Wer aus östlicher Richtung die Bundesstraße 8 in Kitzingen befährt, dem fallen die Baukräne in der Siedlung nahe der Osttangente ins Auge. Dort startete vergangenes Jahr in der Armin-Knab-Straße ein großes Bauprojekt des Würzburger Blindeninstituts. Dass sich in der Siedlung baulich in den vergangenen Jahren einiges getan hat, dazu hat die Stadt Kitzingen mit einer zweigleisigen Strategie beigetragen.
Die Stadt hat vor einem Jahrzehnt eine Not zur Tugend gemacht: Sie änderte nur wenige Bebauungspläne für die Siedlung zeit- und geldaufwendig, verzichtete besonders in der Altsiedlung ganz darauf und entschied sich bei neuen Baugesuchen für Einzelfallentscheidungen. So konnte sie Verzögerungen in der Genehmigungsphase vermeiden. Der Hintergrund: Da die Stadt kaum Bauland anbieten kann, war diese sogenannte Nachverdichtung eine gute Möglichkeit, um Bauwilligen den Weg zu ebnen. Auch wenn eine solche engere Bebauung nicht immer und überall auf das Wohlwollen der Nachbarn stößt.
Immer mehr Bauanträge im Rathaus eingegangen
Für die Siedlung gelten sieben Bebauungspläne, der älteste für die Altsiedlung, der 1975 in Kraft trat und rund 200 Grundstücke nördlich der B 8 umfasst. Das Gebiet wurde in der Nachkriegszeit als Gebiet für kostengünstigen Wohnraum mit der Möglichkeit zur Selbstversorgung durch große Gärten konzipiert. Doch die Vorstellungen heutiger Generationen entsprechen nicht mehr denen von einst.
Ende 2015 befasste sich der Stadtrat mit der Thematik, weil immer wieder Bauanträge auf Nachverdichtung vorgelegt wurden. Damit beantragten Bauwerber weitere Wohnhäuser auf geteilten Grundstücken oder Anbauten oder Dach-Ausbauten und in der Folge neue Autostellplätze. In diesen Fällen sah der Stadtrat von einer Bebauungsplanänderung ab, so wie auch für den Bereich Klettenberg, Klettenberg Süd und die Königsberger Straße.
Befreiungen und Ausnahmen für jeden Einzelfall
In den Bereichen der Siedlung, in denen die Stadt die Bebauungspläne unangetastet ließ, heißen die Zauberworte Ausnahmegenehmigung und Befreiung von den Festsetzungen der Bebauungspläne. Mit solchen Einzelfallentscheidungen konnten viele Vorhaben der Nachverdichtung ohne die lange Wartezeit einer Bebauungsplanänderung realisiert werden. "Denn auch geänderte Bebauungspläne mit ihren Einschränkungen werden heutigen Ansprüchen nicht mehr gerecht", lautete schon vor Jahren die Überzeugung von Bauamtsleiter Oliver Graumann.
Die Ausnahmegenehmigungen und Befreiungen halfen auch, den Flächenfraß nicht ausufern zu lassen und der Innenentwicklung zu entsprechen, die seit Jahren von der Staatsregierung favorisiert wird. Die städtische Strategie war auch vor dem Hintergrund zielführend, dass es in der Großen Kreisstadt seit Jahrzehnten an Bauland mangelt. In der Altsiedlung habe sich eine "nachbarschaftliche Selbstregulierung" ergeben, so dass der "Gebietscharakter sich zwar veränderte, aber ein zusammenhängend betrachtet harmonisches Gesamtbild ergibt", heißt es aus dem Rathaus.
Der zweite Teil der Strategie, um Bauvorhaben zu ermöglichen, war die Änderung einzelner Bebauungspläne wie für das Großprojekt der Kitzinger Bau GmbH, direkt an der B 8 gelegen in der Breslauer Straße. Dort sind mehrere Wohnblöcke sozialen Wohnungsbaus abgerissen worden und die Neubauten in vollem Gange. Hierfür wurden die Bebauungspläne modifiziert. Und auch auf der anderen Seite der B 8 tut sich einiges. Auf einer Teilfläche des Baywa-Areals gibt es künftig keine gewerbliche Nutzung mehr, sondern dort entsteht ein Wohnheim des Blindeninstituts.
Auch die Stadt profitiert bei eigenen Bauvorhaben
Eine weitere Änderung betraf ein rund 5300 Quadratmeter großes Grundstück der Kitzinger Bau GmbH an der Böhmerwaldstraße. Ziel war es, mit einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auf dem Grundstück Einzel- und Doppelhaushälften entstehen können. Zuvor war die Fläche für Mehrfamilienhäuser vorgesehen, für die es kaum noch Bedarf gab. Stattdessen wurden vermehrt Einfamilien- und Doppelhäuser favorisiert. Dieser veränderten Nachfrage der Bauherren entsprach die Stadt 2016 mit der Änderung des Bebauungsplans Südliche Böhmerwaldstraße.
Insgesamt gelang es der Stadt, ohne überbordenden Aufwand und einem investorenfreundlichen Umgang mit der Bauleitplanung viele Vorhaben in der Siedlung zu ermöglichen. In der Ernst-Reuter-Straße sind längst Teilbereiche bebaut; immer wieder wurden Baulücken geschlossen und Nachverdichtungen ermöglicht, so dass viele Bauprojekte realisiert werden konnten, obwohl sich die Siedlung in ihren Grenzen nicht ausgeweitet hat.
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