Um gefährliche Situationen zwischen Radfahrern und motorisierten Verkehrsteilnehmern zu beobachten, muss Stefan Scherrer nicht einmal sein Büro verlassen. Quasi direkt vom Schreibtisch in seinem Büro in der Haßfurter Polizeiinspektion blickt der Verkehrssachbearbeiter auf einen der kritischen Punkte – den Bereich zwischen Heideloffplatz, „Schwarzer Brücke“ und EZO-Kreisel. „Die Leute fahren kreuz und quer“, sagt Scherrer über die Radfahrer. Gleichzeitig übt er heftige Kritik an den motorisierten Verkehrsteilnehmern. „Es ist prinzipiell ein hohes Potenzial an mangelnder Rücksichtnahme zu beobachten“. Das sei, betont der Polizeihauptkommissar, „auf beiden Seiten gleich“.
Und viel dagegen tun kann die Polizei nicht, bedauert er in einem Gespräch mit dieser Redaktion. Er und seine Kollegen würden sich gerne häufiger einfach mal vor der eigenen Haustür auf die Straße stellen und Aufklärungsarbeit leisten. Dabei gehe es nicht einmal darum, die Menschen wegen ihres Fehlverhaltens kostenpflichtig zu verwarnen, wenn sie beispielsweise widerrechtlich auf zwei Rädern über die Querungshilfe über den Kreisel fahren, auf den Fußgängerwegen fahren, die falsche Seite benutzen oder beim Wechsel vom Radweg auf die Straße ohne auf den fließenden Verkehr zu achten einfahren. Nur: Wann und wie?
Radfahrer ignorieren die Straßenverkehrsordnung
„Uns fehlt einfach die Zeit“, bedauert er. „Da haben wir drei Unfälle, fünf Diebstähle und zwei Einsätze wegen häuslicher Gewalt“, beschreibt er das mehr oder weniger alltägliche „Pflichtprogramm“. Die Kür, freundliche Aufklärung nach dem Motto „Wussten Sie eigentlich...“, muss hinten anstehen, wenngleich es sich die Haßfurter Inspektion gegenüber dem Präsidium in Würzburg klar als Ziel definiert hat, in dem Bereich mehr zu tun. Auf der anderen Seite beobachten er und seine Kollegen im Streifendienst viele bewusste Verstöße. „Radfahrer halten sich sehr wenig an die Vorschriften, was Rotlicht und Stop-Schilder angeht“.
In der Kreisstadt, dem Verkehrsknotenpunkt des Haßbergkreises, treffen Radler und motorisierte Verkehrsteilnehmer geballter aufeinander als das in den Dörfern auf dem noch flacheren Land ist. Und gerade in Haßfurt ist „Radfahren ein bisschen tricky“, sagt Scherrer. „Das würde man heute nicht mehr so planen“. Er denkt da beispielsweise an die obere Hauptstraße, in der die Radler in der Einbahn-Fahrtrichtung rechts auf der Straße fahren müssen, auf dem Radfahr-Angebotsweg links aber gegen die Einbahnstraße fahren dürfen. Dass er überhaupt erlaubt ist, am Oberen Turm vorbei in Richtung Marktplatz zu fahren, ist aus Sicht der Polizei ein „Kompromiss“. Idealerweise würden die Pedalritter beispielsweise über die Promenade durch die Innenstadt geleitet, „aber das funktioniert halt nicht“, weiß auch der Beamte. Der direkte Weg werde einfach immer bevorzugt.
Rücksichtslose Autofahrer in der Oberen Vorstadt
Und auf dem warten speziell in der Haßfurter Hauptstraße Konflikte mit Blechkutschen. Das beginne bereits zwischen der Ritterkapelle und dem Oberen Turm. Autofahrer müssen bei der Post in der Oberen Vorstadt nach rechts Richtung Bahnhof abbiegen. Und das tun sie teilweise „sehr rücksichtslos“, sagt Scherrer. Ob sich da neben dem Fahrzeug noch ein Zweirad befindet, darauf werde ganz selten geschaut. Weiter geht es in der Hauptstraße damit, dass der Radfahr-Angebotsweg zugeparkt wird, „obwohl das verboten ist“, betont der Polizist. Befahren dürften Autos einen solche Fläche, die es auch in der Dr-Ambundi-Straße oder in der Zeiler Hauptstraße gibt, durchaus – aber eben nicht stehenbleiben.
Nicht nur die (stärkeren) Autofahrer nehmen sich gegenüber (schwächeren) Radfahrern Rechte heraus, das würden aber auch die Biker gegenüber den (noch schwächeren) Fußgängern tun. Die Drahtesel würden kreuz und quer auf dem Gehweg stehen, was ältere oder gehbehinderte Menschen behindere. Oder, wer in einem der Außenbereiche der Gastronomie in der Hauptstraße oder auf dem Marktplatz seinen Kaffee genießen möchte, werde nicht selten von einem durchflitzenden Radfahrer aufgeschreckt.
Die Zahl der Unfälle steigt deutlich
Zumeist gehen die kritischen Situationen im Herzen der Kreisstadt zwar glimpflich aus, aber insgesamt verzeichnet die Polizei im Landkreis Haßberge eine „stark steigende Tendenz“ bei den Unfällen mit Zweirädern. Waren es vor fünf Jahren zwischen Maintal, Haßgau und Steigerwald noch 49, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 69, ist der entsprechenden Statistik zu entnehmen.
Für 2020 rechnet Stefan Scherrer mit weiter steigenden Zahlen. Das habe auch, aber nicht nur mit der Corona-Pandemie, in deren Zeiten Radeln eine ungeahnte Popularität erfuhr, zu tun. Denn mit in die Statistik fallen auch E-Bikes, Pedelecs und Speed-Pedelecs. Erst in dieser Woche verunglückte eine 69-Jährige im Eltmanner Stadtgebiet beim Versuch, eine Straße zu überqueren, mit ihrem E-Bike schwer.
Speziell an diese Zielgruppe, die Senioren, richtet Scherrer einen eindringlichen Appell. Gerade sie machen den Großteil der Helmverweigerer aus, hat er beobachtet. Immer noch seien geschätzt zwei Drittel der Radler ohne den Kopfschutz unterwegs, dabei würde der im Falle eines Sturzes tatsächlich das Schlimmste verhindern. „Meistens fällt man auf die Seite, bekommt Beine und Arme nicht mehr vom Lenker oder den Pedalen weg. Womit bremst man dann auf dem Boden? Mit dem Kopf!“, sagt der Verkehrsexperte. „Ein Helm ist natürlich nicht der letzte modische Schrei“, sagt er, um aber gleich entgegenzusetzen: „Die eigene Sicherheit sollte einem schon die 80 bis 90 Euro für einen guten Helm wert sein“. Billigprodukte würden ihren Zweck zwar auch einigermaßen erfüllen, um aber etwas Komfort zu genießen, hält er eine etwas größere Investition für durchaus sinnvoll.
Die Jüngsten sind in der Regel sehr gut vorbereitet
Die jüngeren Radler übrigens sind laut Scherrer in der Regel recht gut auf den öffentlichen Verkehr vorbereitet, sei es durch Elternhaus, Kindergarten oder Schule sowie nicht zuletzt die Arbeit der Polizei in der Knetzgauer Jugendverkehrsschule. „Die Kollegen dort leisten eine super Arbeit“, lobt Scherrer. Dieser gesunde Mix sei Garant dafür, dass „wir im Landkreis Haßberge ganz selten Radunfälle mit Kindern haben“.
Damit er das irgendwann für alle Generationen sagen kann, hofft Scherrer darauf, dass sich Autofahrer und Radfahrer mit deutlich mehr Anstand und Rücksichtnahme begegnen. Nur durch ein Miteinander sei ein reibungsloser und sicherer Straßenverkehr zu gewährleisten.