Es ist ein cleverer Satz in der Pressemitteilung, mit der der Marken-Discounter Netto die Eröffnung seines neuen Marktes in Zeil am kommenden Dienstag ankündigt: Da ist von einer großen Auswahl an frischem Obst und Gemüse, Brot- und Backwaren, Molkereiprodukten, Fleisch- und Wurstwaren sowie über 1000 Drogerieartikeln die Rede. "Und das Beste? Alles an einem Ort", wirbt Netto in eigener Sache.
Soll heißen: Kundinnen und Kunden brauchen gar nicht erst anderswo den Einkaufswagen schieben. Bei Netto gibt es alles. Die sieben zitierten Wörter sind wohl bedacht: Denn eigentlich haben Verbraucherinnen und Verbraucher in Zeil und Umgebung schon jetzt genug Einkaufsmöglichkeiten.
Über 5000 Artikel "mit Fokus auf Frische, Qualität und Regionalität" auf rund 1035 Quadratmetern Verkaufsfläche will Netto in Zeil anbieten. Wer hier sein Haushaltsgeld lassen möchte, kann dies montags bis samstags von 7 bis 20 Uhr tun, was mittlerweile branchenüblich ist. Und bei 95 Parkplätzen vor dem Markt sollte niemand Schwierigkeiten haben, sein Auto abzustellen. Auch das zeichnet moderne Lebensmittler aus.
Es gehört zu den Pflichten eines Stadtoberhauptes, einem neu eröffneten Geschäft alles Gute zu wünschen. "Das tue ich auch gerne", sagt Bürgermeister Thomas Stadelmann (SPD). Doch wundern darf er sich schon: Wird sich die neue Filiale der Netto-Handelskette in der Sander Straße 40 wirklich lohnen? Ist der Bedarf an Lebensmittelläden nicht schon längst gedeckt?
Im Februar vergangenen Jahres hat in verkehrstechnisch günstiger Lage am Heigel-Kreisel ein moderner Lidl-Markt mit 1200 Quadratmetern Verkaufsfläche eröffnet, daneben wird sich in absehbarer Zeit ein Tegut-Markt mit 1750 Quadratmetern Verkaufsfläche ansiedeln. Schon einmal hatte es Tegut in Zeil gegeben.
In der Unteren Straße, im Gewerbegebiet Gröbera, befindet sich der Edeka-Frischemarkt Meyer mit 1430 Quadratmeter Verkaufsfläche. Und, vom neuen Netto-Markt die Sander Straße etwa 800 Meter Richtung Süden, hier heißt sie dann Zeiler Straße, lockt in Sand am Main ein Supermarkt von Rewe. Zudem: Auch in Ebelsbach, Haßfurt und Knetzgau gibt es Netto, die Filialen dürften sich also sogar untereinander Konkurrenz machen.
Angesichts dieser Ausgangslage erklärt Bürgermeister Stadelmann, dass die Stadt der Netto-Ansiedlung nicht zugestimmt hätte. "Aber wir hatten keinen Einfluss darauf." Denn: Hier befand sich vor seinem Umzug an die ehemalige B26 der Lidl-Markt, die Fläche war und ist für den Einzelhandel vorgesehen. Und so konnte der Eigentümer seine Immobilie entsprechend weiternutzen und sich einen Mieter aus der Branche heraussuchen.
Volker Wedde, Bezirksgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern in Unterfranken, spricht von einem harten Wettbewerb im Lebensmittelhandel und dem Bestreben der Unternehmen, auf allen Märkten vertreten zu sein. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln in Bayern und Unterfranken sei gut, "da können wir alle zufrieden sein".
Neue Märkte füllten deshalb meist keine Lücken, sondern führten zu Umsatzverschiebungen zu Lasten anderer. "Deshalb schauen wir als Verband da auch sehr kritisch darauf, wenn zu viel Fläche am Markt vorhanden ist", sagte Wedde auf Anfrage der Redaktion. Gerade, weil die neuen Märkte immer größer würden, gerieten die bestehenden Geschäfte oft in Bedrängnis. "Die Kommunen müssen darauf achten, dass nicht ein Markt kommt und dafür ein anderer verschwindet", erklärt der Betriebswirt ganz allgemein. Speziell zur Situation in Zeil äußert er sich nicht.
Bürgermeister Stadelmann erinnert sich, dass Lidl einst am künftigen Netto-Standort durchaus günstig gelegen war für Zeiler Bürgerinnen und Bürger, die in den Grabengärten oder der Altstadt wohnen; auch aus Schmachtenberg oder Sand hätten Leute den Markt angesteuert. Man könnte auch sagen: Zeil hat in Zukunft mit Lidl und Tegut zwei Märkte im Norden, einen – Edeka – in der Mitte und Netto im Süden. Eine gute Aufteilung aus Sicht von Fußgängerinnen und Fußgängern. Doch die Masse der Menschen fährt mit dem Auto zum Einkauf.
Ist das Ziel, so schnell als möglich Lücken zu besetzen?
Er gehe schon davon aus, dass Netto entsprechende Marktanalysen gemacht habe, meint der Rathauschef. Aus Insiderkreisen heißt es allerdings, dass es den Handelsketten bei neuen Märkten nicht immer um die Rentabilität gehe. Sondern zunächst einmal darum, Lücken zu füllen und damit zu verhindern, dass die Konkurrenz wächst. Manche Zeiler Bürgerinnen und Bürger hätten sich wohl eher einen Baumarkt gewünscht an der Sander Straße.
Der Netto Marken-Discount selbst äußerte sich bisher nicht zur Frage der Redaktion nach dem Wettbewerb in Zeil und in der Branche allgemein. Weil die Pressemitteilung behauptet, dass in den Netto-Märkten "keine Kundenwünsche offen bleiben", vertraut das Unternehmen vielleicht auch am neuen Standort Zeil auf ein gutes Geschäft.