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Rügheim
Neue Rügheimer Dekanin Anne Salzbrenner: "Olaf Latzel verbreitet meines Erachtens rechtsextremes Gedankengut"
Die 58-Jährige spricht im Interview über die Zukunft ihres Dekanats, Glauben in Zeiten der Krise – und den Auftritt des umstrittenen Pastors im Haßbergkreis.
Anne Salzbrenner ist seit 1. Oktober 2022 Oberhaupt des Dekanatsbezirks Rügheim.
Foto: Lukas Reinhardt | Anne Salzbrenner ist seit 1. Oktober 2022 Oberhaupt des Dekanatsbezirks Rügheim.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:27 Uhr

Ein Baugerüst umgibt derzeit den Dekanatssitz in Rügheim. Die Fassade des historischen Hauses erhält einen neuen Anstrich. Aber auch im Inneren des Gebäudes hat sich etwas verändert. In den vergangenen Wochen ist hier Anne Salzbrenner eingezogen, die als neues Oberhaupt des Dekanatsbezirks Rügheim künftig die Geschicke von 40 evangelischen Kirchengemeinden leiten wird. 

1964 in München geboren, predigte die Pastorin 27 Jahre von der Kirchenkanzel in Lichtenfels, Oberfranken. Zum 1. Oktober 2022 wechselte sie nun nach Rügheim. Im Gespräch erzählt Salzbrenner, wie sie die Zukunft der evangelischen Landeskirche sieht, warum die Mitglieder immer weniger werden und wie sie die unterschiedlichen Strömungen miteinander vereinen möchte.

Frage: Frau Salzbrenner, Sie sind seit Anfang Oktober das Oberhaupt von knapp 20.000 Evangelen im Dekanatsbezirk Rügheim. Welchen Eindruck haben Sie in den ersten Tagen gewonnen?

Anne Salzbrenner: Fünf der vergangenen zehn Tage war ich leider Corona-positiv, ich arbeite erst seit heute wieder. Aber ich bin total freundlich und herzlich hier aufgenommen worden – sowohl von der Bevölkerung als auch von der Pfarrerschaft. Das war wirklich überwältigend und tut gut, vor allem wenn man nach 27 Jahren die Stelle wechselt.

Wären Sie vor zehn Jahren im Landkreis Haßberge gelandet, es gäbe wohl deutlich mehr Anhänger. Seit 2011 hat das Dekanat Rügheim über zehn Prozent der Gemeindemitglieder verloren. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung, die ja auch auf die Landeskirche zutrifft?

Salzbrenner: Es gibt verschiedene Gründe. Manche Mitglieder sagen: Ich habe gerade nicht so viel von der Kirche an sich, ich brauch keinen Kindergarten mehr oder noch kein Altenheim – also trete ich aus und spare mir die Kirchensteuer. Viele machen sich nicht bewusst, was fehlen würde, wenn Kirche nicht mehr existieren würde. Der zweite Grund ist eine andere Entwicklung, die ich in den vergangenen 30 Jahren beobachtet habe. Es sind Ersatzreligionen entstanden. "Fun" haben ist vielen Menschen heute wichtiger als Kirche.

Neue Rügheimer Dekanin Anne Salzbrenner: 'Olaf Latzel verbreitet meines Erachtens rechtsextremes Gedankengut'
Sie meinen Lifestyle als Ersatzreligion?

Salzbrenner: Genau. Und auch innerhalb des Protestantismus gibt es Entwicklungen, die zum Mitgliederschwund beitragen: Es sind viele Freie Gemeinden entstanden, denen sich die Menschen zuwenden. Dagegen habe ich nichts, um Gotteswillen. Wir sind Christen, alle miteinander. Aber im pietistischen, charismatischen Bereich (Frömmigkeits- und religiöse Erneuerungsbewegung des Protestantismus, Anm. d. Red.) werden oft einfache Antworten auf komplexe Fragen gegeben. Wenn ich sage, Gott ist an allem schuld, was mir widerfährt oder nicht widerfährt, etwa beim Blick auf den Ukraine-Krieg, dann ist das zu simpel. Doch viele Menschen sehnen sich heute nach diesen einfachen Antworten.

"Es sind Ersatzreligionen entstanden. 'Fun' haben ist vielen Menschen heute wichtiger als Kirche."
Anne Salzbrenner, 58, Dekanin
Vor einem Jahr lud die evangelische Kirchengemeinde Rentweinsdorf den umstrittenen evangelikalen Pastor Olaf Latzel ein. Latzel ist in der Vergangenheit immer wieder mit homophoben Äußerungen in Erscheinung getreten, wurde mitunter als "Hassprediger" bezeichnet. Wie würden Sie künftig auf seinen Besuch in Ihrem Dekanat reagieren?

Salzbrenner: Ich würde den Kirchenvorstand in aller Deutlichkeit bitten, diese Entscheidung zu überdenken. Das Gremium entscheidet am Ende eigenständig, wen es einlädt und wen nicht, ganz klar. Da würde ich auch nicht einschreiten. Aber ich würde mit dem Kirchenvorstand massiv ins Gespräch gehen, ob diese Einladung wirklich aufrechterhalten bleiben muss – und ob die Mitglieder am Ende für das stehen wollen, was Latzel als Person mit sich bringt.

Auch der evangelikale Pfarrer Ulrich Parzany verbreitete bereits seine Thesen im Landkreis, etwa in Altenstein. Gibt es im Dekanat Rügheim Probleme mit fundamentalistischen evangelikalen Strömungen?

Salzbrenner: Nein, es gibt kein Problem. Sicher: Innerhalb der evangelischen Landeskirche gibt es Mitglieder, die etwa der charismatischen Bewegung nahestehen, sich aber ganz klar zur lutherischen Kirche bekennen. Dass diese Strömungen möglich sind und wir alle miteinander unterwegs sind, ist ein deutliches Zeichen, wie groß evangelisch-lutherische Kirche sein kann. Der Fall Latzel ist sicherlich ein spezielles Beispiel, bei dem es wahrscheinlich an Kommunikation und Gesprächen gemangelt hat.

Wie gehen Sie mit evangelikalen Strömungen in Ihrem Dekanat um?

Salzbrenner: Ich versuche diese Gruppen einzubinden. In Lichtenfels habe ich mit der Pfingstgemeinde, die zur Charismatischen Bewegung zählt, früher viel gestritten, zuletzt aber gut zusammengearbeitet. Am Ende standen wir Seite an Seite bei Demonstrationen gegen Rechte und Querdenker.

Glauben Sie nicht, dass die fundamentalistische Ausrichtung einiger Mitglieder abschreckend wirkt auf andere – deren Abgang also noch beschleunigt und damit den Mitgliederschwund?

Salzbrenner: Fundamentalistische, also extreme Ausrichtungen sind in der Regel abschreckend, nicht aber pietistische oder charismatische. Das ist etwas anderes. Natürlich gibt es in diesen Bereichen auch Fundamentalisten. Wobei ich Parzany nicht als solchen bezeichnen würde.

Und Olaf Latzel?

Salzbrenner: Latzel verbreitet meines Erachtens rechtsextremes Gedankengut und vermengt es mit seinem theologischen Weltbild. Das ist keine christliche Frage, keine von Charismatik oder Pietismus. Doch in allen gesellschaftlichen Gruppen gibt es Extreme. Latzels Besuch hat viel Aufmerksamkeit erregt. Aber ich bin davon überzeugt, dass Rentweinsdorf keine fundamentalistische Gemeinde ist. Im Gegenteil. Das sind bodenständige lutherisch-evangelische Christen.

Nach dem Christopher Street Day (CSD) in Haßfurt riefen Diakon Manfred Griebel und die evangelische Lektorin Cynthia Derra bei einem queeren ökumenischen Gottesdienst in der Ritterkapelle zu mehr Offenheit und Akzeptanz gegenüber Lesben, Schwulen, Inter- oder Asexuellen und Transgender-Personen auf. Sollte es solche Gottesdienste in Ihrem Dekanat häufiger geben?

Salzbrenner: Gerne, ich begrüße die ökumenische Zusammenarbeit mit allen Menschen. Wir alle sind Geschöpfe Gottes, da stellt sich für mich keine Frage nach der Sexualität.

"Die Ehe, wie wir sie heute feiern, ist aus dem 16. Jahrhundert und eine Entwicklung des Menschen. Das hat mit Gott wenig zu tun."
Anne Salzbrenner, 58, Dekanin 
Das sehen manche offenbar anders: Am Rande des CSDs positionierte sich eine Gruppe mit einem Plakat, auf dem geschrieben stand: "Gott schuf Mann und Frau. Gott plante die Ehe für Mann und Frau." Wie stehen Sie dazu?

Salzbrenner: Einen Fehler muss ich korrigieren. Gott plante die Ehe nicht. Die Ehe, wie wir sie heute feiern, ist aus dem 16. Jahrhundert und eine Entwicklung des Menschen. Das hat mit Gott wenig zu tun. Gott schuf Mann und Frau, ja. Aber von der sexuellen Ausrichtung hat er nichts geschrieben. Wenn die sexuelle Ausrichtung eine andere ist als die des Mainstreams, dann ist das von Gott geschaffen.

Die Polarisierung der Gesellschaft in den vergangenen Jahren ließ sich auch in Folge des Flüchtlingszuzugs, der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Kriegs beobachten. So schlimm es klingt: Ist die aktuelle Zeit, die Zeit der Krise und der Angst, nicht auch eine Chance für den Glauben?

Salzbrenner: Auf alle Fälle. Die Chance für den Glauben liegt darin, dass er uns trägt. Ich habe eine Grundlage, die mir Stabilität verleiht. Menschen mit einem ausgeprägten Glauben leiden weniger unter Krisen.

Das legen tatsächlich auch Studien nahe. Und trotzdem ersetzt der Glaube im Winter aber nicht die Heizung.

Salzbrenner: Er wärmt durchaus. (lacht)

Davon können sich die Kirchenmitglieder ja selbst überzeugen. Werden die Heizungen in den Gotteshäusern im Dekanat Rügheim in diesem Jahr ausgeschaltet bleiben?

Salzbrenner: Wir werden das in den kommenden Tagen bei der Pfarrkonferenz besprechen. Ich weiß von einigen Kirchengemeinden in Bayern, die im Winter in den Gemeindesaal umziehen und den Gottesdienst nicht in der Kirche halten. Aber die Kirchenvorstände werden selber entscheiden, welchen Weg sie gehen.

Als Pastorin leitet Anne Salzbrenner künftig die Gottesdienste der Kirchengemeinden Rügheim und Kleinmünster.
Foto: Lukas Reinhardt | Als Pastorin leitet Anne Salzbrenner künftig die Gottesdienste der Kirchengemeinden Rügheim und Kleinmünster.
Haben Sie das für Ihre Kirche in Rügheim schon entschieden?

Salzbrenner: Nein, ich bin ja erst seit zehn Tagen da.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Dekanats?

Salzbrenner: Ich sehe eine gute Zukunft. Aber ich sehe auch manche Probleme, die wir haben werden: durch sinkende Mitgliederzahlen, durch weniger Pfarrer und Pfarrerinnen in den Gemeinden. Ich sehe, dass uns die Krisen in dieser Welt immer mehr auf den Pelz rücken werden und die Menschen auch weiter einfache Antworten haben wollen. Aber bei all diesen Problemen sind wir gefragt, neue Wege zu gehen. Und ich denke, dass wir gute neue Wege finden werden. Wir müssen zeigen, dass Veränderungen etwas Positives sind. Vielleicht haben wir uns viel zu lange etabliert, wir haben das gemacht, was wir schon immer gemacht haben.

Steht mit Ihnen also die Revolution an?

Salzbrenner: Nein, keine Revolution. (lacht) Vor 30 Jahren, als ich anfing, war die Kinderkrippe noch etwas Schlechtes. Heute sind wir froh, dass wir sie haben, genauso wie die Schulkindbetreuung. Das ist das, was ich deutlich machen will: Traditionen sind etwas Tolles, aber nur dann, wenn sie Sinn machen, sprich: wenn sie den Menschen noch dienen. Die Aussage, nur weil man es schon immer so gemacht hat, zählt hier nicht. Auch die Eheschließung, wie wir sie heute feiern, ist aus dem 16. Jahrhundert und nicht von Gott gegeben. Das sollte man sich bewusst machen. Deswegen verändert sich eben Manches bei uns. Und das ist nichts Schlechtes.

 Vielen Dank für das Interview, Frau Salzbrenner.
 
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Kommentare
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  • W. M.
    Sehr gutes Interview. Aber auch Frau Salzbrenner wird wohl in Zukunft die noch zunehmenden Austritte aus der evang. Kirche in ihrem Dekanatsbezirk nicht aufhalten können.
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    Sehr sympathisch!
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    Sehr informativer Beitrag, innovativ, Danke! Die geschätzte neue Dekanin möge sich Videos mit Parzany ansehen. Er steht Latzel in nichts nach. https://youtu.be/KMFxhQziakE
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