Wasserstoff gilt als eine Art Wundermittel, als zentraler Energieträger der Zukunft und zugleich wichtiger Baustein, wenn man eine CO2-emissionsfreie Wirtschaft und Energietechnik erreichen will. Zudem wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die deutsche Energiepolitik dauerhaft verändern. Wasserstoff kann das Schlüsselelement der Energiewende und ein wichtiges Werkzeug zur Abnabelung von Russland als Energielieferant werden.
Keine neuen Infrastrukturen nötig
In Haßfurt läuft gerade topaktuell ein "höchst interessantes Wasserstoff-Pilotprojekt", so Professor Peter Wasserscheid, der gelegentlich auch als der "Wasserstoffpapst" bezeichnet wird, im Gespräch mit der Redaktion. Das Forschungsprojekt soll beweisen, dass für den Transport des vor Ort gewonnenen Wasserstoffs nicht neue Infrastrukturen geschaffen werden müssen. Das Erdgasnetz fungiert in dem Fall als Transportweg. Während die Beimischung von Wasserstoff zum Erdgas ja keine Neuerung darstellt, kommt es in dem Projekt darauf an, zu zeigen, dass der Wasserstoff beim Kunden auch wieder aus dem Gemisch "herausgeholt" werden kann.
Überschüssiger Strom zur Wasserstoffgewinnung
Eine besondere Rolle nimmt in Sachen Wasserstoff das Stadtwerk Haßfurt ein. Bereits im Oktober 2016 setzte das innovative Kommunalunternehmen ein bayernweit aufsehenerregendes Vorhaben mit seiner Power-to-Gas-Anlage um. Darin wird überschüssiger Strom aus Windkraft- und Solaranlagen der Umgebung genutzt, um damit aus Wasser den Wasserstoff zu gewinnen. Dieser Wasserstoff wird derzeit mit einem Anteil von fünf Prozent ins Erdgasnetz des Versorgers eingespeist und spart so bereits wertvolles Erdgas. Haßfurt ist eine von wenigen Kommunen deutschlandweit, die das praktizieren.
Kommt die Pflichteinspeisung?
Der Anteil des Wasserstoffs im Erdgas könnte auch durchaus höher sein als diese fünf Prozent in Haßfurt. Derzeit wären vom Gesetzgeber zehn Prozent freigegeben. Technisch könne sich das aber ohne Probleme steigern lassen, so Professor Wasserscheid. Er geht - wie andere Experten auch - davon aus, dass etwa im Jahr 2030 durchaus die Einspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz zur Pflicht werden könnte. Wenn genügend Wasserstoff dafür zur Verfügung steht.
Professor Peter Wasserscheid hat den Lehrstuhl für Chemische Reaktionstechnik des Instituts für Chemie- und Bioingenieurwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg inne, ist Direktor des Helmholtz Instituts Erlangen-Nürnberg (HIERN) und einer der beiden Vorstände des Zentrums Wasserstoff Bayern. Dem gehören rund 200 Firmen in Bayern an, die sich derzeit mit der Wasserstofftechnologie beschäftigen.
In den nächsten Jahren sei allerdings noch nicht damit zu rechnen, so Stadtwerkleiter Norbert Zösch, dass durch die Leitungen nur noch reiner Wasserstoff geschickt werden könne. Technisch wäre das jedoch durchaus möglich. Da aber auch das in den Biogasanlagen gewonnene Methangas befördert werden möchte, werde als Zwischenlösung weiterhin eine Erdgas-Wasserstoff-Mischung durch die Leitungen transportiert.
Der Vorteil für die Industrie
Bei Kunden, die reinen Wasserstoff benötigen, wird dann mittels eines elektro-chemischen Kompressors, der ähnlich aufgebaut ist wie eine Brennstoffzelle, der Wasserstoff aus dem Gemisch herausgefiltert. Diese Technologie bietet den Vorteil, dass Kunden, bei denen es sich vorwiegend um stark energieverbrauchende Industriebetriebe handelt, nicht zu große Vorratsspeicher für Wasserstoff anlegen, keine neue Infrastruktur einrichten müssen. "Ein Pufferspeicher reicht", so Diplom-Ingenieur Zösch. Der zum sofortigen Verbrauch gedachte Wasserstoff könne direkt aus der Gasleitung bezogen werden.
Wie hoch sind die Kosten des Projekts?
Dieses "Leuchtturmprojekt", so Professor Wasserscheid, wird vom Bayerischen Wirtschaftsministerium gefördert. Insgesamt wird mit Kosten in Höhe von rund drei Millionen Euro gerechnet. Für das Stadtwerk fällt dabei nur der prozentuale Anteil an den Personalkosten der beteiligten Mitarbeiter an, das nicht billige Material stellt dagegen das Helmholtz Institut. Die Förderung beträgt laut Norbert Zösch insgesamt etwa 90 Prozent.
Wie kommt der Wasserstoff aus dem Gemisch?
Genehmigt wurde das Forschungsprojekt bereits im September 2021. Seitdem laufen die Vorarbeiten, vor allem die elektrochemischen Prozesse bedürfen einer sehr aufwendigen Entwicklung. Im Rahmen des Pilotprojektes wird der Wasserstoff im Haßfurter Hafen an der Power-to-Gas-Anlage in das Erdgasnetz eingespeist und an der Kläranlage mittels des elektrochemischen Kompressors wieder als reiner Wasserstoff "herausgeholt". Wenn das Experiment erfolgreich verläuft, könnten zum Beispiel an Wasserstofftankstellen oder in energieintensiven Unternehmen entsprechende Anlagen installiert und dann dort über reinen Wasserstoff verfügt werden.
Was ist das Ziel des Pilotprojektes?
"Wenn das gelingt – und davon gehe ich aus –", so Professor Wasserscheid, "wird das viele Firmen weltweit auf den Plan rufen. Unser Ziel ist es, emissionsfreie Technologien und Wirtschaftlichkeit zu verbinden. Dafür wollen wir bestehende Infrastrukturen wie das Gasnetz weiter nutzen." Und das Stadtwerk Haßfurt werde dabei gleichzeitig seine Vorreiterrolle in der Wasserstofftechnologie unter Beweis stellen.
"In Haßfurt ist man schon unglaublich gut aufgestellt", sagt Wasserscheid, "man kann hier schon viel von dem sehen, was künftig notwendig sein wird. Was hier am Standort Haßfurt demonstriert wird, ist weltweit hochgradig spannend." Ein "so weiter wie bisher" komme nicht in Frage. "Beim Thema Energiewende geht es um Kosten und Geschwindigkeit. Deshalb kann es sich keiner leisten, die bestehende Logistik hier nicht mehr zu benutzen."
Firmen suchen Versorgungssicherheit
Und wer profitiert davon? In erster Linie Industrieunternehmen. "Erstaunlicherweise", so Norbert Zösch, habe keine einzige Firma vorrangig nach den Kosten für die Wasserstoffversorgung gefragt, sondern immer zuerst nach dem Zeitraum, bis wann genügend Wasserstoff zur Verfügung gestellt werden kann. Die Sorge in Zeiten des Ukrainekrieges, plötzlich ohne Energieversorgung dazustehen und die Produktion einstellen zu müssen, schwebe wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen.
Auch eine Lösung für Häuslebauer?
Ob Wasserstoff die geeignete Lösung für den Häuslebauer ist? Während Professor Wasserscheid hier derzeit noch andere Lösungen sieht, die kurzfristig noch sinnvoller angewendet werden können, schließt Norbert Zösch diese Möglichkeit nicht aus. Schließlich sei es eine Frage des Preises. Wenn Wasserstoff nicht mehr teurer sei als Erdgas, und der früher sehr günstige Preis dieses Energieträgers werde wohl in Zukunft nie mehr erreicht werden, so Zösch, sei Wasserstoff durchaus eine Alternative.
Voraussetzung dafür sei ein Ausbau der Erneuerbaren Energien, damit Wasserstoff auch in ausreichenden Mengen vorhanden ist. Auch in Haßfurt mache die Installation eines zweiten Elektrolyseurs zur Herstellung von Wasserstoff aus überschüssigem Strom aus der Windkraftanlage Sailershausen durchaus Sinn, um nicht Windräder abschalten zu müssen wie in Norddeutschland, sagt Norbert Zösch. "Vielleicht schaffen wir es mit unserem Pilotprojekt, bei möglichst vielen anderen Kommunen das Interesse daran zu wecken, auch eine Power-to-Gas-Anlage zu bauen."