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280 Stellen sollen bei Valeo in Ebern wegfallen – was nun? Diese Tipps gibt ein Fachanwalt für Arbeitsrecht den Beschäftigten
Vom Freiwilligenprogramm bis hin zur betriebsbedingten Kündigung: Welche Szenarien wahrscheinlich sind und wie Arbeitnehmer vorgehen sollten.
Valeo möchte in Ebern 280 Stellen abbauen, das entspräche jedem vierten Arbeitsplatz am Standort.
Foto: Lukas Reinhardt | Valeo möchte in Ebern 280 Stellen abbauen, das entspräche jedem vierten Arbeitsplatz am Standort.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 02.03.2024 02:49 Uhr

Die Nachricht traf den Landkreis Haßberge als Wirtschaftsstandort, vor allem aber die Valeo-Belegschaft mit voller Wucht: Der französische Mutterkonzern möchte am Standort Ebern 280 Stellen streichen. Noch in diesem Jahr plant das Unternehmen damit zu beginnen. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall sind bereit, um den Erhalt der Arbeitsplätze zu kämpfen.

Dennoch ist die Verunsicherung groß. Wie könnte es nun weitergehen? Und welche Tipps gibt Thomas Meder, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der unterfränkischen Kanzlei "Rausch, Meder, Münchmeier" den Beschäftigten? Drei Szenarios und wie Arbeitnehmer vorgehen könnten.

Erster Schritt: Aushandlung eines Interessensausgleichs und Sozialplans

Ziel des Betriebsrats wird es zunächst sein, in Verhandlungen den Umfang der geplanten Stellenstreichungen infrage zu stellen und zu reduzieren. Dazu werden nun erste Gespräche zwischen Vertretern der Arbeitnehmer, hier federführend durch den Betriebsrat, und des Arbeitgebers stattfinden, um einen sogenannten Interessensausgleich zu verhandeln.

Darin geht es um die grundlegenden Fragen, ob, wann und in welcher Form der Abbau von Arbeitsplätzen vonstattengehen soll. Also beispielsweise, welche Abteilungen in welchem Umfang betroffen sind. Parallel zum Interessensausgleich verhandeln die Parteien in der Regel einen Sozialplan. Darin werden die finanziellen Folgen für die Betroffenen sowie ein möglicher Ausgleich oder Abmilderung geregelt. 

Frage: Wie sollten Betriebsrat und Beschäftigte in dieser Situation vorgehen?

Betriebsräte sollten frühzeitig den Verhandlungsweg für Interessenausgleich und Sozialplan mit externem Sachverstand beim Arbeitgeber einschlagen, rät Rechtsanwalt Thomas Meder. Sie sollten außerdem darauf pochen, dass der Interessenausgleich nur mit einem Sozialplan gemeinsam abgeschlossen wird und als Betriebsvereinbarung festgeschrieben wird.

Als Betriebsvereinbarung verleihe der Interessensausgleich der Belegschaft unmittelbare Rechte einerseits, aber auch Pflichten andererseits. Weiche der Arbeitgeber ohne zwingenden Grund von einem Interessenausgleich ab, müsse er womöglich einen Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) an benachteiligte Arbeitnehmer zahlen, so Meder.

Ein Interessenausgleich sei– anders als ein Sozialplan – rechtlich nicht erzwingbar. "Faktisch ist der Arbeitgeber damit nicht zu stoppen bei der Vornahme einer Betriebsänderung, wenn er zumindest eine Einigung mit dem Betriebsrat in der Einigungsstelle, einem innerbetrieblichen Schlichtungsorgan, versucht hat", schreibt der Arbeitsrechtsexperte. In der Praxis würden aber nur die wenigsten Betriebsänderungen durch eine Einigungsstelle begleitet, "da dies Zeit in Anspruch nimmt und Gelder verschlingt".

Thomas Meder ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der Kanzlei 'Rausch, Meder, Münchmeier', die neben den Standorten Ochsenfurt und Würzburg auch ein Büro in Haßfurt betreibt.  
Foto: Katrin Niebel | Thomas Meder ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner in der Kanzlei "Rausch, Meder, Münchmeier", die neben den Standorten Ochsenfurt und Würzburg auch ein Büro in Haßfurt betreibt.  

Der einzelne Beschäftigte sei zunächst davon abhängig, was Arbeitgeber und Betriebsrat ausverhandeln. Im Zweifelsfall komme für ihn, wenn der Arbeitgeber nicht ernsthaft mit dem Betriebsrat verhandelt und Nachteile entstehen, der bereits genannte Nachteilsausgleich in Betracht.

"Der Arbeitnehmer selbst kann jederzeit beim Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag anstreben", so der Rechtsanwalt weiter. Diesem könne der Arbeitgeber zustimmen, müsse er aber nicht. Hier sollten unter anderem Themen wie Beendigungsdatum, Resturlaub, Stundenguthaben, Zeugnis geklärt werden. Eine einseitige Kündigung durch den Arbeitnehmer empfiehlt Meder zu diesem Zeitpunkt nicht. 

Zweiter Schritt: Freiwilligenprogramm zum streitlosen Stellenabbau

Mit Blick auf bereits vergangene und vollzogene Betriebsänderungen am Standort Ebern – 2022 wurden statt der ursprünglich von der Konzernführung angedachten 80 Stellen am Ende 52 gestrichen – scheint ein Kompromiss als Einigung möglich. In diesem Zuge könnte wie schon in den vergangenen Jahren ein Freiwilligenprogramm ausgehandelt werden. Diese Programme dienen dem Arbeitgeber als Mittel zum streitlosen Stellenabbau. Durch finanzielle Anreize wollen die Bosse Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus betroffenen Abteilungen mit gut dotierten Aufhebungsverträgen zum freiwilligen Abgang bewegen.

Frage: Lohnt es sich, direkt zu kündigen oder sollten Beschäftigte doch besser warten?

"Für den Beschäftigten haben diese Programme oftmals den Reiz, dass sie mit besseren Konditionen versehen sind als die letztlich zu befürchtende betriebsbedingte Kündigung", erklärt Rechtsanwalt Thomas Meder. Hier sei der individuelle Fall entscheidend. "Ein 30-Jähriger, der bereits ein lukratives Jobangebot an der Hand hat, wird vermutlich eher auf das Freiwilligenprogramm anspringen als ein 63-Jähriger, der auf dem Arbeitsmarkt eventuell nicht mehr die erste Wahl für potenzielle Neuarbeitgeber darstellt und sich außerdem Gedanken um seinen anstehenden Renteneintritt macht."

Der Aufhebungsvertrag mit Bezug zum Freiwilligenprogramm sollte daher wohlüberlegt sein, so der Experte. Zumal die Abfindungen immer Bruttobeträge darstellen. Arbeitnehmer verzichten dabei vollumfänglich auf ihren Kündigungsschutz. "Dieses Bewusstsein muss bei Unterschrift da sein", sagt Meder. Ebenso sollte klar sein, was mit bestehendem Urlaub, Arbeitszeitguthaben, der betrieblichen Altersvorsorge und etwaigen anderen Ansprüchen passiere.

Oftmals, so der Rechtsanwalt, seien individuelle Nachverhandlungen aus Sicht des Arbeitnehmers möglich, da der Arbeitgeber das Prozessrisiko verringern möchte. "Der Versuch jedenfalls kostet nichts", schreibt Meder.

Sie kämpfen für die Belegschaft (von links): Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister, ihr Stellvertreter Thomas Werner und Ralf Dirschl, Tarifsekretär der IG Metall Bayern.
Foto: Lukas Reinhardt | Sie kämpfen für die Belegschaft (von links): Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister, ihr Stellvertreter Thomas Werner und Ralf Dirschl, Tarifsekretär der IG Metall Bayern.

Der zentrale Nachteil eines Aufhebungsvertrags im Rahmen eines Freiwilligenprogramms sei logischerweise erst einmal der Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes. "Also sollte der Arbeitnehmer immer einen Alternativplan zur Hand haben, ehe er sich dem Freiwilligenprogramm anschließt", rät der Arbeitsrechtler. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten könne es hilfreich sein, noch ein, zwei Monate länger im bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitsmarkt zu sondieren, um einen potenziell neuen Arbeitgeber ausfindig zu machen.

Es könnte sein, dass mehr Angestellte sich auf das Freiwilligenprogramm bewerben und das Unternehmen verlassen wollen als vorgesehen ist. Damit wäre das sogenannte "Windhundprinzip"  eröffnet, wonach derjenige zuerst mahle, der zuerst kommt. Bei einer unsauberen Informationslage könne das mitunter zu voreiligen Fehlentscheidungen führen. Doch gerade im Hinblick auf Steuerlasten der Abfindung oder die Gefahr von Sperren beim Bezug von Arbeitslosengeld sollten sich Arbeitnehmer sicherheitshalber eingehend beraten lassen, etwa bei einem Gewerkschaftssekretär, Anwalt oder Steuerberater.

Dritter Schritt: Betriebsbedingte Kündigungen bei zu wenig Freiwilligen

2022 hatte es am Standort Ebern deutlich mehr Bewerbungen für das damals aufgesetzte Freiwilligenprogramm gegeben, als Stellen abgebaut werden sollten. Das, so erklären Vertreterinnen und Vertreter des Betriebsrats gegenüber dieser Redaktion, scheint diesmal angesichts der deutlich höheren Zahl von 280 Arbeitsplätzen, die nun zur Debatte stehen, kaum möglich. Betriebsbedingte Kündigungen könnten die Folge sein, bei denen der Arbeitgeber soziale Kriterien als Entscheidungsgrundlage heranziehen muss. Dazu gehören etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter, mögliche Unterhaltspflichten oder Schwerbehinderungen.

Frage: Was sollten Beschäftigte tun, die von einer betriebsbedingten Kündigung betroffen sind?

Hier sei es wichtig, dass gegen die erhaltene Kündigung innerhalb von drei Wochen Klage beim zuständigen Arbeitsgericht erhoben werden müsse. "Versäumt der Arbeitnehmer diese Frist, wird die Kündigung – sei sie noch so rechtswidrig – im Regelfall als korrekt unterstellt", schreibt Rechtsanwalt Meder. 

Für die Frage, welche Rechte und Chancen der gekündigte Arbeitnehmer hat, sei es essenziell, was genau im Interessenausgleich und Sozialplan beschlossen wurde. Darin können Abfindungsregelungen vereinbart worden sein. Allerdings finde man vereinzelt auch immer wieder den sogenannten "Sozialplan 0", der keinerlei Abfindungen vorsieht, weil der Betrieb kein Geld verteilen kann oder will.

Grundsätzlich kenne das deutsche Arbeitsrecht keinen "Anspruch auf eine Abfindung", erklärt Meder weiter. Das Ziel der Kündigungsschutzklage sei immer der Erhalt des Arbeitsverhältnisses. "Natürlich enden die meisten Kündigungsschutzprozesse mit einem Vergleich, in dem eine Abfindungszahlung vereinbart wird."

In der Praxis, so der Experte, finde man in diesem Szenario immer wieder sogenannte Namenslisten. Darin haben sich Arbeitgeber und Betriebsrat konkret auf Namen geeinigt, die betriebsbedingt gekündigt werden sollen. Die Namensliste sollte die Sozialfaktoren im Blick behalten. Dennoch sei es möglich, einzelne Leistungsträger im Betrieb zu behalten und für eine ausgewogene Altersstruktur mittels Namensliste zu sorgen. Hier, schreibt Meder, gebe es "viel Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien".

Im Rahmen einer Kündigungsschutzklage stünden die Chancen, dass die Kündigung fehlerhaft ist, in diesen Fällen oft sehr schlecht. Der Grund: Meist unterstelle das Gericht, dass die Betriebsparteien schon wissen, wen sie auf die Liste schreiben, so Meder.

 
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