wilke sei eindeutig untersucht; über weitere Namen solle man nicht spekulieren. So stimmten nur Uwe Pfeiffle (FW-FBW) und Timo Markert (CSU) mit Hartmann für seinen Antrag.
Würdigung der Verdienste Voßkühlers
Mit einer Person beschäftigte sich der Rat allerdings bewusst: Dagmar Voßkühler (1944 – 2013). Die Tochter des Hitler-Attentäters Oberst Georg Alexander Hansen hatte nach dem missglückten Anschlag und der Hinrichtung ihres Vaters mit ihrer Familie unter Repressalien der Nazis zu leiden. Die Kitzinger Lehrerin hatte sich viele Jahre für das Gemeinwohl eingesetzt und sich immer wieder öffentlich gegen das Vergessen der NS-Geschichte ausgesprochen, unter anderem im Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen. Der Verein ehrt sie mit der Vergabe eines nach ihr benannten Preises für Verdienste um das Gemeinwohl.
Für die Umbenennung der Wilke-Straße stimmten schließlich alle Anwesenden ohne Ausnahme. Und Lars Goldbach? Der AfDler hatte zu diesem Zeitpunkt den Sitzungssaal verlassen. Auf Anfrage der Redaktion sagte er später, er sei zwiegespalten. Man müsse auch Wilkes Verdienste sehen, und außerdem sei es Zeit, einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit zu ziehen. Er habe sich mit einer Abwägung schwer getan und durch Verlassen des Saals vor der Abstimmung eine Festlegung in die ein oder andere Richtung vermieden.
Kommunalparlamente sehen die Möglichkeit der Enthaltung nicht vor. Und so wird diese Ratsentscheidung als einstimmig in die Stadtgeschichte eingehen, beklatscht von den Gästen der Sitzung, darunter einige Mitglieder des Fördervereins.
Ich hätte etwas gewartet, bis der Stadtrat wieder im Saal ist und dann abstimmen lassen.
Und jetzt dürfen die ewig gestrigen wieder loslegen mit ihren Kommentaren, die man im MP-Bericht von gestern schon lesen konnte.
ach ja wegen den anderen Straßennamen da fällt mir adhoc ein: Hindenburstrasse die man auch diskutieren sollte