Es war nur eine „Frage der Zeit“, wie Landrätin Tamara Bischof im Frühjahr 2020 richtig bemerkte. Und die Antwort kam umgehend. „Am späten Dienstagabend ist das Coronavirus auch im Landkreis Kitzingen angekommen“, hieß es in einer ersten Online-Meldung dieser Redaktion. Es war der 10. März 2020. Die Pandemie hatte den Landkreis erreicht – 43 Tage, nachdem das Münchner Tropeninstitut den ersten Fall in Deutschland bestätigt hatte, fünf Tage, nachdem in Würzburg der erste Fall in Unterfranken bekannt geworden war. Keine zwei Wochen später waren die Städte dicht: Lockdown.
Wer die Entwicklung vom März 2020 noch einmal auf dem Zeitstrahl nachverfolgt, wird feststellen, wie rasch alles ging. Das Virus mit der Chiffre Covid-19 tut damals auch im Landkreis Kitzingen mit seinen 91 000 Bewohnerinnen und Bewohnern, was in seinem Wesen liegt: Es geht viral – und regelt das öffentliche Leben wie mit einem Dimmer herunter, bis alle nur noch mit der Notbeleuchtung dastehen. „Eine Stadt kommt zum Stillstand“, titelt diese Redaktion am 26. März. In Kitzingen scheint die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel, aber nicht nur über dem Marktplatz liegt zur Mittagszeit eine gespenstische Stille, in der man die dürren Blätter am Boden rascheln hört. Fast alle Läden sind dicht.
Lange wiegt man sich in Sicherheit. Als Ende Januar 2020 hierzulande der erste Fall auftritt, gehen Politik und Behörden noch davon aus, dass sie die Ausbreitung des Virus kontrollieren können. Mehr als einen Monat geht das Leben in Bayern und im Landkreis noch seinen geregelten Gang. Am Rosenmontag treffen sich in der Florian-Geyer-Halle in Kitzingen mehrere hundert aufgekratzte Narren zu einer „einer der großartigsten Veranstaltungen, die die KiKaG in ihrer Geschichte auf die Beine gestellt hat“, wie Sitzungspräsident Michael Schlander weit nach Mitternacht krächzt. Seine Stimme ist lädiert – nicht wegen Corona, sondern weil er fünf Stunden lang wortgewaltig durch den Abend geführt hat.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der zu dieser Zeit nicht wissen kann, dass er viele Monate später in der Impfkampagne noch eine unrühmliche Rolle spielen wird, hält die Laudatio auf Schlappmaulordensträger Markus Söder. Corona ist kein Thema. Kurz hat Söder überlegt, ob er seine Teilnahme absagen soll – aber nicht wegen des Virus, sondern wegen des nur wenige Tage zurückliegenden rassistisch motivierten Anschlags von Hanau mit neun Toten.
Die Narren in Volkach schunkeln, drücken und umarmen sich
Auch beim Landkreis-Faschingszug einen Tag später hält – wenn überhaupt – der einsetzende Regen die Menschen von einem Besuch ab und weniger die Sorge vor dem „neuartigen Coronavirus“, wie man damals noch distanziert schrieb. Die Narren schunkeln, drücken und umarmen sich. Vereinzelt sieht man Leute mit blauen OP-Masken am Straßenrand stehen: seriöser Schutz vor dem Virus oder doch nur Maskerade? In diesen Tagen ist das tatsächlich noch die Frage.
In Würzburg werden Anfang März die ersten fünf Schulen und eine Kita geschlossen – eine Vorsichtsmaßnahme. Längst hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einräumen müssen, dass die Pandemie auch in Deutschland außer Kontrolle sei und Infektionsketten nicht mehr nachvollzogen werden könnten. Im Landkreis Kitzingen aber geht die Party vorerst weiter: Am Wochenende des 7./8. März kommen Tausende zur Fränkischen Feinschmeckermesse nach Iphofen und zum Saatgut-Festival nach Volkach. Tausende ohne Abstand und ohne Masken, und das in zwei engen Hallen. Hygienekonzepte gibt es damals noch nicht. In der Zeitung heißt es später: „Feinschmecker zeigen sich vom Coronavirus unbeeindruckt.“ Zwei Tage später dann die Meldung der ersten Infektion im Landkreis Kitzingen.
Der erste Corona-Patient landet in einer Würzburger Klinik
Im Landratsamt gibt es mittlerweile einen Krisenstab und ein Bürgertelefon, etliche Schülerinnen und Schüler sind in Quarantäne, weil sie über Fasching in „Risikogebieten“ waren: Gemeint sind nicht etwa Katastrophen- oder Kriegsschauplätze, sondern Skiregionen in Österreich oder Italien. Aus der Klinik Kitzinger Land heißt es: „Wir halten zwei Zimmer vor, um stationäre Fälle aufzunehmen.“ Der erste Corona-Fall aus dem Landkreis landet aber nicht im Kitzinger Krankenhaus, sondern in einer Würzburger Klinik: ein Rentner aus Dettelbach, infiziert vermutlich über einen nahen Verwandten, der in Südtirol in Urlaub war. Der Mann, so heißt es, zeige milde Symptome. Mehr erfährt man nicht.
Man weiß jetzt offiziell: Das Virus ist im Landkreis. Am Wochenende darauf werden in Bayern Bürgermeister und Gemeinderäte neu gewählt, viele Menschen haben Briefwahl beantragt, um sich den Gang ins Wahllokal zu sparen. Die meisten Parteien sagen ihre geplanten Wahlpartys ab. Es dauert nicht lange, bis der erste „Corona-Tote“ aus dem Landkreis gemeldet wird: Ein 90-jähriger Mann mit mehreren Vorerkrankungen stirbt Mitte April mit positivem Covid-19-Befund. 118 Tote sind es bis zum heutigen Tag, mehr als 18 000 haben sich infiziert, jeder Fünfte im Landkreis. Das Virus grassiert weiter, ist weniger tödlich. Doch ein Ende der Pandemie ist auch nach zwei Jahren nicht in Sicht.