Die blutroten Plastikadern zucken im Rhythmus der Pumpe. "Ohne diese Maschine wäre ich schon vier Jahre tot", sagt Simone Weigmann. Sie deutet mit der rechten Hand auf das Dialysegerät neben dem Krankenbett, die linke Hand ruht auf einem Kissen. Über einen Schlauch im Unterarm wird das Blut aus dem Körper der 53-Jährigen in den Dialysator gepumpt. Die künstliche Niere filtert die schädlichen Stoffe heraus, sonst droht die Vergiftung.
Simone Weigmann liegt im zweiten Stock des KfH-Nierenzentrums in Bamberg, einem eher schmucklosen Funktionsbau. Die 53-Jährige mit dem freundlichem und zugleich müdem Blick ist chronisch krank. Ihre Nieren arbeiten nicht mehr so, wie sie sollten. Weigmann stammt aus dem 27 Kilometer entfernten Breitbrunn im Landkreis Haßberge. Nach Bamberg gekommen ist sie mit dem Taxi, wie jeden Montag, jeden Mittwoch, jeden Freitag. Fünf Stunden dauert die Prozedur.
Rund 80.000 Menschen in Deutschland auf Dialyse angewiesen
Bundesweit sind laut der "Deutschen Nierenstiftung" rund 80.000 Menschen "dauerhaft auf die Dialyse angewiesen". Rund 180 Patientinnen und -Patienten werden derzeit am KfH-Nierenzentrum im oberfränkischen Bamberg versorgt. Dort ist die Arbeitsbelastung für das Personal zuletzt noch einmal gestiegen. Mit dem Ende der Dialyseeinrichtung in Haßfurt in diesem Herbst kamen laut Betreiber, dem gemeinnützigen "KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation", knapp 25 Patientinnen und Patienten aus Unterfranken hinzu. Simone Weigmann ist eine von ihnen.
Es klopft an der Zimmertür. "Zeit für die Visite", sagt eine Ärztin und nimmt eine Mappe mit Weigmanns Vitalwerten in die Hand. "Wie war das Wochenende?", fragt die Ärztin freundlich. "Gut", antwortet die Patientin. "Ihr Blutdruck ist etwas höher als sonst." – "Das liegt vermutlich daran, dass ich mich heute wieder aufgeregt habe."
Weigmann lacht. Auch wenn ihr nicht zum Lachen zumute ist. "Ich habe mich in Haßfurt besser aufgehoben gefühlt", sagt die 53-Jährige, als die Ärztin wieder aus der Tür ist. Im Februar, als die geplante Schließung des kleinen Zentrums bekannt wurde, hatte sie sich an die Öffentlichkeit gewandt.
Weigmann sprach damals von einer "maßlosen Enttäuschung" unter den 52 Betroffenen. Davon, dass eine über Jahre zusammengewachsene Gruppe "auseinandergerissen und irgendwo anders reingesteckt" werde. Nach Schweinfurt, nach Coburg und nach Bamberg.
Inzwischen komme sie sich "manchmal vor wie bei einer Massenabfertigung", sagt Weigmann heute. Gefühlt gehe es nur noch darum, Geld zu sparen. Zum Nachteil der Belegschaft. Zu Lasten der Patientinnen und Patienten.
Bundesverband Niere: Qualität der Behandlung hat stark nachgelassen
Eine Entwicklung, die der "Bundesverband Niere" (BN) bestätigt, der sich um die Belange Betroffener kümmert. "Die Qualität der Behandlung hat in den vergangenen Jahren dramatisch nachgelassen", konstatiert BN-Vorsitzende Isabelle Jordans. "In Deutschland sind wir auf die Dialyse angewiesen angesichts der geringen Bereitschaft zur Organspende." Deshalb brauche es wieder eine angemessene Vergütung für die ambulante Versorgung.
Jordans spricht damit das zentrale Problem der Dialysezentren an. Lange ließ sich mit der teuren Therapie gutes Geld verdienen. Inzwischen ist das System angesichts einer Jahrzehnte andauernden Sparpolitik der Krankenkassen chronisch unterfinanziert, wie Patienten- und Ärztevertretungen gleichermaßen kritisieren. Im Mai warnte der "Verband Deutsche Nierenzentren" (DN) in einem Brandbrief an die Kostenträger, dass die ambulante Nephrologie unter den aktuellen Bedingungen "das Jahrzehnt nicht überleben" werde.
Steigende Kosten für Energie, Material, Personal: Aus für viele Zentren
"Die Kosten sind ein großes Problem", sagt auch Prof. Dr. Clemens Grupp, einer der beiden Ärztlichen Leiter der Bamberger KfH-Einrichtung. Das Verfahren sei energieaufwändig, erklärt Grupp. Pro Dialyse müssten bis zu 150 Liter Wasser auf 37 Grad erwärmt werden, Körpertemperatur. Gestiegene Energiepreise, immer höhere Material- und Personalkosten, all das hinterlasse finanziellen Spuren. "Das geht teilweise an die Existenz."
Wie groß die finanziellen Nöte sind, zeigt sich nicht nur am Beispiel des "KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation", das 2021 in Kitzingen und jetzt in Haßfurt seine kleineren Standorte in Unterfranken schloss. Fünf KfH-Zentren gibt es hier jetzt noch - in Ochsenfurt, Würzburg, Schweinfurt, Lohr und Aschaffenburg. Bundesweit stehen auch andere Anbieter unter großem wirtschaftlichem Druck. Seit 2017 mussten laut BN 42 Zentren ihre Arbeit einstellen, neun davon in Bayern. 950 Dialyse-Einrichtungen gibt es derzeit in Deutschland.f
Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert deutliche Erhöhung der Kostenpauschale
Anfang 2023 wurde die Kostenpauschale um zwei Prozent angehoben. Doch die Erhöhung sei angesichts der Inflation "keineswegs ausreichend", heißt es bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Man befinde sich in weiteren Verhandlungen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Aus dessen Sicht aber "ist die Wirtschaftlichkeit von Dialyse-Einrichtungen gewährleistet", wie es in einer schriftlichen Stellungnahme heißt.
"Wir brauchen 20 Prozent mehr, sonst fährt das System irgendwann an die Wand", entgegnet PD Dr. Susanne Schwedler, Ärztin am "MVZ Dialysezentrum Schweinfurt", mit Blick auf die Vergütung. Sie vertritt die ambulante Nierenheilkunde in Bayern für die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie. "Während im ländlichen Raum die Unterversorgung droht, droht in den Ballungszentren die Überlastung", sagt Schwedler.
Kritik übt die Fachärztin für Innere Medizin auch an der Staffelung der Kostenpauschale: Je mehr Patienten ein Dialysezentrum hat, desto weniger zahlen die Kassen pro Kopf – "das ist absurd". Schließungen gehen so zu Lasten der betroffenen Nierenkranken und der aufnehmenden Einrichtungen, was die Abwärtsspirale verstärke, sagt Schwedler. Am Ende gewinne niemand - "außer womöglich Finanzinvestoren".
Neue Methode ermöglichte Zugang zum Blutkreislauf
Dabei herrschte in den 1960er Jahren große Aufbruchstimmung. Mit dem sogenannten "Shunt" entwickelten Mediziner damals erstmals eine zuverlässige Methode, einen Zugang zum Blutkreislauf des Menschen zu bekommen. Das künstliche Verbindungsstück zwischen Vene und Arterie wird operativ in den Arm der Patientinnen und Patienten gesetzt. Es macht die Gefäße größer und stabiler. Die normalen Adern halten die Dauerbelastung durch die Dialyse gar nicht aus.
Bei Simone Weigmann ist das Zeichen dieses medizinischen Fortschritts eine 20 Zentimeter lange Narbe am linken Unterarm, der gezeichnet ist von den Einstichen der dicken Nadeln. "Sie stammt von der Operation nachdem klar wurde, dass ich an die Maschine muss." 2019 hatten Ärzte bei Weigmann eine dramatischen Verschlechterung ihrer erblich bedingten Zystenniere festgestellt. Die Breitenbrunnerin musste zur Dialyse. "Vor der ersten hatte ich solche Angst."
Nach vier Jahren ist aus der Angst beschwerliche Routine geworden. "Manche schaffen es, während der Dialyse zu schlafen", sagt Weigmann. "Ich nicht." Zu unangenehm sei das Gefühl, wenn das gewaschene Blut über den Schlauch zurück in den Körper pumpt. Die Prozedur ist kräftezehrend. "Das ist wie ein zehnstündiger Arbeitstag." Früher saß sie in einem Supermarkt an der Kasse. Seit sie drei Mal in der Woche zur Dialyse muss, ist das unmöglich.
Es klopft wieder an der Tür, eine Frau bringt schnell ein Tablett mit Verpflegung, die wenigsten etwas Kraft geben soll: ein Hörnchen, eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser. Das Personal kümmert sich in Bamberg auf zwei Etagen um bis zu 42 ambulante Patientinnen und Patienten pro Schicht gleichzeitig. Viel Zeit bleibt da nicht.
Weniger Fachpersonal in Dialyse-Zentren, dafür mehr Hilfskräfte
"Es findet eine enorme Verdichtung der Arbeit statt", sagt Prof. Dr. Lothar Schramm, Facharzt für Nephrologie und Gründer des "Dialyse-Zentrum Würzburg". In den vergangenen Jahren sei der Einsatz von Fachpersonal deutlich zurückgegangen, Hilfskräfte übernehmen immer mehr Aufgaben. "Als wir begonnen haben, das war 1997, da gab es in der ambulanten Dialyse fast ausschließlich Krankenschwestern", sagt Schramm. Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen treffe auch die ambulanten Nierenzentren mit voller Wucht.
Die Konkurrenz mit den ebenfalls angeschlagenen, aber vom Staat finanziell gestützten Kliniken um qualifiziertes Personal verstärke das Problem, sagt Lothar Schramm. Laut KVB sinkt in Deutschland auch die Zahl der Weiterbildungen im Bereich der Nephrologie seit Jahren.
Um gegenzusteuern und das Personal zu entlasten, will das 1969 als "Kuratorium für Heimdialyse" gegründete KfH wieder stärker zum Ursprung zurück: "Wir wollen die Patientinnen und Patienten wieder zunehmend befähigen, zu Hause zu dialysieren", hat Jörg Müssig, der kaufmännische Leiter der KfH-Nierenzentren in Oberfranken und Thüringen, angekündigt.
Auf der Homepage wirbt das KfH bereits mit den Vorteilen für das Verfahren in den eigenen vier Wänden: größere zeitliche Flexibilität, gewohntes Umfeld. Doch die Heimdialyse, das weiß auch Jörg Müssig, ist nicht für alle Patientinnen und Patienten geeignet.
Simone Weigmann: "Dialyse muss ich machen, bis ich sterbe"
"Für mich ist das keine Option", sagt Simone Weigmann, "mein Mann kann kein Blut sehen, und auf seine Hilfe wäre ich angewiesen." Sie lacht, während die Maschine Milliliter um Milliliter aus dem Körper und zurück pumpt.
Auch auf der Transplantationsliste stehe sie nicht. Zu ungewiss sei für sie, ob das Leben mit einer Spenderniere wirklich so viel besser wäre. Weigmann meint vor allem das Leben mit Medikamenten, die das Immunsystem herunterfahren und so vermeiden, dass der Körper das fremde Organ abstößt. Für die Breitbrunnerin steht fest: "Die Dialyse muss ich machen, bis ich sterbe."