Wer sich auf schmalen Landstraßen über die sanft hügeligen Ausläufer des westlichen Steigerwalds tragen lässt und auf halber Strecke zwischen Prühl und Haag in einen Feldweg abzweigt, steht plötzlich mitten im Thema. Nach wenigen hundert Metern öffnet sich die mächtige Kathedrale des Waldes – gerade so, als habe man ihr die Kuppel weggenommen. Gleißend hell fällt das Licht der Mittagssonne auf knackenden Waldboden. Es schaut aus wie auf einem großen Schlachtfeld, auf dem kräftig gehobelt wurde und viele Späne fielen. Auf einem frisch geschlagenen Baumstumpf, leicht erhöht, steht Dieter Rammensee und sagt angesichts der kargen Kulisse: „Es dauert 40 bis 50 Jahre, bis hier alles so ist wie früher.“
Das Waldstück in der Gemarkung Dürrnbuch gehört einem der 570 Mitglieder der Forstbetriebsgemeinschaft Kitzingen (FBG), in der seit 1974 private und kommunale Waldbesitzer zusammengeschlossen sind. Rammensee ist ihr Geschäftsführer und kennt hier draußen jeden Winkel. 2000 Festmeter Fichtenholz, so schätzt der studierte Forstwirt aus Oberfranken, wurden hier in den vergangenen Wochen aufgearbeitet, Schadholz, das sich zumindest noch zum Bauen eignet, weil der Borkenkäfer nur knapp unterhalb der Rinde seine Gänge gegraben hat.
Der Harvester, ein dröhnendes und dampfendes Maschinenwesen, hat hier ganze Arbeit geleistet. Er ist der Alleskönner des Waldes. Ausgerüstet mit Zangenarmen, Sägen, Walzen und Messern schneidet er die Bäume, nimmt sie anschließend in den Griff und zerteilt die Stämme lastwagenkompatibel. Er macht aus dem, was gerade noch Wald war, ruckzuck verkaufsfertige Sortimente, nach denen die Welt aktuell so sehr verlangt. Zehn Tage brauchte der Holzvollernter für die Aufarbeitung der Fläche. Überall am Wegesrand liegen jetzt die mächtigen Baumstämme, bereit zum Abtransport ins Sägewerk.
Während man anderswo vor lauter Wald die Bäume nicht sieht, ist hier nicht mehr viel übrig vom Wald. Nur einzelne Bäume haben den jüngsten Beinahe-Kahlschlag überlebt, Kiefern, die wie Streichhölzer in gebührendem Abstand zueinander stehen, als gälten auch für sie die Corona-Schutzregeln. Nadelbäume wie Fichten und Kiefern wachsen nicht zum Licht, sondern kerzengerade gegen die Erdanziehungskraft, schnell und passgenau ins Sägewerk hinein.
Fichten und Kiefern sind die Mastschweine des Waldes
Auf knapp der Hälfte der deutschen Waldfläche stehen Fichten und Kiefern, viele in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gepflanzt; im Landkreis Kitzingen sind es etwa 40 Prozent, vor allem um Abtswind, Geiselwind, Volkach und Großlangheim herum, nur zehn Prozent dagegen im Iphöfer Stadtwald, dem mit 2300 Hektar größten Einzelrevier innerhalb der FBG. Fichten und Kiefern sind die Mastschweine unter den Bäumen, aber auch so etwas wie eine Illusion. Denn in heißen Sommern werden sie von Käfern zerfressen – und zieht ein Sturm über sie hinweg, kippen sie um.
Nach drei trockenen Sommern und einer Borkenkäferplage standen in deutschen Wäldern massenhaft tote Fichten herum. 30 000 Festmeter Schadholz hat allein die FBG Kitzingen im vergangenen Jahr vermarktet, drei Viertel des gesamten Holzeinschlags. Bis vor wenigen Monaten war die Fichte ein Problembaum, verramscht zu Dumpingpreisen. „Letzten Sommer lag der Preis sogar mal bei unter 20 Euro pro Festmeter“, sagt Geschäftsführer Rammensee. Damit konnten die Waldbauern nicht einmal ihre Kosten für die Aufarbeitung und den Abtransport der Stämme decken.
Dann passierte etwas, was Rammensee und viele andere Experten bis heute nicht recht erklären können. Im Spätsommer 2020 zog die Nachfrage in den Sägewerken immer stärker an. Ab Februar 2021 explodierten schließlich die Preise für Schnittholz. Für einen Festmeter ungesägtes Fichtenholz bekommt ein Waldbauer seither zwischen 60 und 80 Euro. Ein Preissprung von 300 bis 400 Prozent. Und doch ist das nichts im Vergleich zu dem, was derzeit in den großen Sägewerken des Landes erlöst wird. Beim Sägen fällt zwar etwas Verschnitt an, aber danach ist ein Festmeter 500 Euro wert. „Es gibt Sägewerke“, sagt Rammensee, „die stellen das Telefon ab, weil sie ausverkauft sind.“
Abgestellt hat Stefan Reinlein sein Telefon nicht. Und doch ist es nicht leicht in diesen Tagen, den Chef des Holzwerks Geiselwind an die Strippe zu bekommen. Stefan Reinlein führt den 1932 gegründeten Betrieb in fünfter Generation, eine derart rasante Entwicklung wie in den letzten Monaten gab es in der langen Firmengeschichte noch nie. „Der Markt ist in so kurzer Zeit überhitzt, wie wir es nicht für möglich gehalten hätten“, sagt Reinlein. Jahrelang wussten er und viele seiner mittelständischen Kollegen gar nicht, wohin mit all dem Käferschadholz. In Deutschland war es kaum zu verkaufen. „Der deutsche Michel will einwandfreies Holz“, sagt Reinlein.
Dankbare Abnehmer fanden deutsche Sägewerke in den USA und Südostasien. „Dass es jetzt Geschrei gibt, diese Länder würden uns das Holz wegkaufen, ist extrem scheinheilig“, findet der Geiselwinder. Weil er langfristige Lieferbeziehungen eingegangen ist und weniger Nadelholz verarbeitet als andere, kommt er selbst ganz gut durch diese Zeit, die vielerorts als echte Krise empfunden wird.
In vielen Bereichen des Bauens ist derzeit ein Mangel an Rohstoffen zu beobachten. Es fehlen Zement, Stahl oder Dämmstoffe, selbst Schrauben werden im Großhandel knapp. Aber nirgends ist die Lage dramatischer als auf dem Holzmarkt. Auf Baustellen wird bereits nach Alternativen zu Brettern und Balken gesucht, weil sich die Preise verdoppelt haben und Lieferfristen sich nicht mehr nach Wochen, sondern nach Monaten bemessen. Mit wem man auch spricht in der Branche – alle sehen die Gründe der Preisrallye in internationalen Verwicklungen: der weltweit hohen Nachfrage, den Spätfolgen der Finanzkrise, politischen Kabbeleien.
Die USA importieren massenhaft Holz aus Deutschland
Die USA kaufen vermehrt Holz in Deutschland, weil sie die starke Nachfrage selbst nicht mehr bedienen können. Nach dem Finanzcrash 2008 und dem Ende des Baubooms brachen die Umsätze auf dem heimischen Holzmarkt ein, viele Sägewerke mussten schließen. Auf Importen aus Kanada liegen immer noch Zölle aus Trump-Zeiten. Im Übrigen wurden auch im Nachbarland der USA Kapazitäten in Sägewerken abgebaut, die jetzt fehlen. Dieses Holz importieren die USA nun bei ihrem zweitwichtigsten Lieferanten Deutschland.
Verschärft hat den Verteilungskampf ein weiterer Konkurrent auf dem Weltmarkt: China. Dort ist der Bedarf inzwischen so groß, dass die Volksrepublik 2020 bereits dreimal so viel Nadelrundholz, also ungesägte Baumstämme, aus Deutschland importierte wie im Jahr vorher. Das hat auch damit zu tun, dass China neue Märkte erschließen muss, weil es aus den waldreichen Regionen Russlands demnächst kein Holz mehr bekommen wird. Präsident Wladimir Putin will die heimische Holzindustrie stärken und hat deshalb verfügt, dass ab 2022 kein Rundholz mehr das Land verlassen darf. Stefan Reinlein, der Sägewerksbesitzer aus Geiselwind, wünscht sich auch hierzulande einen Exportstopp. „Damit könnte ein Teil der Wertschöpfung im Land bleiben“, sagt er. Aus der deutschen Politik kommen ähnliche Forderungen.
Hiesigen Hitzewellen sind viele Bäume nicht gewachsen
Setzt sich der Bauboom fort, könnte dies den Wandel in hiesigen Wäldern beschleunigen. „Die Fichte“, sagt Rammensee, „hält bei unseren klimatischen Bedingungen nicht durch.“ Während sich die Erde seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 um 0,9 Grad aufheizte, waren es in Unterfranken im selben Zeitraum zwei Grad. Zu der langfristigen Erwärmung kommen akute Hitzewellen, denen viele Bäume nicht gewachsen sind. „40 Grad und mehr halten die gar nicht aus“, sagt Rammensee.
So verabschiedet sich eine Baumart nach der anderen aus den Zukunftsszenarien der Forstexperten: Ahorn, Esche, Kastanie, Ulme, Birke, sie alle kämpfen als Folge des Klimawandels mit Pilzen und Schadinsekten, die meist aus wärmeren Regionen nach Europa übergesprungen sind. Seit einiger Zeit weiß man, dass auch Buchen, lange Zeit die Hoffnungsträger der Förster, unter der Hitze Stress entwickeln.
Was bleibt da noch an Alternativen? Rammensee nennt die Elsbeere, die Linde – und natürlich die Eiche als den deutschen Zukunftsbaum. Aber ganz sicher sein kann man sich nicht. Das macht es vielerorts schwer, den dringend nötigen Waldumbau einzuleiten. Schon experimentieren einige Förster mit Douglasie oder Libanon-Zeder, invasiven Arten, von denen niemand sagen kann, welche langfristigen Wirkungen sie auf das hiesige Ökosystem haben.
Aus den Versuchen spricht mancherorts die pure Verzweiflung. Nur noch ein Fünftel der Baumkronen in deutschen Wäldern ist gesund, so steht es im aktuellen Waldzustandsbericht des Thünen-Instituts in Hamburg, einer staatlichen Forschungsstelle für ländliche Räume. Fichten und Kiefern werfen Nadeln ab, Eichen oder Buchen ihre Äste. 37 Prozent der kranken Bäume fallen unter die höchste Schadenkategorie, weitere 42 Prozent unter die Warnstufe. Seit dem ersten Waldsterben 1984 werden die Schäden jährlich erfasst: So schlecht wie heute ging es dem Wald noch nie.
Dieter Rammensee hat dennoch Hoffnung. Dass dort, wo er gerade steht, in großem Stil Fichten gefallen sind, sehe auf den ersten Blick schlimm aus. Aber nun sind da wieder Luft und Licht, dass sich die nächsten Bäume entwickeln können.