Auf der gepflasterten Straße vor der Fahrschule Endres in Hofheim steht ein weißer Flitzer. Genauer gesagt, ein VW Beetle Cabriolet. Der stolze Besitzer des Fahrzeugs? Wilhelm "Willi" Kraus aus Haßfurt. Seit diesem Samstag 84 Jahre alt, und seit Kurzem Inhaber eines deutschen Führerscheins. Zum Termin mit der Redaktion ist Kraus mit seinem Gefährt nach Hofheim gekommen. An den Ort, an dem er sich zuletzt auf Theorie und Praxis der Führerscheinprüfung vorbereitete.
Mit knapp 84 Jahren im Theorieunterricht
"Willi ist mein Spitzenreiter", sagt Fahrschulinhaber Holger Endres mit einem Schmunzeln. Der 84-Jährige ist der bislang älteste Kandidat, der bei Endres antrat, um sich auf die Führerscheinprüfung vorzubereiten. Zusammen mit den weiteren Fahrschülerinnen und Fahrschülern, die größtenteils noch auf die Volljährigkeit zugehen, besuchte der Rentner in Hofheim den Theorieunterricht.
Es habe keiner was gesagt, berichtet Endres. Ganz im Gegenteil: Die jüngeren Fahrschülerinnen und Fahrschüler hätten sich gut mit ihrem deutlich älteren Mitschüler verstanden. "Er war auch sehr offen, hat das offen angenommen", sagt der Fahrschulinhaber mit Blick auf den 84-Jährigen. So arbeitete der Senior zum Beispiel auch in Kleingruppen mit.
Den Führerschein 1960 in Kanada gemacht
"Aufregen bringt nichts, ich habe gewusst, da muss ich durch", sagt Willi Kraus selbst. Denn, dass der 84-Jährige jetzt noch die Führerscheinausbildung machen musste, ist einem besonderen Umstand geschuldet. 1956 zog es den Haßfurter über den Großen Teich, zu seiner Schwester nach Kanada. Er habe eigentlich nur ein, zwei Jahre bleiben wollen, sagt Kraus. "Aber dann bin ich hängengeblieben."
Nach dem Tod seiner Frau und seiner Schwester kehrte der gebürtige Haßfurter 2021 nach Deutschland und in seine Geburtsstadt zurück. "Fast auf den Tag genau nach 65 Jahren." Mit im Gepäck: Sein kanadischer Führerschein. Den hatte Kraus 1960 in Kanada gemacht. Unfallfrei war er dort anschließend in den folgenden Jahrzehnten unterwegs, wie er anfügt.
Nun hätte der Rückkehrer seinen kanadischen Führerschein eigentlich einfach umschreiben lassen können. Er versäumte aber eine dafür vorgeschriebene Frist. Und so blieb ihm, um in Deutschland weiterhin Autofahren zu dürfen, nichts anderes übrig, als die komplette Führerscheinausbildung hierzulande neu zu machen. "Die Regelung ist da strikt."
Die Theorieprüfung war die größere Hürde
Auf Empfehlung sei er zur Hofheimer Fahrschule Endres gegangen, berichtet Kraus. Es sei kein Thema für ihn und sein Team gewesen, den damals 83-Jährigen als Fahrschüler aufzunehmen, berichtet Inhaber Holger Endres. Die Theorie sah er dabei für seinen Schützling im Vergleich zur Praxis als die größere Herausforderung. Denn: "Die Theorieprüfung ist nicht ohne."
Keiner würde diese ohne Vorbereitung auf Anhieb bestehen, erklärt Endres. Also hieß es für Willi Kraus: Lernen. "Ich habe gebüffelt und etliche Stunden gelernt, um sicherzugehen", sagt er mit Blick auf die Theorieprüfung. Das sei vorbildlich, lobt Endres. Es gebe nämlich immer wieder auch Fahrschüler, die mit der Einstellung "Ich probier's mal" in die Prüfung gehen wollen.
Auch bei den Fahrstunden erwies sich der Rentner als "ganz unkomplizierter Fall", wie Endres berichtet. Er habe alle Hinweise angenommen, so die Rückmeldung seiner Fahrlehrer. 20 einzelne Fahrstunden standen am Ende für den Fahrschüler zu Buche, inklusive der zwölf Pflichtfahrten. Damit liege Kraus "weit unter dem normalen Schnitt an Übungsstunden".
Als der Prüfer vor der praktischen Prüfung auf dem Prüfauftrag das Alter von Willi Kraus entdeckte, habe er sich vermutlich gedacht: "Was tut mir der Holger da an?", scherzt Endres. Aber auch von Prüferseite sei die Rückmeldung zu seinem Fahrschüler am Ende "absolut positiv" gewesen. Und so hatte Willi Kraus schließlich mit knapp 84 Jahren seinen deutschen Führerschein in der Tasche.
Diskussionen um Fahrtauglichkeit im Alter
Dass das Autofahren in hohem Alter indes nicht unumstritten ist, zeigen unter anderem die zuletzt immer wieder geführten öffentlichen Diskussionen, etwa darüber, ob die Fahrtauglichkeit von Autofahrerinnen und Autofahrern ab einem gewissen Alter regelmäßig überprüft werden sollte.
Willi Kraus und Fahrschulinhaber Holger Endres sind beide der Meinung, dass in Sachen Fahrtauglichkeit in erster Linie das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit gelten sollte. Der Fahrlehrer berichtet, dass sich zum Teil ältere Menschen auch von selbst bei ihm melden würden, um bei einer gemeinsamen Fahrstunde seine Einschätzung zu ihrer Fahrtauglichkeit einzuholen.
In Deutschland ist, was das betrifft, eine regelmäßige Überprüfung bislang nicht vorgeschrieben. In anderen Ländern hingegen schon. So auch in Kanada. Kraus berichtet, dass dort Autofahrerinnen und Autofahrer ab einem Alter von 80 Jahren alle zwei Jahre ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen müssen. "Mit 80 habe ich ohne Weiteres bestanden", freut er sich.
Die Erfahrung als Vorteil der älteren Fahrer
Als langjähriger Autofahrer profitiere Kraus von seiner Erfahrung, bestätigt Endres und fügt mit einem Augenzwinkern an: "Der Willi hat schon Sachen erlebt, von denen ich nur erzählen kann, dass es sie gibt." So berichtet der 84-Jährige etwa von einer abenteuerlichen Fahrt im kanadischen Winter, als schon ein halber Meter Schnee lag und er sein Auto wenden musste.
Oder von 16-spurigen Straßen in seiner früheren Wahlheimat, der Millionenmetropole Toronto. Auf solche wird Willi Kraus zumindest im Haßbergkreis nicht treffen, wenn er hier nun mit seinem schnittigen weißen Cabriolet unterwegs ist. Die erste Fahrt nach bestandener Prüfung ging übrigens – typisch deutsch, wie Endres mit einem Lachen kommentiert – zum Tanken und dann zur Autowäsche.