
Ein Baugerüst umgibt derzeit den Dekanatssitz in Rügheim. Die Fassade des historischen Hauses erhält einen neuen Anstrich. Aber auch im Inneren des Gebäudes hat sich etwas verändert. In den vergangenen Wochen ist hier Anne Salzbrenner eingezogen, die als neues Oberhaupt des Dekanatsbezirks Rügheim künftig die Geschicke von 40 evangelischen Kirchengemeinden leiten wird.
1964 in München geboren, predigte die Pastorin 27 Jahre von der Kirchenkanzel in Lichtenfels, Oberfranken. Zum 1. Oktober 2022 wechselte sie nun nach Rügheim. Im Gespräch erzählt Salzbrenner, wie sie die Zukunft der evangelischen Landeskirche sieht, warum die Mitglieder immer weniger werden und wie sie die unterschiedlichen Strömungen miteinander vereinen möchte.
Anne Salzbrenner: Fünf der vergangenen zehn Tage war ich leider Corona-positiv, ich arbeite erst seit heute wieder. Aber ich bin total freundlich und herzlich hier aufgenommen worden – sowohl von der Bevölkerung als auch von der Pfarrerschaft. Das war wirklich überwältigend und tut gut, vor allem wenn man nach 27 Jahren die Stelle wechselt.
Salzbrenner: Es gibt verschiedene Gründe. Manche Mitglieder sagen: Ich habe gerade nicht so viel von der Kirche an sich, ich brauch keinen Kindergarten mehr oder noch kein Altenheim – also trete ich aus und spare mir die Kirchensteuer. Viele machen sich nicht bewusst, was fehlen würde, wenn Kirche nicht mehr existieren würde. Der zweite Grund ist eine andere Entwicklung, die ich in den vergangenen 30 Jahren beobachtet habe. Es sind Ersatzreligionen entstanden. "Fun" haben ist vielen Menschen heute wichtiger als Kirche.

Salzbrenner: Genau. Und auch innerhalb des Protestantismus gibt es Entwicklungen, die zum Mitgliederschwund beitragen: Es sind viele Freie Gemeinden entstanden, denen sich die Menschen zuwenden. Dagegen habe ich nichts, um Gotteswillen. Wir sind Christen, alle miteinander. Aber im pietistischen, charismatischen Bereich (Frömmigkeits- und religiöse Erneuerungsbewegung des Protestantismus, Anm. d. Red.) werden oft einfache Antworten auf komplexe Fragen gegeben. Wenn ich sage, Gott ist an allem schuld, was mir widerfährt oder nicht widerfährt, etwa beim Blick auf den Ukraine-Krieg, dann ist das zu simpel. Doch viele Menschen sehnen sich heute nach diesen einfachen Antworten.
Salzbrenner: Ich würde den Kirchenvorstand in aller Deutlichkeit bitten, diese Entscheidung zu überdenken. Das Gremium entscheidet am Ende eigenständig, wen es einlädt und wen nicht, ganz klar. Da würde ich auch nicht einschreiten. Aber ich würde mit dem Kirchenvorstand massiv ins Gespräch gehen, ob diese Einladung wirklich aufrechterhalten bleiben muss – und ob die Mitglieder am Ende für das stehen wollen, was Latzel als Person mit sich bringt.
Salzbrenner: Nein, es gibt kein Problem. Sicher: Innerhalb der evangelischen Landeskirche gibt es Mitglieder, die etwa der charismatischen Bewegung nahestehen, sich aber ganz klar zur lutherischen Kirche bekennen. Dass diese Strömungen möglich sind und wir alle miteinander unterwegs sind, ist ein deutliches Zeichen, wie groß evangelisch-lutherische Kirche sein kann. Der Fall Latzel ist sicherlich ein spezielles Beispiel, bei dem es wahrscheinlich an Kommunikation und Gesprächen gemangelt hat.
Salzbrenner: Ich versuche diese Gruppen einzubinden. In Lichtenfels habe ich mit der Pfingstgemeinde, die zur Charismatischen Bewegung zählt, früher viel gestritten, zuletzt aber gut zusammengearbeitet. Am Ende standen wir Seite an Seite bei Demonstrationen gegen Rechte und Querdenker.
Salzbrenner: Fundamentalistische, also extreme Ausrichtungen sind in der Regel abschreckend, nicht aber pietistische oder charismatische. Das ist etwas anderes. Natürlich gibt es in diesen Bereichen auch Fundamentalisten. Wobei ich Parzany nicht als solchen bezeichnen würde.
Salzbrenner: Latzel verbreitet meines Erachtens rechtsextremes Gedankengut und vermengt es mit seinem theologischen Weltbild. Das ist keine christliche Frage, keine von Charismatik oder Pietismus. Doch in allen gesellschaftlichen Gruppen gibt es Extreme. Latzels Besuch hat viel Aufmerksamkeit erregt. Aber ich bin davon überzeugt, dass Rentweinsdorf keine fundamentalistische Gemeinde ist. Im Gegenteil. Das sind bodenständige lutherisch-evangelische Christen.
Salzbrenner: Gerne, ich begrüße die ökumenische Zusammenarbeit mit allen Menschen. Wir alle sind Geschöpfe Gottes, da stellt sich für mich keine Frage nach der Sexualität.
Salzbrenner: Einen Fehler muss ich korrigieren. Gott plante die Ehe nicht. Die Ehe, wie wir sie heute feiern, ist aus dem 16. Jahrhundert und eine Entwicklung des Menschen. Das hat mit Gott wenig zu tun. Gott schuf Mann und Frau, ja. Aber von der sexuellen Ausrichtung hat er nichts geschrieben. Wenn die sexuelle Ausrichtung eine andere ist als die des Mainstreams, dann ist das von Gott geschaffen.
Salzbrenner: Auf alle Fälle. Die Chance für den Glauben liegt darin, dass er uns trägt. Ich habe eine Grundlage, die mir Stabilität verleiht. Menschen mit einem ausgeprägten Glauben leiden weniger unter Krisen.
Salzbrenner: Er wärmt durchaus. (lacht)
Salzbrenner: Wir werden das in den kommenden Tagen bei der Pfarrkonferenz besprechen. Ich weiß von einigen Kirchengemeinden in Bayern, die im Winter in den Gemeindesaal umziehen und den Gottesdienst nicht in der Kirche halten. Aber die Kirchenvorstände werden selber entscheiden, welchen Weg sie gehen.

Salzbrenner: Nein, ich bin ja erst seit zehn Tagen da.
Salzbrenner: Ich sehe eine gute Zukunft. Aber ich sehe auch manche Probleme, die wir haben werden: durch sinkende Mitgliederzahlen, durch weniger Pfarrer und Pfarrerinnen in den Gemeinden. Ich sehe, dass uns die Krisen in dieser Welt immer mehr auf den Pelz rücken werden und die Menschen auch weiter einfache Antworten haben wollen. Aber bei all diesen Problemen sind wir gefragt, neue Wege zu gehen. Und ich denke, dass wir gute neue Wege finden werden. Wir müssen zeigen, dass Veränderungen etwas Positives sind. Vielleicht haben wir uns viel zu lange etabliert, wir haben das gemacht, was wir schon immer gemacht haben.
Salzbrenner: Nein, keine Revolution. (lacht) Vor 30 Jahren, als ich anfing, war die Kinderkrippe noch etwas Schlechtes. Heute sind wir froh, dass wir sie haben, genauso wie die Schulkindbetreuung. Das ist das, was ich deutlich machen will: Traditionen sind etwas Tolles, aber nur dann, wenn sie Sinn machen, sprich: wenn sie den Menschen noch dienen. Die Aussage, nur weil man es schon immer so gemacht hat, zählt hier nicht. Auch die Eheschließung, wie wir sie heute feiern, ist aus dem 16. Jahrhundert und nicht von Gott gegeben. Das sollte man sich bewusst machen. Deswegen verändert sich eben Manches bei uns. Und das ist nichts Schlechtes.