Von der Stadt Haßfurt und ihrem Stadtwerk lernen heißt: Energiewende lernen. Das bedeutet auch, sich nicht auf Vorzeigeprojekten wie der Power-to-Gas-Anlage auszuruhen. Sondern die Versorgung stetig in Richtung regenerative Energien fortzuentwickeln. Wie das Nahwärmenetz, das 140 Wohnhäuser in den Neubaugebieten "Osterfeld II" und "Westlich der Sailershäuser Straße" (im Folgenden kurz "Osterfeld II" genannt) mit Wärme versorgt.
Dieses Wärmenetz ist seit 2016 in Betrieb. Noch immer gilt es als bayernweites Vorzeigeprojekt. Erst vergangene Woche konnten sich Vertreterinnen und Vertretern von Kommunen, Stadtwerken, Energieversorgern oder Planungsbüros ein Bild davon machen, wie im Westen der Kreisstadt geheizt wird.
Eingeladen in die Kreisstadt hatte "Bayern innovativ", eine Initiative mit führenden Köpfen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die im Freistaat Innovationen anstoßen und für ihre Finanzierung sorgen will. Was die Teilnehmenden von Norbert Zösch, dem Leiter des Stadtwerks Haßfurt, erfuhren: Auch im Osterfeld II bleibt es nicht beim Status quo. Das Wärmenetz soll noch "grüner" werden. Auch, weil der Sektor Wärme eine völlig unterschätzte Rolle bei der Energiewende und im Kampf gegen den Klimawandel spiele. Stichwort: "Schlafender Riese".
Warum ist der Wärmesektor "ein schlafender Riese"?
Das verdeutlichte Raphael Lechner, Professor für Digitale Energiesysteme und Sektorkopplung an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, vorvergangenen Donnerstag in Haßfurt: Während Strom in Deutschland mittlerweile zu rund 41 Prozent aus regenerativen Energien stamme, seien es bei der Wärme nur 16,5 Prozent (Verkehr: 6,8 Prozent), sagte Lechner. "Schlafender Riese" bedeutet also: Beim Heizen und der Warmwasserbereitung setzen die Deutschen noch viel zu viel klimaschädliches Kohlendioxid frei. Hier gibt es enorme Einsparpotenziale – wie das Wärmenetz im Osterfeld in Haßfurt zeigt.
Und wie ist dieses Wärmenetz aufgebaut?
Das Wärmeversorgung besteht aus der Heizzentrale am Geschwister-Scholl-Ring gleich neben der städtischen Kinderkrippe sowie einem 4,6 Kilometer langen Leitungsnetz durch die Siedlungsteile "Osterfeld II" und "Westlich der Sailershäuser Straße" und zurück zur Zentrale. Jedes angeschlossene Gebäude verfügt über eine Übergabestation mit Wärmepumpe und 150-Liter-Warmwasserspeichertank.
Welche Energiequellen werden erschlossen?
Auf dem Dach der Heizzentrale fangen Kollektoren auf 100 Quadratmetern Fläche Sonnenstrahlung auf und wandeln sie in thermische Energie um. Im Inneren der Zentrale sorgen ein Blockheizkraftwerk und zwei Brennkessel, alle drei mit Erd- oder Biogas gespeist, je nach Bedarf für zusätzliche Warmwasserbereitstellung. Ein Schichtspeicher mit dem Namen Oskar stellt mit seinem Fassungsvermögen von 30.000 Litern sicher, dass immer genügend warmes Wasser für die gut 600 Menschen im Versorgungsgebiet vorhanden ist.
Und was ist nun das Besondere an dem Wärmenetz im Osterfeld?
"Als wir mit den Planungen angefangen haben, da haben viele gesagt: Wozu denn so was, das braucht es doch nicht", blickt Stadtwerkchef Norbert Zösch zurück. Gemeint damit: Die Solarthermie. Erdgas sei damals günstig gewesen, niemand habe damit gerechnet, dass es knapp werden könnte. Wozu also in Solarthermie investieren?
Doch spätestens jetzt sind die Kollektoren auf dem Dach der Heizzentrale ein Segen für die Bewohnerinnen und Bewohner des Osterfelds. Denn: Von März bis September reicht die Sonnenenergie völlig aus, um sie alle mit warmem Wasser zu versorgen. Fossile Brennstoffe muss das Stadtwerk in den Sommermonaten also nicht verfeuern. In der kalten Jahreszeit hingegen läuft das Blockheizkraftwerk. Fallen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, werden auch die Gasbrennkessel zugeschaltet.
Wie hoch kann man sich den Anteil der Sonnenenergie vorstellen?
Im Durchschnitt verbraucht jedes Osterfeld-Haus 1000 Kilowattstunden Wärme im Jahr, ist vom Stadtwerk zu erfahren. Bei 140 Anschlüssen komme so eine Jahressumme von 140 Megawatt zusammen. Laut Versorger stammen zwischen 38 und 42 Megawatt aus der Sonnenenergie – etwas weniger als ein Drittel also. Für Norbert Zösch ist das immer noch viel zu wenig "regenerativ".
Wie also möchte das Stadtwerk das Osterfeld-Wärmenetz weiterentwickeln?
Was die Zuschaltung des Blockheizkraftwerkes (BHKW) und der beiden Brennkessel anbelangt, so will sich Stadtwerkchef Zösch unabhängiger von Erdgas machen. Rein rechnerisch (also bilanziell) nutzt die Heizzentrale schon heute Gas aus der Haßfurter Biogasanlage. Doch die Stadt spielt mit dem Gedanken, eine reale Leitung zu bauen von der Biogasanlage an der Osttangente bis zum Geschwister-Scholl-Ring. 300.000 Euro würde die rund einen Kilometer lange Leitung etwa kosten – eine Investition, die sich vor allem dann lohnen wird, wenn der Preis für Erdgas auf hohem Niveau bleibt.
Was bedeutet Power-to-Heat und was hat das mit dem Osterfeld zu tun?
Eine Sache ist schon beschlossen: Power-to-Heat zieht zum nächsten Winter hin in die Heizzentrale am Osterfeld ein: Norbert Zösch will hier künftig ganz auf die Gasbrennkessel verzichten. Er setzt stattdessen auf Strom aus dem Sailershäuser Windpark.
Hinter dem englischen Begriff "Power-to-Heat" (PtH oder P2H) verbirgt sich die Umwandlung elektrischer Energie in Wärme. In einem Elektrodenkessel wird Wasser mit erhöhter Leitfähigkeit, das somit als ohmscher Widerstand genutzt werden kann, einer Wechselspannung ausgesetzt. Das Wasser erhitzt sich dabei durch direkten Kontakt mit den Elektroden, und kann ins Wärmenetz eingespeist werden.
Dank des grünen Stroms aus der Windenergie wird Power-to-Heat in der Heizzentrale klimaneutral sein. Und die Investition in den Elektrodenkessel wäre mit unter 100.000 Euro vergleichsweise günstig.
Da der Windstrom in der Haßfurter Power-to-Gas-Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff eingesetzt wird, ist folgender weiterer Schritt denkbar: Dass das Blockheizkraft in der Heizzentrale irgendwann nur mit grünem Wasserstoff arbeitet. Alles in allem läuft es darauf hinaus, die fossilen Brennstoffe überflüssig zu machen.
Was könnte in Zukunft sonst noch geschehen mit der Wärmeversorgung?
Den Strom für den Betrieb der Wärmepumpen im Osterfeld II liefert das Stadtwerk. Noch ist es den Häuslebesitzerinnen und -besitzern nicht möglich, ihre Wärmepumpen mit Strom vom eigenen Dach, sprich mit Fotovoltaik, zu betreiben. Doch auch das soll sich in absehbarer Zeit ändern.
Und weitere Modifizierungen könnten sich im Zusammenhang mit angedachten Großprojekten ergeben: Etwa, wenn der angedachte Stülpmembranspeicher, den Haßfurt in einem weltweit einzigartigen Pilotprojekt gerne bauen würde, Wirklichkeit werden sollte. Mit diesem Energiespeicher ließe sich, so die Vision von Stadtwerk und Technischer Hochschule Nürnberg, ganz Haßfurt mit Strom und Wärme versorgen.
Und zuletzt: Was kostet aktuell die Wärme im Osterfeld II?
Für den Anschluss an das Wärmenetz im Osterfeld II ist eine einmalige Gebühr von 8000 Euro fällig. Der Preis für die Wärme beträgt dann, alles eingeschlossen, 9,5 Cent je Kilowattstunde. Die warme Heizung und das warme Wasser dürften also für die Menschen hier deutlich günstiger sein als wenn die Wärme mit Erdöl oder Erdgas erzeugt würde.