Hans Müller (Name von der Redaktion geändert), hat ein regelrechtes Ärztehopping hinter sich. "Ich war beim Pneumologen, beim Kardiologen und die schicken einen dann zur Computertomographie und zum Röntgen", zählt er im telefonischen Gespräch mit dieser Redaktion auf. "Im Schnitt war ich bei fünf bis zehn Fachärzten und dazwischen immer wieder bei meinem Hausarzt." Im März diesen Jahres steckte er sich mit Corona an, dabei glaubte er lange Zeit, er sei immun. "Ich hatte so viele Kontakte zu positiven Fällen, egal ob beruflich oder im privaten Umfeld, und habe mich nie angesteckt." Nach drei bis vier Tagen Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit und stärkeren Erkältungssymptomen sei es ihm jedoch wieder besser gegangen.
Heute besucht er regelmäßig die Haßfurter Long-Covid-Selbsthilfegruppe. Die Long-Covid-Erkrankung kam nicht auf einem Schlag, berichtet er. "Ich wollte nach der Corona-Infektion erst zur Arbeit gehen und dann hat es sich langsam aufgebaut." Wie auch die anderen Mitglieder der Selbsthilfegruppe leide er unter Luftnot, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, dazu käme bei ihm noch ein starker Reizhusten.
Wenn Alltagshandlungen und Hobbies zur Herausforderung werden
All diese Symptome machen körperliche und geistige Anstrengungen zu einer Herausforderung, sodass laut Müller selbst normale Alltagshandlungen, beispielsweise einen Kasten Wasser vom Auto in die Wohnung oder einen Wäschekorb vom Keller zur Waschmaschine zu tragen, die Mitglieder der Selbsthilfegruppe viel Kraft koste. Er selbst bekäme Schwindel beim Autofahren und sei deshalb aus Sicherheitsgründen auf den Zug umgestiegen.
Die Long-Covid-Erkrankung wirke sich auch auf die eigenen Hobbies aus. "Ich habe total gerne gelesen", gesteht Müller, der während des Telefongespräches immer wieder von Hustenanfällen geplagt wird, "nun fällt es mir schwer, mich auf ein Buch zu konzentrieren." Eine Belastung seien zudem sportliche Tätigkeiten, so berichteten ihm viele Mitglieder der Selbsthilfegruppe von Rückschritten beim Fahrradfahren. Das treffe auch auf ihn zu: "Ich war immer viel mit dem Mountainbike unterwegs und habe Touren mit den Kindern gemacht, jetzt bin ich auf ein E-Bike umgestiegen."
Ohne dieses bräuchte der Familienvater zwei bis drei Tage auf der Couch, um sich zu regenerieren. Früher war er nach einer kurzen Dusche wieder fit. Für Long-Covid-Erkrankte fühle es sich oft so an, als hätten sie einen Muskelkater. Während dieser bei gesunden Menschen wieder verschwindet, hätten viele Betroffene der Selbsthilfegruppe aufgrund von Gliederschmerzen jeden Tag das Gefühl, körperlich ausgelaugt zu sein.
Long-Covid hat viele Gesichter
Was im Gespräch deutlich wird: Long-Covid hat viele Gesichter, sowohl was Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen als auch den Verlauf der Krankheit anbelangt. "Bei uns in der Gruppe sind Zwei-Drittel männlich", und "von der Altersstruktur haben wir zwischen 35 und 55 Jahren zwei Leute, zwischen 55 und 65 Jahren drei und zwischen 65 und 85 Jahren zwei." Dass die meisten Fälle von Long-Covid bei Patientinnen und Patienten zwischen 30 und 65 Jahren auftreten, bestätigt auf Anfrage auch ein Sprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP). Ferner "sind Frauen etwas häufiger betroffen als Männer", so der Mitarbeiter und und weiter,"Post-Covid/Long-Covid-Patientinnen und -Patienten weisen häufiger Vorerkrankungen auf."
Diese Zahlen gehen aus Untersuchungen des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung hervor. Mit Blick auf die Haßfurter Selbsthilfegruppe gibt es nur einen Fall mit Vorerkrankung, die Mehrheit der Betroffenen war laut Müllers Einschätzung zuvor fit und sportlich aktiv. Konkrete Daten für einzelne Landkreise existieren hingegen nicht. In Bayern sind laut Kassenärztlicher Vereinigung insgesamt 280.700 Menschen (Stand März 2022) an Post-Covid erkrankt, dabei wurden 2022 allein in den ersten drei Monaten circa 140.000 neue Fälle registriert.
Bei der Selbsthilfegruppe "ist kein Muster zu erkennen", resümiert Hans Müller. So fänden sich Menschen mit milden, aber auch schweren Corona-Verläufen, die eine Behandlung auf der Intensivstation notwendig machten, in der Gruppe wieder. Das gleiche gelte mit Blick auf den Impf-Status sowie die Länge der Erkrankung. Mitglieder seien geimpft und/oder geboostert oder ungeimpft und kämpften teilweise sechs Monate oder aber auch zwei Jahren gegen die Spätfolgen an. Auffällig: Vor allem nach der zweiten Corona-Infektion traten die Long-Covid-Symptome bei einigen Mitgliedern häufiger und ausgeprägter auf.
Diagnose "Long Covid" via Ausschlussverfahren
Wann sprechen Ärztinnen und Ärzte überhaupt von Long-Covid? Ein Sprecher des StMGP erklärt schriftlich, dass unter Long-Covid Symptome gefasst werden, "die jenseits der akuten Krankheitsphase von vier Wochen fortbestehen oder neu auftreten." Häufig werde laut dem Mitarbeiter der Begriff Post-Covid synonym verwendet, obwohl darunter Symptome fallen, die erst zwölf Wochen nach Ausbruch der Corona-Infektion eintreten und mindesten zwei Monate, teilweise in unterschiedlicher Intensität, anhalten.
Die Diagnose Long-Covid erfolgt via Ausschlussverfahren, klärt der Mitarbeiter des StMGP auf. Betroffene sollten sich zunächst an ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt wenden, die ihre Patientinnen und Patienten dann an Fachärzte oder Post-Covid-Ambulanzen überweisen. Dies war auch bei Hans Müller der Fall, "bis bei mir Long-Covid diagnostiziert wurde, dauerte es sechs bis acht Wochen. Mein Hausarzt hat sich lange davor gescheut, es auf Papier zu schreiben." Bis dahin wurde ihm Blut abgenommen sowie ein Belastungs-EKG und ein Lungenfunktionstest durchgeführt.
Relativ selten berichteten Mitglieder der Selbsthilfegruppe bei Sitzungen, dass Ärztinnen oder Ärzte Corona und Long-Covid anzweifelten. "Die Fachärzte haben sich alle sehr gut auf das Thema eingestellt." Es seien eher Freunde und Bekannte, die sich Long-Covid nicht wirklich vorstellen könnten und dann laut Müller mit der Aussage: "Stell dich nicht so an" reagierten. Das sei für viele wie ein Schlag ins Gesicht und könne dazu beitragen, dass sich Erkrankte sozial isolierten.
Die Long-Covid-Selbsthilfegruppe als geschützter Raum
Er selbst habe lange überlegt, ob er eine Selbsthilfegruppe besuchen soll. "Ich bin aber dann hingegangen, weil ich mir dachte, dass da bestimmt Leute sind, die schon länger unter Long-Covid leiden und Tipps geben können, welche Ärzte gut behandeln, welche Reha-Maßnahmen sinnvoll sind und welche Medikamente helfen." Besonders überrascht habe ihn, wie ehrlich die Mitglieder sind, die ihm wenn nötig auch mal den Kopf waschen. Die Sitzungen seien ein geschützter Raum, generell könnten Betroffene zunächst auch nur zuhören.
Wer an der Selbsthilfegruppe teilnehmen möchte, kann sich bei der KOS unter (09521) 27313 oder kos@hassberge.de melden.