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Kitzingen
"Ein Inferno ersten Ranges": Wie ein Augenzeuge das Drama der Kitzinger Silvesternacht 1984 erlebte
Vor 40 Jahren drohte das Kitzinger Rathaus in einem Großbrand unterzugehen. Gunter Kittel gehörte damals die benachbarte Apotheke. Er erinnert sich an bange Stunden.
Zum Jahreswechsel 1984/85 brach im Dach des Kitzinger Rathauses ein verheerendes Feuer aus. Die Flammen waren weithin sichtbar.
Foto: Archiv Feuerwehr Kitzingen | Zum Jahreswechsel 1984/85 brach im Dach des Kitzinger Rathauses ein verheerendes Feuer aus. Die Flammen waren weithin sichtbar.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 05.01.2025 02:31 Uhr

Es sollte ein beschaulich-besinnlicher Abend werden. Gunter Kittel und seine Frau Gudrun waren bei Freunden am Kitzinger Eselsberg eingeladen. Eine kleine Feier, sanft hinübergleiten ins neue Jahr, das war der Vorsatz. Doch dann nimmt der Abend eine dramatische Wendung. Vierzig Jahre ist es her, dass in Kitzingen das Rathaus in Flammen aufging. "Die ganze Stadt", so erinnert sich Gunter Kittel, heute 86, "war wie gebannt von diesem Schauspiel."

Der Eselsberg thront ein Stück über der Altstadt, man kann von hier bis zum Schwanberg blicken und natürlich auf die Silhouette Kitzingens mit seinen markanten Türmen. Gunter Kittel sitzt am Abend des 31. Dezember 1984 in geselliger Runde, als einer ruft: "In der Stadt brennt's!" Die Partygäste stürzen ins Freie, zu ihren Füßen liegt hell erleuchtet die Stadt.

Es ist gegen Mitternacht, der schwarze Himmel getüpfelt von zahlreichen Silvesterraketen, und drunten am Marktplatz bahnt sich eine Katastrophe an. "Man hat gesehen", sagt Kittel, "dass es das Rathaus ist, das brennt."

Blättert man in alten Berichten, hört man die Erzählungen von Zeitzeugen, dann spielt sich diese Katastrophe zunächst in Zeitlupe ab. Noch bevor Kittel und die anderen den lichten Feuerschein erblicken, sieht ein Angestellter der Stadt vom Hindenburgring aus das Rathaus in Rauchschwaden gehüllt. Zweieinhalb Minuten nach dem Alarm sind die ersten Kräfte am Einsatzort. Die Lage ist diffus.

Die Feuerwehr riecht das Feuer, sieht es aber zunächst nicht

Um 23.48 Uhr schickt Stadtbrandinspektor Rudolf Stöckinger einen Trupp ins Gebäude. Die Männer riechen das Feuer, aber sie sehen es nicht. Im dritten Obergeschoss, wo die Registratur untergebracht ist, entdecken sie einen kleinen Zimmerbrand, der rasch gelöscht ist. Kurz darauf ein Knall, der alles verändern wird.

Der Rathausbrand aus der Perspektive unseres damaligen Reporters Robert Stöckinger. Er fotografierte von der Kaiserstraße aus.
Foto: Robert Stöckinger | Der Rathausbrand aus der Perspektive unseres damaligen Reporters Robert Stöckinger. Er fotografierte von der Kaiserstraße aus.

Das Rathausdach ist an mehreren Stellen explodiert und aufgerissen. Offenbar hat das Feuer unter der doppelten Schieferdeckung nur Kraft gesammelt und ist dann wie die heiße Glut aus einem Vulkan geschossen. Aus den Löchern schlagen jetzt meterhoch die Flammen, und es dauert nur Sekunden, bis sich das Feuer zu einem Großbrand auswächst, dessen Schein die halbe Stadt erhellt.

Oben, am Berg, sind manche wie erstarrt, lautloses Erschrecken steht in ihren Gesichtern. Aber Kittel weiß, dass er jetzt da runter muss. Er betreibt mit seiner Frau die direkt neben dem Rathaus liegende Lamm-Apotheke. Auch der Apotheke, die älter als das Rathaus ist, droht in dieser Nacht Gefahr. Als Kittel unten ankommt, ist die Kaiserstraße voller Blaulicht – und der Brandort weiträumig abgesperrt. Es gelingt ihm irgendwie, sich bis zum Marktplatz durchzuschlagen. Was er dort sieht, raubt ihm den Atem.

Zeitzeuge Gunter Kittel mit einem Bilderbogen des Großfeuers. Die Aufnahmen stammen vom Kitzinger Fotografen Jürgen Wolfarth.
Foto: Eike Lenz | Zeitzeuge Gunter Kittel mit einem Bilderbogen des Großfeuers. Die Aufnahmen stammen vom Kitzinger Fotografen Jürgen Wolfarth.

Kittel sieht, wie glühende Balken vom Dach fliegen, wie ein Sprühregen von Funken niedergeht; er hört, wie unter der enormen Hitze Scheiben bersten. Es ist kurz nach Mitternacht, das Jahr 1984 erst wenige Minuten alt, und es beginnt in Kitzingen mit einem "Inferno ersten Ranges", wie Kittel heute sagt.

In dieser Nacht brennt nicht nur ein Gebäude, eine steinerne Schönheit, sondern ein Symbol. Das Rathaus, 1561 zur Glanzzeit der Renaissance errichtet, birgt die Geschichte und Kultur der Stadt. Mehr als 400 Jahre und manchen Konflikt hat es überdauert, nun droht in einem einzigen Feuersturm alles vernichtet zu werden.

Der Kitzinger Marktplatz auf einer Aufnahme um 1965. Die Fassade des Rathauses war seinerzeit dunkler.
Foto: Stadtarchiv Kitzingen | Der Kitzinger Marktplatz auf einer Aufnahme um 1965. Die Fassade des Rathauses war seinerzeit dunkler.

Verzweifelt versuchen die aus dem ganzen Landkreis zusammengezogenen Kräfte, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Selbst die US-Feuerwehr rückt an. Irgendwann, so erinnert sich Kittel, bringen sie am Marktplatz eine Wasserkanone in Stellung. Als sie losgeht, ist dem Strahl die Weihnachtsbeleuchtung im Weg. "Da hab' ich gesagt: Nehmt das Beil und hackt sie weg."

Eine "Wasserglocke" umhüllt das Rathaus, aber Kittel hat plötzlich Angst um sein eigenes Gebäude, um das sich in diesem Moment keiner kümmert. Also greift er zu ungewöhnlicher Selbsthilfe. "Ich hab' mir einen Schlauch geschnappt und unser Haus mit Wasser bespritzt."

Die Schaulustigen stehen wie stumme Gespenster am Marktplatz

Kittel erinnert sich an dramatische Stunden zwischen Hoffen und Bangen. Die Luft ist geschwängert von verdampfendem Wasser und die Stimmung unter den vielen Schaulustigen apokalyptisch. Magisch angezogen vom Feuerschein dieser Nacht stehen sie wie stumme Gespenster am Marktplatz und befürchten das Schlimmste. "Jeder dachte, das ist nicht zu retten", so Kittel.

Doch als das Feuer gegen 1 Uhr halbwegs gezähmt ist, leuchtet wieder Hoffnung, vor allem für die holzgetäfelten historischen Sitzungssäle im Obergeschoss des Rathauses. Um sie zu retten, weist Stadtbrandinspektor Stöckinger die Kameraden an, so wenig Wasser wie möglich einzusetzen. Die rund 150 Einsatzkräfte hätten "Gigantisches" geleistet, sagt Gunter Kittel, der in dieser Nacht wie viele "unter Schock" steht und irgendwann entkräftet nach Hause geht. Seine Apotheke, die er noch bis 2014 betreibt, hat nichts abbekommen.

Mancher fühlt sich an die Bilder des Bombenangriffs erinnert

Am nächsten Morgen, als die Trümmer ausgeglüht sind und der Rauch sich verzogen hat, wird das ganze Ausmaß sichtbar. Der Dachstuhl ist zu 90 Prozent zerstört. Mancher fühlt sich "an die Bilder des Bombenangriffs auf Kitzingen erinnert", heißt es in Zeitungsberichten. Auf Schwarzweißfotos sieht man den damaligen Oberbürgermeister Rudolf Schardt unter verkohlten Dachbalken stehen. Fassungslos.

Der Kitzinger Oberbürgermeister Rudolf Schardt (Zweiter von links) steht Anfang 1985 unter den verkohlten Dachbalken des Rathauses.
Foto: Robert Stöckinger | Der Kitzinger Oberbürgermeister Rudolf Schardt (Zweiter von links) steht Anfang 1985 unter den verkohlten Dachbalken des Rathauses.

Nun schlägt die Stunde der Ermittler und Experten. Schnell ist die Rede von einem verirrten Feuerwerkskörper, dessen Glut sich – so die Theorie – durch eine Plexiglaskuppel im Dach des Gebäudes fraß und im darunter liegenden Büro den Brand auslöste. Der Schaden wird auf zwei Millionen Mark geschätzt.

Diese Nacht war auseinandergeflogen wie eine Bombe und hatte im Herzen der Stadt Verwüstung hinterlassen. Aus der Asche ersteht das Kitzinger Rathaus neu. Bis zu 30 Handwerksbetriebe sind am Wiederaufbau beteiligt. Und bald gibt es unter seinem Schieferdach auch diverse Rauchmelder. Allen Silvesterschwärmern hat man mit glühendem Griffel ins Stammbuch geschrieben: kein Feuerwerk mehr in der Altstadt!

 
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