19 Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durften die Bürgerinnen und Bürger in Bayern einen Landtag wählen. Was über die Parteien, die Kandidatinnen und Kandidaten und ihre Ergebnisse geschrieben werden könnte, würde ganze Bibliotheken füllen. Und selbst wenn man nur einen kleinen Teil des Freistaates betrachten wollte, wie den Landkreis Haßberge und in späterer Zeit den Stimmkreis Haßberge/Rhön-Grabfeld, würde daraus ein mehrbändiges Lexikon. Viele Namen einst wichtiger und bekannter Männer und Frauen geraten in Vergessenheit, etwa der von Artur Heinrich (FDP) aus Rügheim, der mit Unterbrechung 16 Jahre im Landtag saß. Kein Dutzend Zeilen umfasst sein Wikipedia-Eintrag.
Im Vorfeld der Wahl am Sonntag hat die Redaktion ein paar Meilensteine der Urnengänge im letzten halben Jahrhundert herausgelesen. Über die jeweilige Bedeutung kann man streiten. Aber es geht hier nicht so sehr um scharfe Analysen, sondern eher darum zu zeigen, wie sich so manches geändert hat in unserem Land und der Region. Nichts ist für die Ewigkeit, das mag ein Stück weit traurig und froh zugleich machen.
1974: Die erste Landtagswahl in einem gänzlich neuen Landkreis
Bayern, Anfang der 1970-er Jahre: Die große Gebietsreform beginnt, 1972 zunächst mit den Landkreisen. Ihre Zahl reduzieren die Reformer von 143 auf 71. Der Prozess endet 1978 mit den Gemeiden, von denen es schließlich nur noch 2052 statt zuvor 7073 geben wird. Im Juli 1972 entsteht aus den Altlandkreisen Ebern, Hofheim und Haßfurt der Landkreis Haßberge. Hier wie anderswo hält sich die Begeisterung über die von der Staatsregierung propagierten größeren und effizienteren Verwaltungseinheiten in Grenzen. Es gibt Angst vor Identitätsverlust und dem Verlust an politischer Teilhabe.
Wie also fällt die Landtagswahl am 17. Oktober 1974 im Freistaat und im gerade mal zwei Jahre alten Landkreis Haßberge aus? Die Antwort ist eindeutig: Bayern bleibt CSU-Land, die Christsozialen können ihren Stimmenanteil sogar noch einmal deutlich steigern, auf fast 62 Prozent. Die SPD verliert, darf sich aber mit 30,4 Prozentpunkten zweifelsfrei Volkspartei nennen. Die FDP schafft knapp die Fünf-Prozent-Hürde.
Auch im Landkreis Haßberge ist die CSU der große Sieger. Ihr Spitzenkandidat Albert Meyer aus Haßfurt zieht zum dritten Mal in den Landtag ein und wird im November Staatssekretär im Finanzministerium. Dem Sozialdemokraten Heiner Schneier aus Zeil gelingt der Sprung ins Parlament nicht mehr. Und Kurt Sieber aus Königsberg noch nicht. Erst 1978 schickt ihn die FDP als Nachfolger von Artur Heinrich (Rügheim) nach München, der 1974 aus dem Landtag ausscheidet.
1986: Auch der Landkreis Haßberge bekommt grüne Tupfen
In den 1980-er Jahren "bricht Grün durch": Im März 1983 ziehen die Grünen erstmals in den Bundestag ein. Und dreieineinhalb Jahre später ist es in Bayern soweit: Mit 7,3 Prozent der Wählerstimmen katapuliert sich die Ökopartei am 12. Oktober 1986 in den Landtag, nachdem sie vier Jahre zuvor noch an der Fünf-Prozent-Hürde abgeprallt war.
Und im Landkreis Haßberge, der ländlich geprägt ist und somit als konservativ gilt? Auch hier hat die "Turnschuhpartei" die Sperrklausel überwunden, mit genau 5,0 Prozent: Die neue politische Kraft ist in der Provinz angekommen. Wo dennoch die CSU mit fast 60 Prozent stärker ist als im Landesdurchschnitt (56,1 Prozent). Das geht auf Kosten der SPD, die nicht einmal mehr jeder vierte Wähler im Haßbergkreis ankreuzt. Wäre es nach den Haßbergen gegangen, säße die FDP mit genau 8 Prozent im Landtag; doch die Masse der Wählerinnen und Wähler zwischen Spessart und Karwendel entscheidet anders und verbannt die Liberalen mit 3,7 Prozent aus dem Parlament.
Seit 1966 vertritt CSU-Mann Albert Meyer den Landkreis Haßberge in München. Er wird dies weitere vier Jahre als "Einzelkämpfer" tun.
1990: Die erste Landtagswahl nach der Wiedervereinigung
3. Oktober 1990, Deutschland ist im Freudentaumel und feiert Wiedervereinigung, elf Tage vor der bayerischen Landtagswahl. Bundeskanzler Helmut Kohl verspricht den neuen Bundesländern "blühende Landschaften". Für die Menschen im Haßbergkreis ist die Vereinigungsfeier nicht nur Party, sondern veränderte Lebenswirklichkeit: Plötzlich verschwindet der Todesstreifen, der sie jahrzehntelang von ihren Nachbarn drüben, in Thüringen, getrennt hat. Das Ende der Welt ist kein Ende mehr.
Und dann die Landtagswahl am 14. Oktober, die erste nach der Ära Franz Josef Strauß. Das übliche Bild? Die CSU, die sich dank 55-prozentiger Wählerzustimmung wiederum über die absolute Mehrheit im Parlament freuen darf; die SPD als stärkste Opposition mit 26 Prozent. Und die Grünen, die sich mit 6,4 Prozent zu etablieren scheinen. Der Wackelkandidat FDP, dieses Mal wieder im Landtag vertreten. Aber dann sind da noch am rechten Rand die Republikaner. Sie scheitern nach einem Wahlkrimi mit 4,9 Prozent praktisch auf den letzten Metern vor dem großen Ziel Landtag. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Bayerns hat sich angedeutet, dass es eine ernst zu nehmende Kraft rechts der CSU geben könnte.
Der Landkreis Haßberge wählt annähernd so wie das Land, einen Tick schwärzer und etwas gelber, dafür weniger grün und rot. Und mit weniger Sympathien für die Republikaner. Albert Meyer tritt seine vorletzte Legislaturperiode an, wiederum als Einzelkämpfer aus den Haßbergen. Bis Mitte 1993 wird er Finanzstaatssekretär bleiben.
2003: Und plötzlich ist der Stimmkreis Haßberge gewachsen
Jede Wahl bringt Neues, so treten 1998 erstmals die Freien Wähler in Bayern auf Landesebene an, noch ohne Parlamentssitze zu ergattern. Eine Ära geht zu Ende, der CSU-Politiker Sebastian von Rotenhan "beerbt" Albert Meier als Stimmkreisabgeordneten in den Haßbergen.
Doch ein wirklich großer Einschnitt steht noch bevor: Vor der Landtagswahl 2003 will der Freistaat die Zahl der Abgeordneten reduzieren und teilt die Stimmkreise neu ein. Zum Stimmkreis Haßberge kommt nun ein großer Teil des Landkreises Rhön-Grabfeld, darunter die Städte Bad Königshofen, Bad Neustadt und Mellrichstadt. Nun müssen sich die Kreisverbände aller Parteien und Gruppierungen hier wie dort auf gemeinsame Kandidatinnen und Kandidaten einigen.
Für die Union geht Sebastian von Rotenhan ins Rennen, er holt mit über 62 Prozent der Stimmen das Direktmandat im neuen Stimmkreis Haßberge/Rhön Grabfeld. Und über die Liste schafft es ein weiterer CSU-Mann: Bernd Weiß aus Mellrichstadt. Im Stimmkreis wie im gesamten Land erlebt die CSU mit über 60-prozentiger Zustimmung in der Bevölkerung wahre Höhenflüge, während die SPD auf unter 20 Prozent abstürzt und und sich die Grünen als zweite Oppositionskraft festigen.
2018: Erstmals gibt es im Landtag eine Kraft rechts der CSU
Bei der Bundestagswahl 2017 schafft es die AfD mühelos in den Reichstag. Ein Jahr später gelingt der Partei ebenso fulminant der Einzug in den bayerischen Landtag. Von zehn Wählerinnen und Wählern wählt einer oder eine die AfD. Das Strauß'sche Mantra, wonach es rechts von CDU und CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf, ist hinfällig. Die selbsternannte Alternative wird viertstärkste Kraft im Maximilianeum. Hinter der CSU, die mit rund 37 Prozent meilenweit von der absoluten Mehrheit früherer Jahre entfernt ist; hinter den Grünen, die sich mit über 17 Prozent auf Platz zwei vorschieben und den seit 2008 im Parlament vertretenen Freien Wählern, die auf Platz drei kommen.
Ebenfalls im Landtag nehmen Platz: Die SPD mit unter 10 Prozent, die ihrem Anspruch, Volkspartei zu sein, nicht mehr genügen kann. Und der ewige Wackelkandidat FDP, der die Fünf-Prozent-Hürde haarscharf überspringt.
Der Stimmkreis Haßberge/Rhön-Grabfeld straft die SPD noch stärker ab, hier kommt sie auf 7,6 Prozent der Stimmen. Auch die CSU lässt kräftig Federn, erstmals fällt sie über einen Punkt unter die 50-Prozent-Marke. Steffen Vogel, schon 2013 Frontmann der CSU im Stimmkreis 604, kann trotzdem niemand das Direktmandat streitig machen. Er bleibt nicht der einzige Vertreter der Region in München: Das Wahlvolk schickt auch den Freien Wähler Gerald Pittner aus Bad Neustadt in den Landtag. Wie auf Landesebene, so machen auch in der Region etwas mehr als zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der AfD. Ohne dass die Partei groß auf Wahlkampfveranstaltungen für sich geworben hätte.