Den Förster Rainer Fell kann so schnell nichts erschüttern. Stürme und Orkane hat er miterlebt, Sauren Regen und Käferplagen. Wäre Fell ein Baum, man müsste ihn sich wohl als standhafte Eiche vorstellen. Ganze Feldzüge hat er im Iphöfer Stadtwald gegen Borkenkäfer oder Schwammspinner geführt. Nach schweren Stürmen sah man ihn den Wald aufräumen und entrümpeln, und der Saure Regen der 1980er Jahre war kein Thema mehr, als dreckige Kohlekraftwerke mit Entschwefelungsanlagen nachgerüstet wurden. Doch das, was sich derzeit in deutschen Wäldern abspielt, ist ohne Beispiel. „Dramatisch“ nennt Fell die Lage, und an seinen Worten lässt sich ermessen, dass es diesmal wirklich ernst ist und selbst er, der mit allen Wassern gewaschene Naturbursche, an die Grenzen seiner Macht kommt.
Viele Bäume sehen aus, als wären sie kahlgefressen
Als Iphofens Stadtförster ist Fell Herr über ein Riesenreich: 2400 Hektar Natur – da besteht schnell mal die Gefahr, vor lauter Wald die Bäume nicht zu sehen. Fell aber, der nach mehr als 30 Dienstjahren jeden Quadratzentimeter im Wald zu kennen scheint, braucht nicht die Lupe, um die Probleme zu erkennen. Es genügt ein Blick hinauf zum Schwanberg, auf kahle Bäume, die aussehen, als wären Heerscharen gefräßiger Insekten über sie hinweggefegt. Dass Kiefern und Fichten nach einer Serie viel zu heißer und zu trockener Sommer in Massen sterben, ist für Fell zwar bedauerlich, aber längst nicht mehr neu. Weitaus beunruhigender findet er, dass es inzwischen selbst stattliche Buchen in großem Stil erwischt, Bäume, von denen man bisher annahm, sie kämen besser mit der Trockenheit zurecht.
Bis vor Kurzem galt die Buche bei Experten noch als robuster Zukunftsbaum in dem vom Klimawandel beförderten Waldumbau. Mittlerweile setzt Fell lieber auf Linde, Feldahorn oder Elsbeere – und auf die Eiche. Auch die Eiche galt vor Jahren schon als Auslaufmodell. Schädlinge wie Schwamm- oder Prozessionsspinner hatten ihr dermaßen zugesetzt, dass man die Entwicklung in Iphofen mit Sorge betrachtete. Mehr als 60 Prozent der Bäume im Stadtwald sind Eichen, fünf Prozent Buchen und sieben Prozent Nadelhölzer, der Rest verteilt sich auf knapp 20 weitere Baumarten. Geld zu verdienen ist in diesen Tagen nur mit Eichen und Buchen sowie edlen Laubhölzern wie Esche oder Ahorn.
Der Preisverfall bei Nadelhölzern ist ruinös
Bei Kiefern oder Fichten ist der Preisverfall derart ruinös, dass sich oft nicht einmal die Aufarbeitung lohnt, wie Fell vorrechnet. „Vor drei, vier Jahren ließen sich damit noch Erlöse von 85 Euro pro Kubikmeter erzielen. Heute liegen wir bei 22 oder 23 Euro. Aber um das Holz aus dem Wald zu schaffen, brauche ich 25 Euro.“ Die Folge: Vor allem private Waldbesitzer sind in hohem Maß frustriert und lassen ihre Bäume im Wald liegen. Nur jeder fünfte Baum hierzulande gilt laut der jüngsten Waldzustandserhebung der Bundesregierung als gesund. Dabei sind vitale Bestände im Kampf gegen den Klimawandel von zentraler Bedeutung. Jedes Jahr binden sie etwa 52 Millionen Tonnen Kohlendioxid.
Besser geht es einigen Tieren des Waldes. Nach Schätzung der Deutschen Wildtierstiftung leben hierzulande etwa 2,5 Millionen Rehe und 220 000 Rothirsche. Ihre Zahl genau zu erfassen ist schwierig. „Wir können sie nur an der Situation der Naturverjüngung festmachen“, sagt Fell. Gemessen daran sei die Zahl definitiv zu hoch. Nicht nur Fell hat in Iphofen das Problem, dass die saftigen Triebe junger Bäume vom Wild verbissen werden. Die Buchen kriege man noch hoch, ohne Bestände großflächig und teuer einzuzäunen. An Fichten zieht das Wild eher desinteressiert vorbei. Bei Eiche oder Hainbuche sehe das anders aus. „Das Reh grast nicht wie eine Kuh, es frisst selektiv, was ihm am Besten schmeckt“, erklärt Fell. Wenn sich damit wieder einmal die Gretchenfrage stellt – nämlich: wie viel Wild verträgt der Wald? –, ist für den Förster die Antwort klar: nicht so viel, wie manche Jäger in ihrem Revier das gerne hätten.
Die Stadt Iphofen geht jetzt quasi selbst auf die Jagd
Fell ist selbst Jäger, und er weiß: „Jagd ist Arbeit.“ Die Masse der Jäger aber sehe die Jagd als Hobby und komme ihrem Auftrag nicht nach. Dabei zeige sich deutlich, dass dort, wo Rehbestände klein gehalten werden, die Eichen gute Chancen hätten. Die Stadt Iphofen geht deshalb seit 15 Jahren mehr und mehr dazu über, Reviere nicht mehr zu verpachten, sondern selbst sogenannte Regiejagden zu organisieren. Jäger bekommen dabei Flächen zugeteilt und klare Vorgaben mit auf den Weg. So lassen sich Abschusszahlen leichter kontrollieren und bei Bedarf nachregulieren. Fragt man Fell, ob die Zukunft des Waldes in erster Linie darin bestehe, dass intensiver gejagt wird, sagt er: „Im Prinzip, ja.“
Für Klaus Damme ist der Wald auch mit weniger Blutvergießen zu retten. Der Kitzinger ist seit 15 Jahren Kreisvorsitzender des Bayerischen Jagdverbandes und vertritt damit die Interessen einer gerne an den Pranger gestellten Schnelleinsatztruppe. Dabei ist Damme keiner dieser Ideologen, wie man sie aus hitzigen Debatten zwischen beiden Lagern kennt. Er sieht die Positionen von Waldbesitzern und Jägern „nicht so weit auseinander“ und verweist darauf, dass er und seine Kollegen in der Regel 90 bis 95 Prozent der Abschusszahlen erfüllten. In der Jagdsaison 2019/20 waren das seinen Angaben zufolge mehr als 3000 Rehe. Eine ordentliche Zahl, wie Damme findet, dafür, dass die Fläche, die die Jäger im Landkreis bewirtschaften, nur zu einem Fünftel aus Wald besteht und zu etwa 70 Prozent aus Feldern und Wiesen.
Da ist etwas, was den Jäger wirklich ärgert
Was Damme „wirklich ärgert“, ist der von Waldbesitzern vermittelte Eindruck, dass durch den verstärkten Abschuss von Rehwild alle Probleme des Waldes gelöst würden. Gerade in kleinen Waldgebieten, von denen es im Landkreis etliche gebe, sei das kaum zu schaffen. „Sonst müsste ich dort alles totschießen.“ Der BJV-Kreischef hat deshalb im Januar 2019 eine Petition unter dem Titel „Strategiewechsel im Waldumbau“ auf den Weg gebracht, adressiert an den Agrarausschuss des Bayerischen Landtags. Darin fordert er, dem gestressten Wild alternative Nahrungsquellen und mehr Rückzugsräume anzubieten, die Waldpflege zu intensivieren und junge Baumbestände wirksam zu schützen, etwa durch Zäune. Waldbesitzer sollten vom Staat Zuschüsse erhalten, um damit bis zu einen Hektar Verjüngungsfläche einzuzäunen.
Damme hat Verständnis für die Sorgen der Waldbesitzer. Schließlich wollten und müssten die mit dem Wald Geld verdienen. Bleibt es so trocken wie die vergangenen Jahre, wird das auf Dauer immer schwieriger. Förster Fell sagt: „An manchen Standorten ist es fraglich, ob die Vegetationsform Wald zu halten ist. Dort werden wir uns möglicherweise aus der Forstwirtschaft zurückziehen müssen.“ Vor allem Fichten und Kiefern könnten in hiesigen Breiten bald verschwunden sein.
Zumindest mit dieser Überschrift liegt der Artikel nicht falsch...
Leider lässt das Kommentarfeld hier nur wenige Zeichen zu - wer meinen vollständigen Kommentar lesen möchte, kann das auf facebook tun: https://www.facebook.com/michael.hein.6555/