Es ist der nächste drastische Einschnitt, der dem Valeo-Standort in Ebern in seiner langjährigen Geschichte droht: Rund 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen gehen, so sehen es die Pläne des Milliardenkonzerns mit Sitz in Paris vor. Wie der Stellenabbau am Ende tatsächlich aussehen wird, ist offen. Entsprechende Gespräche zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite laufen. Doch was sagt die Belegschaft zu den Entwicklungen? Wie sehen Mitarbeitende ihre aktuelle Situation und die Stimmung am Standort? Und wie gehen sie mit ihren Sorgen um? Vier Menschen aus der Region erzählen.
1. Magda-Anna Stöhr, 59, aus Kirchlauter, Abteilung "Fertigung"
"Ich arbeite seit 25 Jahren im Betrieb, im Juli werden es 26. Seither habe ich viel erlebt. Die Misere, in der wir heute stecken, ist meiner Meinung nach vor allem die Folge von jahrelanger Fehlwirtschaft und Missmanagement. Warnungen vom Betriebsrat und der Belegschaft wurden immer wieder ignoriert – oder es war den Geschäftsführungen egal. Das galt schon vor der Übernahme durch Valeo, aber danach hat sich lange Zeit auch nichts getan. Und als dann doch einmal nachgerechnet wurde, war es scheinbar zu spät. Das Ergebnis sehen wir heute.
Es ist eine Mischung aus Angst, Frustration und Zorn, die ich hier inzwischen spüre. Wir, also die Belegschaft, dürfen ausbaden, was vom Management versäumt worden ist. Mich macht das vor allem zornig. Wenn 280 Menschen gehen sollen, ist das keine Investition in die Zukunft. Die jungen Menschen verlieren ihre Perspektive und verlassen das Unternehmen. Vom Gefühl her ist es so, dass der Standort bewusst eingestampft werden soll. Viele fürchten, dass es mit unserem Werk den Bach heruntergeht. Wahrscheinlich wird es in zwei bis drei Jahren weiter gehen mit dem Stellenabbau.
Es wird viel diskutiert. Jeder und jede hat ein Stück weit Angst um seinen Arbeitsplatz und um die eigene Zukunft, auch ich. Es hat sich in den vergangenen Jahren nie etwas verbessert. Wenn wir Glück hatten, ist es gleich geblieben. Oder es ist schlechter geworden. Ich habe die Hoffnung verloren, dass sich das noch einmal ändert."
2. Pascal Ramer, 20, aus Dorgendorf, Abteilung "Mechanische Fertigung"
"Ich habe meine Ausbildung bei Valeo im vergangenen Frühjahr beendet, bin also noch nicht so lange in Ebern. Nach dem Abschluss bin ich hier geblieben, weil ich an die Zukunft des Standorts geglaubt habe. Und das tue ich noch immer. Der Standort muss erhalten bleiben. Dafür braucht es ein passendes Zukunftsprojekt, damit das gesamte Werk wieder richtig durchstarten kann. Es hängt zu viel an diesem Standort. Die gesamte Region wäre von einer Schließung betroffen.
Am meisten Sorgen mache ich mir um die vielen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Darum, dass sie am Ende ohne irgendetwas dastehen. Wenn sich nicht mehr genug Freiwillige für ein Abfindungsprogramm finden, wird es auch Menschen treffen, die nicht gehen wollen, die aber im schlimmsten Fall eine Familie versorgen müssen. Grundsätzlich gibt es nur stückchenweise Informationen von oben. Das sorgt für zusätzliche Unsicherheit.
Natürlich mache ich mir auch Sorgen um meinen Arbeitsplatz. Ich rede viel mit Freunden, Familienmitgliedern und Arbeitskollegen. Mir ist es wichtig, nicht untätig zu bleiben und den Stellenabbau einfach hinzunehmen. Deswegen beteilige ich mich an Aktionen des Betriebsrats, auch weil ich Jugend- und Auszubildendenvertreter bin. Einen Funken Hoffnung gibt mir die Solidarität, die ich trotz der sehr gedrückten Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen immer wieder spüre."
3. Rüdiger Keß, 61, aus Hofheim, Abteilung "Process Engineering"
"Ich habe 1978 noch bei FAG Kugelfischer meine Ausbildung begonnen, Anfang der 1990er bin ich nach Ebern gewechselt. In den vergangenen Jahren war ich viel in den Außenwerken im Ausland unterwegs, in China, Amerika, Osteuropa. Ich würde sagen, dass ich die Blütezeit dieses Standorts noch miterlebt habe. Umso mehr trifft mich die aktuelle Entwicklung.
Ich fürchte, dass es nicht bei der nun angekündigten Welle bleiben wird. Wenn nach dem aktuellen Stellenabbau 880 Arbeitsplätze übrig sind, werden weitere verschwinden. Vor allem, weil der Bereich Gummi, in dem unser größtes Knowhow sitzt, dramatisch dezimiert werden soll. Ausgerechnet der Bereich, in dem wir weltweit führend und verdammt gut aufgestellt sind, soll um die Hälfte reduziert werden. Auch deswegen sehe ich für unseren Standort fast keine Zukunft.
Gerade kann die Belegschaft nicht viel beeinflussen. Wir versuchen abzuwarten und müssen schauen, was auf uns zukommt. Ob es beispielsweise wirklich bei den 280 Stellen bleiben wird. Man vergisst schnell, was und wer hinter den Arbeitsplätzen steckt: Es sind nicht nur 280 Menschen, um die es geht. Es geht um hunderte Familien.
Die Ungewissheit, wie es weiter geht, macht vielen Kolleginnen und Kollegen zu schaffen, auch mir. Das wirkt sich auf die Stimmung aus. Viele kämpfen um ihre Zukunft und die ihrer Familien in der Region. In manchen Bereichen hat das Hauen und Stechen schon angefangen, das ist sehr schade."
4. Daniel Nüßlein, 30, aus Ebern, Abteilung "Entwicklung"
"Natürlich denke auch ich über den Verlust meines Arbeitsplatzes nach. Immerhin arbeite ich inzwischen seit fast 14 Jahren hier. Die Entwicklungsabteilung hat in den vergangen zwei Entlassungswellen schon einen großen Aderlass erlebt. Sie wird auch jetzt noch einmal empfindlich getroffen. Trotzdem sorge ich mich aktuell mehr um die Zukunft des gesamten Standorts als um meine persönliche Situation. Denn die Fertigung war bislang noch nie betroffen.
Grundsätzlich, so realistisch muss man sein, gibt es in der freien Wirtschaft immer ein Kommen und Gehen. Man sieht Firmen aufsteigen, man sieht sie fallen. Unser Unternehmen aber, welchen Namen es auch immer in den letzten Jahrzehnten bei all den Investoren trug, gibt es seit mehr als 80 Jahren. Es war eine Institution in der Region. Die Jobs hier haben ganze Familiendynastien versorgt, die hier ihren Lebensmittelpunkt hatten. Mittlerweile ist der Blick in die Zukunft sehr, sehr düster. Durch den neuerlichen Stellenabbau würden wir einiges an Power und Innovation verlieren. Es ist aus meiner Sicht einer der letzten Nägel für unseren möglichen Sarg.
Natürlich trifft es die älteren Kolleginnen und Kollegen hier am Standort besonders. Wer will schon kurz vor der Rente ein komplett neues Arbeitsleben beginnen? Junge Menschen wie ich haben es da einfacher. Wir sind weniger gebunden und haben mehr Möglichkeiten, uns noch zu verändern. Deswegen finde ich es besonders schwierig für all jene hier am Standort, die sich aufgrund ein paar weniger Jahre noch einmal Sorgen und Gedanken um ihre berufliche Zukunft machen müssen. Das macht mich sehr betroffen."